Schreckvorstellung für die einen, Segen für die anderen: Homeoffice. Was vor der Pandemie für die meisten eine exotische Ausnahme war, wird nach ihr für viele zum gewohnten Standard. Obwohl wir unterschiedliche Bedürfnisse haben, gibt es Punkte, die uns und unsere Arbeit von zu Hause nachhaltiger machen.
Mehr als die Hälfte, nämlich 54 Prozent der Unternehmen in Deutschland, wollen Homeoffice dauerhaft stärker etablieren – das ergibt eine Umfrage des Münchner ifo Instituts. Somit steht außer Frage, dass die Erfahrungen der Pandemie die Arbeitswelt nachhaltig prägen werden. Die Frage ist nur wie. Aufgrund der Dringlichkeit haben Unternehmen traditionelle Arbeitsorganisation schnell aufbrechen müssen, doch nicht alle schaffen es, funktionierende Remote-Modelle zu etablieren.
Wem das hierzulande am besten gelungen ist, hat die Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu zusammen mit dem Industrieverband Büro und Arbeitswelt e.V. (IBA) ermittelt. In der Bestenliste beim Sonderpreis „Best Workplace Homeoffice“ führt dieses Jahr ein großes Versicherungsunternehmen.
Was haben diese Unternehmen anders gemacht? Sie haben ihren Arbeitnehmer:innen beispielsweise eine einwandfreie Ausstattung zur Verfügung gestellt. Ebenfalls erfolgte die Umsetzung der Homeoffice-Situation schnell und ermöglichte den Mitarbeitenden die Freiheit, eigenverantwortlich damit umzugehen.
Homeoffice als Einstellungsstrategie
Weitere ifo-Studien zeigen, dass Homeoffice zu einem wichtigen Kriterium bei der Arbeitssuche geworden ist. Eine Auswertung von Stellenanzeigen und Jobsuchenden auf LinkedIn zeigt, dass die Aufrufe von Stellen, die im Homeoffice ausgeschrieben sind, um mehr als das Doppelte gestiegen sind. Der Markt reagiert sofort: Große Arbeitgeber wie etwa Siemens, Allianz oder die Deutsche Telekom haben bereits angekündigt, dass Homeoffice Teil ihrer Einstellungsstrategie für neues Personal und eine reguläre Option für ihre Beschäftigten werden soll. Zudem wird sichtbar, dass beim Arbeiten von zu Hause Kompetenzen wie individuelle Flexibilität, Teamfähigkeit und vor allem digitales Know-how an Bedeutung gewinnen.
Führungskräfte haben inzwischen ebenfalls die Notwendigkeit gesehen, ihren Führungsstil an die Remote-Situation anzupassen, da diese ganz anderen Anforderungen an sie stellt. Es braucht erhöhte Achtsamkeit, um mögliche negative Schwingungen bei den Angestellten aufzuspüren. Denn all die Dinge, die man sonst nebenbei im Büro mitbekommen hat, fallen jetzt weg. Gefragt sind Vertrauen, Zutrauen und das Führen auf Augenhöhe. Loslassen gehört zum Homeoffice dazu.
In Deutschland war im Frühjahr 2021 im Schnitt etwa jeder zweite Arbeitsplatz Homeoffice-fähig, wobei es Branchenstrukturelle und regionale Unterschiede gibt. Allerdings lag die Homeoffice-Quote im Februar 2021 erst bei circa 30 Prozent aller Beschäftigten.
Wie andere Länder das Arbeiten im Homeoffice umgesetzt haben, zeigt das Randstad Arbeitsbarometer. Am wenigsten flexibel scheint die Volksrepublik China zu sein. Dort mussten 95 Prozent der befragten Arbeitnehmer:innen trotz der Corona-Pandemie am Arbeitsplatz anwesend sein. Auch in Indien war dieser Anteil mit 79 Prozent vergleichbar hoch.
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Vorteile Homeoffice: Nachhaltigkeit par excellence
Dass so viele Menschen gerne von zuhause arbeiten, kommt nicht von ungefähr. Es ist schlicht und einfach bequem – man spart sich nicht nur die tägliche Anfahrtszeit, sondern kann nebenbei die Waschmaschine starten oder mit den Kindern in der Pause schnell mal um den Block spazieren. Statt morgens auf die U-Bahn zu warten oder – noch schlimmer – im Stau zu stecken, kann man ein paar Yoga-Übungen machen, meditieren oder joggen gehen. Danach zu arbeiten macht viel mehr Spaß, die Motivation steigt, der Stress reduziert sich, die Work-Life-Balance wird besser. Sich jeden Mittag eine gesunde Mahlzeit zu kochen braucht zwar etwas Disziplin, spricht jedoch für einen ausgewogeneren Lebensstil. Gleichzeitig verursacht man so weniger Müll, weil die die To-go-Verpackungen wegfallen. Mit der Arbeit in den eigenen vier Wänden reduzieren sich auch die Fahrtkosten.
Vorteile ergeben sich nicht nur auf der privaten, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Laut einer Studie des Vodafone-Instituts hat der durchschnittliche deutsche Tele-Worker während des Lockdowns – hochgerechnet auf das Jahr – 1.144 kg CO₂-Emissionen netto eingespart. Langfristig geht die Studie von einer Einsparung von 700 kg CO₂ pro Jahr pro Person aus. Es zeigt sich, dass das Einsparpotenzial von CO₂ durch Homeoffice im Ländervergleich (UK, Schweden, Italien, Spanien und Tschechien) in Deutschland am größten ist.
Es entspricht 80 Millionen One-Way-Flügen zwischen London und Berlin. Das liegt nicht nur daran, dass der Verkehr rückläufig ist – die Arbeitgeber:innen haben einen geringeren Energie- und Stromverbrauch. Klar erhöhen sich diese Ausgaben dann automatisch zu Hause, jedoch haben wir es in der Hand und können dies zum Anlass nehmen, zu einem Ökostrom-Anbieter zu wechseln. Überhaupt sind die Herausgeber der Studie überzeugt, dass dank der Digitalisierung unser Leben noch nachhaltiger wird und uns so eine doppelte Transformation gelingen könnte.
Nachteile Homeoffice: Was ist zu beachten?
Es wäre falsch zu behaupten, dass die Arbeit im Homeoffice, egal wie nachhaltig sie ist, nur Vorteile mit sich bringt. Wer Kinder zuhause hat, könnte es schwer haben, das Berufs- vom Privatleben zu trennen, weil da unterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderprallen. Aber auch ohne Nachwuchs kann es passieren, dass Arbeitnehmer:innen nicht abschalten können, an Schlafstörungen und mentalen Blockaden leiden oder zunehmend erschöpft sind. Das könnte zum einen an der fehlenden räumlichen Trennung liegen, zum anderen an den Überstunden, die im Homeoffice anfallen könnten. Man ist ständig erreichbar, beantwortet E-Mails nach Feierabend, verkürzt die Mittagspausen oder lässt sie wegen der vielen Online-Meetings auch mal ganz ausfallen.
Ein weiterer Negativ-Effekt bei der Arbeit im Homeoffice ist der fehlende Austausch mit den Kolleg:innen – sowohl auf beruflicher als auch auf privater Ebene. Dadurch fühlen sich manche Arbeitnehmer:innen einsam. Wenn sich die sozialen Kontakte reduzieren, könnte das langfristig zu Depressionen führen. Aus dem Deutschland-Barometer Depression 2021 geht hervor, dass 33 Prozent der Befragten den Verzicht auf den Arbeitsplatz und den Umgang mit Kolleg:innen als negativ für die psychische Verfassung empfinden. Jede:r Zehnte leidet sogar stark darunter. Jean-Victor Alipour, Homeoffice-Experte beim ifo-Institut erwartet deshalb, dass sich in Zukunft vor allem hybride Arbeitsmodelle durchsetzen werden. Nicht zuletzt gibt es Nachteile auch für die Betriebe, weil sie arbeitsrechtliche, organisatorische und technische Lösungen für die Heimarbeit finden müssen.
Was bedeutet das Neue Normal für uns als Gesellschaft? TK-Vorstandsmitglied Karen Walkenhorst bringt es im Interview auf den Punkt: „Die Herausforderung, die wir dabei alle gemeinsam vor uns haben, ist, die gute Arbeitskultur in die neue Arbeitswelt zu transformieren. Dafür brauchen wir auf jeden Fall neue Spielregeln.“
Flex Office: Ein Hoch auf die variable Zeitgestaltung
Welche könnten diese Spielregeln sein? Eine Möglichkeit wäre das sogenannte Flex Office, zu Deutsch: das flexible Arbeiten, das sich an den Bedürfnissen der Mitarbeiter:innen anpasst. Eine eindeutige Definition steht noch aus, aber im Allgemeinen versteht man darunter ortsunabhängiges Arbeiten und individuelle Zeitgestaltung. Denn beim Flex Office sind die Angestellten deutlich flexibler und können ihre Arbeitsstunden variabel in der Woche verteilen.
Tipps für nachhaltiges Arbeiten im Homeoffice
- Dem Bewegungsmangel im Homeoffice kannst Du auf unterschiedlichster Art und Weise entgegenwirken. Wer er schafft, eine Routine in seinem Alltag einzubauen, wird weniger unter Kopfschmerzen und Verspannungen leiden. Regelmäßiges Lüften sowie Pausen an der frischen Luft machen munter und entlasten die Augen von der Bildschirmarbeit. Hier findest du eine große Auswahl an Dehnübungen für die Nacken-, Schultern- und Brustmuskulatur. Besonders effektiv hat sich Yoga erwiesen, da man sich hier auf den Atem konzentriert und dadurch besser im Kopf abschalten kann.
- Ausreichend Obst und gesunde Getränke halten fit und vertreiben die Müdigkeit. Im Idealfall ist dein Arbeitsplatz gemütlich, hell und mit ergonomischen Möbeln ausgestattet.
- Halte die Arbeitszeiten ein und mach pünktlich Feierabend. Übe dich darin, Nein zu sagen – die Welt können wir morgen auch noch retten.
- Für die Stimmung und Motivation ist es gut, sich mit den Kolleg:innen außerhalb der Online-Meetings auszutauschen. Den Plausch an der Kaffeemaschine wird so zwar nicht ganz ersetzt, aber es stärkt das Gefühl des Miteinanders. Mit dem Hashtag #mehrmiteinander gibt es im Netz viele Beispiele, wie du dein Sozialleben aufrechterhalten kannst.
Nachhaltig im Homeoffice durch die richtige Balance
Bei der Arbeit im Homeoffice gilt es, mehr die Chancen und weniger die Risiken darin zu sehen. Die Arbeit zu Hause ist nachhaltiger, wenn man das sowohl auf Arbeitnehmer:innen- als auch auf Arbeitgeber:innenseite entsprechend gestaltet und Selbstdisziplin zeigt. Wer die richtige Balance zwischen virtueller Kommunikation und persönlichem Austausch findet, ist für die Herausforderungen der Arbeitswelt im 21. Jahrhundert bestens vorbereitet.
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