Die Begriffe „depressiv“ oder „Depression“ hört man im Alltag gar nicht so selten. Umgangssprachlich fällt auch mal „Depri sein“ oder „einen Depri haben“. Und damit ist schnell etwas gesagt, was in Wahrheit viel ernster ist. Eine Depression ist eine ernstzunehmende Krankheit und damit sehr viel mehr als einfach mal nur „nicht so gut drauf“ zu sein.
Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, gibt es große Irrtümer hinsichtlich der Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen. Depression wird in der Bevölkerung weniger als tatsächliche Krankheit gesehen, als vielmehr nur eine psychische Reaktion auf schwierige Lebensumstände. So denkt beispielsweise fast jeder Fünfte, dass die Depression abklingt, wenn man sich zusammenreißt und Schokolade isst. Ein fataler Fehler! Denn, früh erkannt, können Depressionen gut behandelt werden. Zur Behandlung bedarf es allerdings mehr als nur Schokolade oder Urlaub: Mit Psychotherapie und Medikamenten ist die Krankheit gut zu behandeln.
Auch das Bundesministerium für Gesundheit erklärt depressive Störungen zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Doch wie kommt es eigentlich, dass das Thema so leicht „abgetan“ wird? Dass wir denken, wir schaffen das selbst? Suchen wir die Schuld etwa bei uns? Dürfen wir nicht „schwach“ sein und gestehen uns deshalb nicht ein, dass wir krank sind?
Wir haben mit Dr. Anne Moschner über Depressionen und mögliche Wege aus der Krankheit gesprochen. Sie ist Expertin für Depressionen bei der TK und unter anderem zuständig für das digitale Hilfsangebot „DepressionsCoach„.
Frau Dr. Anne Moschner, was genau ist eine Depression? Wie entsteht sie und wie äußert sie sich?
Eine Depression ist eine Erkrankung, die vor allem durch eine extrem gedrückte, hoffnungslose Stimmung gekennzeichnet ist, die über Wochen oder sogar Monate andauert. Häufig kommen auch Symptome wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und starke Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit vor. In schweren Fällen können Gedanken an Selbstmord auftauchen. Wie genau eine Depression entsteht und warum der eine sie bekommt und der andere nicht, das ist noch nicht vollständig erforscht. Klar ist heute aber, dass es nicht die eine Ursache gibt, sondern in der Regel verschiedene Faktoren ungünstig zusammenkommen, wenn eine Depression entsteht. Eine gewisse genetische Veranlagung spielt auf jeden Fall eine Rolle.
Wichtig ist auch, wie gut ein Mensch mit negativen Gefühlen umgehen kann, wie sein Selbstwertgefühl ist, wie er im Laufe seines Lebens gelernt hat, mit Krisen und Niederlagen umzugehen. Also das, was man heute oft unter dem Begriff „Resilienz“ zusammenfasst. Dauerstress gilt als Risikofaktor. Außerdem können (müssen aber nicht!) kritische Lebensereignisse wie etwa eine schmerzhafte Trennung, Jobverlust oder der Tod eines nahestehenden Menschen Auslöser sein. Hieran sieht man auch: Die meisten Menschen erkranken zum Glück nicht an einer Depression, wenn sie mit schmerzhaften Lebensereignissen fertig werden müssen, weil die anderen Faktoren auf sie nicht zutreffen.
Inzwischen gilt die Depression als „unterschätzte Volkskrankheit“. Wie erkennt man denn selbst eine Depression? Woher weiß man, dass es mehr ist als schlechte Laune oder eine kurzfristige Überforderung in Alltag oder Beruf?
Für Betroffene ist die Depression leider oft sehr lange nicht als solche erkennbar. Nicht zuletzt auch, weil sie lange denken: Ich muss mich nur zusammenreißen, dann wird das schon wieder. Und das ist vielleicht auch schon der beste Indikator für eine Depression: Wenn ich merke, egal wie sehr ich gegen die niedergedrückte Stimmung ankämpfe, es wird einfach nicht besser. Alles, was bisher gut funktioniert hat und mir Freude bereitet hat, hilft nicht mehr. Die niedergedrückte Stimmung bleibt – und zwar über Wochen oder sogar Monate.
Was glauben Sie: Warum wird das Thema innerhalb der Bevölkerung so „abgetan“ statt es als echte und ernstzunehmende Krankheit zu sehen? Kann man sagen Depression ist ein „Tabu Thema“?
Sie war lange ein absolutes Tabu, aber ich würde sagen: Es wird besser. Dazu trägt zum Beispiel auch bei, wenn sich Prominente öffentlich zu ihrer Depression bekennen. Das zeigt, dass es wirklich jeden treffen kann. Aber trotzdem schämen sich immer noch viele Menschen wegen ihrer Depression. Sie fürchten, als schwach, verrückt oder nicht leistungsfähig abgestempelt zu werden.
Wie kann die Enttabuisierung des Themas vorangetrieben/erreicht werden? Und wie kann jeder dazu beitragen, dass es für alle Beteiligten besser oder einfacher wird?
Ganz klar: Drüber reden. Das „Kind beim Namen nennen“. Aufklärungsarbeit leisten. Es gibt extrem viele Klischees und Vorurteile über Depressive. Nur wer weiß, was genau eine Depression ist, weiß auch, dass Betroffene nicht „verrückt“ oder „zu schwach“ sind. Sie haben eine Krankheit, mit der sie umgehen müssen und durchaus auch können. Je mehr wir das alles tun, desto normaler wird das Thema irgendwann hoffentlich.
Was hat sich seit Corona geändert?
Viele Menschen waren lange im „Durchhaltemodus“ und haben geschaut, dass alles irgendwie weiterläuft. Ich glaube, die Auswirkungen von Corona werden erst in den nächsten Monaten richtig spürbar werden. Gerade bei Kindern und Jugendlichen wird sich vermutlich erst im Laufe des neuen Schuljahres so richtig zeigen, welche Auswirkungen die Pandemie auf sie hatte. Digitale Hilfsangebote haben definitiv einen Schub erfahren. Psychotherapie lief plötzlich digital per Videokonferenz ab und Patient:innen und Therapeut:innen merkten: Es geht! Es ist anders, es ist nicht immer ideal, aber es ist möglich. Ich glaube, wir werden zukünftig eine viel stärkere Verzahnung von digitalen und vor-Ort-Angeboten haben.
Ein digitales Angebot der TK ist der DepressionsCoach. Wie genau funktioniert der?
Den DepressionsCoach kann man sich als digitalen und trotzdem persönlichen Begleiter für Personen vorstellen, die bereits mit einer Depression diagnostiziert sind. Er kann ihnen dabei helfen, besser mit der Krankheit umzugehen.
Das Coaching findet dabei online statt: Ich logge mich auf einer Plattform ein, auf der mich ein interaktives, sechs- bis achtwöchiges Online-Training zum Thema Depression erwartet. Das persönliche daran: Ich habe eine feste, persönliche psychologische Beraterin, die mich durch das Training begleitet, meine Fortschritte und eventuellen Schwierigkeiten bei den Übungen beobachtet und mir regelmäßig Feedback gibt. Dabei wird stets über die gesicherte Plattform miteinander kommuniziert.
Was können Sie Angehörigen, Freund:innen und Kolleg:innen zum Umgang mit depressiven Mitmenschen mitgeben?
Depressive Menschen benehmen sich von außen betrachtet manchmal ganz schön seltsam oder anstrengend. Da sagt die beste Freundin zum Beispiel zum dritten Mal kurzfristig ein Treffen ab. Und das ohne erkennbaren Grund. Da ist man vielleicht doch etwas beleidigt. Und ihre vermeintlich schlechte Laune ist manchmal ganz schön ermüdend. Viele sind dann irgendwann genervt und reagieren mit dem berühmten „Reiß´ dich doch mal zusammen“ oder „Wird schon wieder“. Das hilft dem Betroffenen aber leider gar nicht, denn er oder sie kann in dem Moment einfach nicht anders. Viel besser: Nehmt es nicht persönlich! Macht euch klar: Er oder Sie meint das nicht so, das ist genau die Krankheit Depression.
Wichtig ist aber auch: Achtet auch auf euch selber! Es ist ok zu sagen: Jetzt wird mir das alles zu viel, ich bin selber überfordert, ich brauche etwas Abstand. Ihr könnt den Betroffenen trotzdem signalisieren, dass ihr sie ernst nehmt und z. B. konkrete Hilfe anbieten, etwa gemeinsam zu einer Beratungsstelle zu gehen. Ihr könnt unterstützen und da sein, aber ihr könnt die Erkrankten nicht „retten“. Das können sie letztlich nur selbst mit entsprechender professioneller Unterstützung.
Die Psychologin Dr. Anne Moschner ist Expertin für Depressionen bei der Techniker Krankenkasse. Verantwortlich für den DepressionsCoach entwickelt sie Angebote für Betroffene auch digital weiter und setzt sich aktiv für mehr gesellschaftliche Akzeptanz der Krankheit ein.
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