Finanzzentrum und Wolkenkratzer – Frankfurt am Main kann mehr: Die hessische Metropole wurde zur fahrradfreundlichsten Großstadt Deutschlands gewählt. Utopia.de hat nachgefragt, wie die Stadt den Fahrradverkehr konkret fördert und wie sie Radfahren noch sicherer machen will.
Wer an die Stadt Frankfurt am Main denkt, denkt wahrscheinlich an ihre Hochhausskyline, das Finanzzentrum und die weltbekannte Grüne Soße – an ihre gute Fahrradinfrastruktur weniger. Doch die hessische Metropole hat im ADFC Fahrradklima-Test bei den Städten über 500.000 Einwohner:innen gerade den Titel „fahrradfreundlichste Stadt“ gewonnen, noch vor Hannover und Bremen. Die Befragten lobten in der Fahrradstadt Frankfurt vor allem neue Radwege, die Möglichkeit zur Fahrradmitnahme im ÖPNV und die Wegweiser für Radelnde.
Frankfurt am Main gewinnt beim ADFC Fahrradklima-Test
Utopia.de hat mit Wolfgang Siefert (Die Grünen), Stadtrat und Dezernent für Mobilität in Frankfurt am Main, darüber gesprochen, wie die Stadt den Radverkehr konkret fördert – und was andere Städte davon lernen können.
Frankfurts Mobilitäts-Dezernent im Utopia-Interview
Utopia.de: Wie sieht Ihr persönlicher Arbeitsweg aus?
Wolfgang Siefert: Ich wohne – dafür, dass ich in einer Großstadt lebe – relativ nah an meinem Arbeitsplatz. Meinen circa zwei Kilometer langen Arbeitsweg fahre ich zu 99 Prozent mit dem Rad oder ÖPNV, weil man damit in Frankfurt einfach am schnellsten unterwegs ist.
Wolfgang Siefert
Wolfgang Siefert (Die Grünen) ist Stadtrat und Dezernent für Mobilität in Frankfurt am Main. Im Gespräch mit Utopia.de berichtet er darüber, wie die Mainmetropole zur Fahrradstadt wird.
Das ist in vielen Großstädten so, auch wenn die Radinfrastruktur oft ausbaufähig ist. Seit wie vielen Jahren stärkt Frankfurt gezielt den Fahrradverkehr in der Stadt?
Der erste Meilenstein war 2009, als der damalige Verkehrsdezernent ein Radfahrbüro als eigene Organisationseinheit innerhalb der Verwaltung einrichtete. Zuvor waren Verkehrsplanungen in Frankfurt primär aufs Auto ausgelegt, sekundär auf die Schiene. Die Fahrradfahrer mussten sehen, wo sie bleiben. Das Radfahrbüro begann, Maßnahmen für den Radverkehr umzusetzen, namentlich viele Radabstellanlagen und Schutzstreifen an Straßen, bei denen das relativ leicht zu lösen war. Nach zehn Jahren aber gerieten die Maßnahmen ins Stocken, weil alle schnellen und leicht durchführbaren Verbesserungen erledigt waren.
Aufs Radfahrbüro folgte ein Radentscheid
Wie haben Sie dem Ausbau des Radverkehrs wieder Schwung verliehen?
Sehr viele Frankfurterinnen und Frankfurter fuhren damals schon Fahrrad, ohne dass es flächendeckend sichere Radwege gab. 2018 sammelte die Bürgerinitiative „Radentscheid“ 40.000 Unterschriften für eine bessere Radinfrastruktur.
Ein ziemlicher Erfolg.
Damit der Radentscheid mit seinem Anliegen Erfolg haben konnte, erarbeiteten wir gemeinsam mit der Bürgerinitiative 2019 einen Antrag für die Stadtverordnetenversammlung, der sich „Fahrradstadt Frankfurt“ nennt und angenommen wurde. Alle erfolgreichen Maßnahmen, die wir die vergangenen sechs Jahre umgesetzt haben, gehen auf diesen Antrag zurück.
Wie die „Fahrradstadt Frankfurt“ entstand
Was genau steht im Antrag „Fahrradstadt Frankfurt“?
Der Antrag nennt unter anderem eine Übersicht von Hauptstraßen und Nebenstraßen, die fahrradfreundlich umzugestalten sind und schreibt unter anderem vor, dass die Stadt mindestens 2.000 Fahrradabstellplätze im Jahr schaffen muss. Um das alles realisieren zu können, wurden Personalstellen und Budget für den Ausbau des Fahrradverkehrs festgeschrieben ebenso wie Planungsstandards für eine wirklich sichere, nutzerfreundliche Radinfrastruktur. Zum Beispiel legt der Antrag zum ersten Mal fest, dass ein Radweg in Frankfurt am Main 2,30 Meter oder – in den für Frankfurt typischerweise sehr eng bebauten Straßen – in Ausnahmefällen 2 Meter breit ist. Außerdem sieht der Antrag vor, dass Hauptverkehrsstraßen entweder einen geschützten Radweg oder Tempo 30 haben müssen.
Welche Maßnahmen des Antrags wurden bis jetzt konkret realisiert?
Sehr viele, wenn auch noch nicht alle. Seit 2019 haben wir gut 10.000 Fahrradabstellplätze im Stadtgebiet geschaffen und über 40 Kilometer sichere Radwege. Von den geforderten fahrradfreundlichen Nebenstraßen haben wir die Achse Kettenhofweg/Robert-Mayer-Straße, den Oeder Weg und Grüneburgweg bereits umgesetzt. Die anderen befinden sich in unterschiedlichen Planungsständen. Wir haben mehrere Hauptverkehrsstraßen umgestaltet, darunter die Friedberger Landstraße, Kurt-Schumacher-Straße, Mainkai, Schöne Aussicht und zuletzt die Eschersheimer Landstraße. Im Antrag werden auch Straßen genannt, bei denen sich später herausgestellt hat, dass sich ein Umbau nur schwer realisieren lässt.
Weil die Straßen sehr schmal sind?
Ja, da Frankfurt nie Residenzstadt, sondern immer nur Kaufmannsstadt war, haben wir sehr schmale Straßenquerschnitte und schmale Bürgersteige. Im Zweifel müssen deshalb für den Radumbau eine Fahrspur, Parkplätze oder beides wegfallen. Vor einer Neugestaltung berechnen wir mit Verkehrsmodellen und Zählungen, ob der Verkehr auch nach Umsetzung der Maßnahmen gut funktionieren würde. Ist das nicht der Fall, wird auch nicht umgebaut. Wir bewegen uns klar in Richtung Mobilitätswende, aber immer mit Rücksicht darauf, dass nicht jede und jeder vom Auto auf den Umweltverbund umsteigen kann.
„Mobilitätswende, aber mit Rücksicht darauf, dass nicht jeder von Auto umsteigen kann“
Um zu einer Fahrradstadt zu werden, sind Straßenumgestaltungen aber doch unerlässlich.
Ja, aber es gibt viele Wege dorthin. Wir gestalten neben den Hauptstraßen auch Nebenstraßen um und machen sie zu Fahrradstraßen. Bei den Hauptstraßen arbeiten wir mit sogenannten Cycle-Lane-Separators, also provisorischen baulichen Trennelementen von Fahrrad- und Autospuren, mit Markierungen und mit roter Farbe. Das sind bestandsnahe Lösungen, die wenig bauliche Änderungen erfordern. Da das relativ schnell geht, konnten wir in fünf Jahren über 40 Kilometer Radwege abmarkieren. Wir wollten gerade die viel befahrenen Hauptstraßen möglichst schnell und großräumig umgestalten, um den Verkehr insgesamt zu beruhigen und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.
Fahrradspuren farblich zu markieren und provisorisch abzutrennen, geht schneller und ist günstiger. Doch wirklich sicher ist Radfahren in der Stadt erst, wenn Radwege baulich vom Autoverkehr getrennt werden.
Wir entschieden uns nicht nur aus Zeit- und Geldgründen für die Schraublösungen mit Separatoren, die durchaus eine bauliche Trennung der Straßenspuren darstellen. Der Vorteil provisorischer Lösungen ist, dass man Dinge ausprobieren und weiter verbessern kann. Nachjustieren zu können ist bei größeren Veränderungen wichtig, weil jede Straße – je nach Struktur und Nutzung – anders funktioniert und sich nicht alles am Reißbrett durchplanen lässt. Jede Radwegeplanung wird frühzeitig in einem größeren städtischen Gremium besprochen; auch mit der Frankfurter Feuerwehr, die auch für die Rettungsdienste zuständig ist und immer ein Vetorecht hat. So achten wir zum Beispiel darauf, dass die Rettungsdienste mit ihren Fahrzeugen über unsere Radwege ausweichen können. Auch dafür sind die überfahrbaren Cycle Lane Seperators gut geeignet.
Schaut man allerdings nach Berlin, wo man temporär Fahrradstraßen errichtet hat, sieht man wie schnell das eine neue Regierung so etwas wieder zurückbauen kann.
Das kann in Frankfurt mit einer neuen Mehrheit natürlich auch passieren. Der Unterschied zwischen Frankfurt und Berlin oder auch Darmstadt und Gießen ist aber, dass dort mit temporären Modellversuchen gearbeitet wurde. „Provisorisch“ heißt aber nicht zwingend „temporär“. Wir hingegen setzen nur Projekte um, die laut Straßenverkehrsordnung bereits heute erlaubt sind. Dadurch müssen wir Kompromisse eingehen, aber so sind zum einen alle Anordnungen dauerhaft und müssen eben nicht nach Ablauf einer Modellprojektphase zurückgedreht werden und zum anderen ist das Risiko gering, erfolgreich verklagt zu werden.
Fahrradstadt Frankfurt will lückenlose Radinfrastruktur
Als einer der größten Kritikpunkte im aktuellen und auch vorangegangenen ADFC Fahrradklima-Test wurde die mangelnde Sicherheit genannt, die verhindert, dass mehr Menschen Fahrrad fahren. Was tut die Stadt Frankfurt, um den Radverkehr noch sicherer zu machen?
Dass wir laut Fahrradklima-Test die fahrradfreundlichste Metropole sind, ist toll. Unsere Note war allerdings 3,49 – das ist noch nicht „sehr gut“. An Verkehrsknotenpunkten wie Kreuzungen stoßen unsere provisorischen Maßnahmen tatsächlich an ihre Grenzen. Hier ist oft ein Umbau von Ampelanlagen, Verkehrsinseln oder der gesamten Kreuzung nötig, um die verschiedenen Verkehrsarten deutlich zu trennen. Ich glaube, die Frankfurterinnen und Frankfurter kritisieren, dass gerade an solchen Knotenpunkten noch viele Lücken gibt.
Lücken, die Sie in Zukunft schließen möchten?
Ja. Da unser Fokus bislang auf den in die Innenstadt zulaufenden Hauptstraßen lag, ist nun auch in den Außenstadtteilen noch viel zu tun. Die bereits umgebauten 40 Kilometer Radwege empfinden alle als sehr sicher, daran wollen wir anschließen. Doch wir sind noch lange nicht am Ende – trotz des ersten Platzes beim Fahrradklima-Test. Derzeit arbeiten wir gezielt an Maßnahmen für den Pendlerverkehr, indem wir Beschlüsse für Radschnellwege vorbereiten.
Wie löst die Stadt Konflikte zwischen Rad-, Auto- und Fußverkehr, die Umgestaltungen oft mit sich bringen?
Technisch lösen wir es, indem wir Flächen für Radverkehr, Fußverkehr und Autos trennen. Die Flächenkonkurrenz besteht in der Großstadt trotzdem. Dem Argument, mit weniger Autospuren gäbe es mehr Stau, entgegne ich: Keineswegs. Wir sorgen dafür, dass noch mehr Menschen Fahrrad fahren, weil sie sich dabei sicher fühlen. Menschen auf dem Rad nehmen, ebenso wie der Fußverkehr und ÖPNV, viel weniger Platz in Anspruch als ein Auto, in dem oft nur eine einzige Person sitzt. Und jeder, der Fahrrad fährt, macht auf den Straßen Platz für diejenigen, die Auto fahren müssen.
Frankfurter:innen bewerten Straßenumbauten positiv
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Einwohner:innen in Bezug auf die umgesetzten Maßnahmen?
Wenn ich auf Umfragen und nicht besonders auf laute Einzelstimmen schaue, haben wir eine deutliche Mehrheit hinter dem, was wir machen. Jede Umgestaltung zu fahrradfreundlichen Nebenstraßen lassen wir wissenschaftlich begleiten und die Vorher-Nachher-Befragungen zeigen, dass die Bewohner diese großteils gut finden, auch die Gewerbetreibenden. Die Forschungsergebnisse zur Umgestaltung des Grüneburgwegs zur fahrradfreundlichen Nebenstraße, die wir im Frühjahr vorgestellt haben, zeigen, dass rund 65 Prozent aller Befragten die Gesamtmaßnahme positiv sehen. Die Menschen fühlen sich in der Fahrradstraße insgesamt sicherer, die Anzahl der Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden ist zurückgegangen.
Die Veränderungen konnten also auch Kritiker:innen überzeugen?
Veränderungen vor der eigenen Haustür ängstigen viele Menschen in Krisenzeiten besonders. Dass sie positiv sein können, muss sich manchmal erst beweisen. In der verkehrsberuhigten Töngesgasse, einer Einkaufsstraße neben der großen Shoppingmeile Zeil, waren viele Gewerbetreibende vor der Umgestaltung sehr skeptisch. Heute fordern viele Geschäftsleute dort angesichts der viel attraktiveren, ruhigeren und grüneren Situation, dass wir die Töngesgasse komplett für Pkw sperren. Die verkehrliche Veränderung scheint sich also für die Wirtschaft gelohnt zu haben.
Mehr Rad- und weniger Autoverkehr verringert auch die Schadstoffemissionen. Konnten sie bereits positive Auswirkungen auf die Umwelt nachweisen?
Im Zuge eines Luftreinhalteplans beschloss die Stadt neben dem Radverkehrsausbau weitere Verkehrsberuhigungsmaßnahmen wie die Einführung einer Umweltzone und ordnete an vielen Stellen Tempo 40 statt Tempo 50 und in den allermeisten Wohnvierteln Tempo 30 an. Seit zwei Jahren halten wir die Luftreinhaltewerte ein. Das gesamte Maßnahmenbündel zeigt also Wirkung. Die Konzepte, die wir im Radverkehr umsetzen, sind dabei ein wichtiger Baustein.
Wie stellen Sie sicher, dass die Menschen in Frankfurt auch im Sommer bei Hitze gut mit dem Rad fahren können?
Hitze betrifft alle Verkehrsteilnehmer. Wir entsiegeln Straßen und haben bereits schöne entsiegelte Grünflächen in der Stadt. An sensiblen Bereichen verbauen wir aufgehellten Asphalt, der allerdings verhältnismäßig teuer ist und stellen kostenlose Trinkwasserbrunnen auf. Auch Pedelecs helfen, dass Menschen bei heißem Wetter weiter Rad fahren können, ohne ins Schwitzen zu geraten und nicht ins Auto steigen.
Mobilitätsexperte rät: Mit einfachen Maßnahmen loslegen
Welche Maßnahmen können sich andere deutsche Großstädte von Frankfurt abschauen?
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist unser Ansatz, nicht gleich überall den Goldstandard bauen zu wollen, sondern erst einmal schnell und pragmatisch ein großräumiges Radwegenetz zu schaffen. Die Menschen interessiert kein einzelnes schönes Straßenstück, sie haben ein Mobilitätsbedürfnis und wollen zügig, sicher und komfortabel von A nach B kommen. Dafür müssen wir Angebote mit flächigen Lösungen schaffen. Akzeptanz für die Maßnahmen schaffen wir auch, indem wir mit unseren Radvehrskehrsplanungen immer auch die Bedürfnisse der Fußgängerinnen und Fußgänger berücksichtigen. Ein eigener Radweg holt die Radfahrerinnen und Radfahrer auch von den Fußwegen herunter.
Wo möchten Sie bei der Mobilitätswende in Frankfurt in fünf Jahren stehen?
Ich wäre gerne so weit, dass wir die Lücken an Kreuzungen geschlossen und ein durchgängiges Fahrradwegenetz haben. Nach einem Jahrhundert autofreundlicher Politik braucht es einen Perspektivwechsel. Mir ist es wichtig, dass alle Verkehrsteilnehmenden Verständnis dafür aufbringen, dass es auch andere Mobilitätsbedürfnisse gibt, die ebenso berechtigt sind wie die eigenen.