In „Gibt’s das auch in Grün?“ bündeln Kerstin Scheidecker und Katja Tölle ihre langjährigen Erfahrungen als Journalistinnen bei Öko-Test. Sie decken auf, was in der Konsumgüter-Industrie schiefläuft und zeigen, wie Verbraucher:innen tatsächlich nachhaltigere Produkte erkennen können. Utopia hat ein Interview mit den Verbraucherschützerinnen geführt, um mehr über ihr Buch zu erfahren.
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Utopia: Ihr arbeitet schon lange Zeit bei Öko-Test, Kerstin seit über 20 Jahren, Katja seit 10. Was hat euch motiviert, jetzt dieses Buch zu schreiben?
Kerstin Scheidecker: Wir haben uns einfach geärgert – und das immer mehr. Auf immer mehr Produkten sind plötzlich grüne Blättchen aufgetaucht, grüne Versprechen wie „umweltfreundlich“ und „klimaneutral“ und während unserer Tests fiel auf: So wirklich umweltfreundlicher werden viele dieser Produkte eigentlich gar nicht.
Dann kam hinzu: Bei unseren Tests entdeckten wir, dass das Fleisch für die Chicken Nuggets aus Brasilien und Thailand kam, der Honig aus China und Nicaragua und die Tomaten in unserem Ketchup teilweise aus China. Und all das, ohne dass es dazu einen klaren Hinweis auf der Verpackung gegeben hätte. Die Hersteller verstecken diese Ökosünden – und wir kaufen sie. Weil wir sie selten erkennen.
Ihr schreibt, wenn ihr eines in den vielen Jahren bei Öko-Test gelernt habt, dann, dass sich die Industrie nicht freiwillig bewegt. Was sind die größten Erfolge, die ihr durch den Druck, den ihr als Verbraucherschützer:innen ausübt, bisher gefeiert habt?
Katja Tölle: Oh, das sind viele. Etliche Hersteller haben nach unseren Tests ihre Produkte vom Markt genommen und verbessert. Die Belastungen von Lebensmitteln mit Verunreinigungen wie Mineralöl oder Pestiziden haben insgesamt abgenommen – sicherlich auch, weil wir immer so genau hingeschaut haben und den Finger auf die Wunde gelegt haben.
Aber wir haben in unserer Historie auch die Gesetzgebung beeinflusst. Etwa, dass es inzwischen Grenzwerte für den krebsverdächtigen Farbbestandteil Anilin in Kinderspielzeug gibt, das ist auch eine Folge unserer konsequenten Forderung danach und unseres konsequenten Testens.
„Wir brauchen viel Geduld, aber es tut sich auch unheimlich viel“
Ich verfolge monatlich eure Tests. Dabei kommt mir immer wieder das Bild vom Kampf gegen Windmühlen in den Sinn. Wie ist es bei euch: Gibt es Punkte, die euch frustrieren, etwa weil ihr durch eure Tests immer wieder auf Mängel hinweist, die aber von den Herstellern und durch rechtliche Rahmenbedingungen einfach nicht verändert werden?
Kerstin Scheidecker: Ganz und gar nicht! Manche Dinge dauern zwar länger als wir uns das wünschen. Aber es bewegt sich vieles – und es wird sich noch viel mehr bewegen. Nehmen wir das Lieferkettengesetz, das Unternehmen jetzt zwingt, genauer auf die Anfänge ihrer Lieferketten zu schauen.
Nehmen wir die Herkunftskennzeichnungsgesetze, die – ja, langsam – aber die sich ja bewegen. Aktuell hat die EU beschlossen, dass die Herkünfte von Honig klar benannt werden müssen. Und dem ewigen Greenwashing von Unternehmen will sie nun auch ein Ende setzen. Klar geht uns die Arbeit nicht aus und wir brauchen viel Geduld, aber es tut sich auch unheimlich viel.
Gibt es bestimmte gesetzliche Regelungen, die ihr für besonders wirkungsvoll haltet und von denen ihr sagt, dass sie kommen müssen?
Katja Tölle: Ja, wir fordern eine klare Herkunftskennzeichnung auf verarbeiteten Lebensmitteln insgesamt, nicht nur auf Honig. Die Gesetze, die wir da haben, die gehen uns nicht weit genug. Und in den Tierställen, da muss der erste Schritt sein, dass die Gesetze, die es gibt, auch tatsächlich eingehalten und kontrolliert werden.
Tierställe dürfen keine juristische Grauzone bleiben. Und, wenn wir uns noch was wünschen dürfen: Die Mehrwertsteuer muss klimagerechter gestaltetet werden. Es kann nicht sein, dass die klimaschädliche Kuhmilch als Grundnahrungsmittel zählt und wir deswegen 7 Prozent Mehrwertsteuer zahlen, die regionale Bio-Hafermilch, die viel besser fürs Klima ist, aber mit 19 Prozent besteuert wird.
„Wenn der Markt festes Shampoo und Bio-Lebensmittel will, dann bekommt er das“
In eurem Buch blickt ihr auch immer wieder kritisch auf die Frage, was Verbraucher:innen mit dem Kauf von nachhaltigeren Produkten tatsächlich bewirken können. Unterm Strich: Lohnt es sich, die besseren Produkte zu kaufen, um Veränderung zu bewirken?
Kerstin Scheidecker: Ja. Wir können durch Konsumveränderungen im Kleinen etwas bewegen. Einfach, weil die Industrie das Kaufverhalten als Trend erkennt und entsprechend auch Produkte anbietet. Der Markt regelt – und wenn der Markt festes Shampoo und Bio-Lebensmittel will, dann bekommt er das.
Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher die Verantwortung für die notwendigen, großen Veränderungen tragen, die anstehen. Da sehen wir ganz klar Politik und Industrie in der Verantwortung.
Wo seht ihr die Grenzen nachhaltigen Konsums?
Katja Tölle: Der Skandal ist ja: Fast immer, wenn wir uns als Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf ökologischer, sozialer und fairer verhalten wollen, müssen wir tiefer in die Tasche greifen. Weil die Kosten auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgewälzt werden. Das kann sich natürlich nicht jeder leisten.
Und deswegen sagen wir auch ganz klar: Wer sich das nicht leisten kann, der kann wichtigeres tun. Der kann sich politisch engagieren, der kann für Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen und Unternehmen immer wieder fragen: Gibt’s das auch in Grün? So wie wir das tun und weiter tun werden.
„Unser Tomatenmüll wird nach Afrika verkauft“
Das Kapitel über die Fleischindustrie ist besonders – man muss sagen – erwartungsgemäß düster. Unterm Strich lautet hier eure Empfehlung, weniger, dafür aber besseres Fleisch zu essen. Warum überhaupt noch Fleisch?
Katja Tölle: Na klar, gern gar kein Fleisch mehr! Ich esse seit mehr als 30 Jahren keins mehr. Aber es geht uns natürlich auch darum, die Menschen abzuholen, die einsteigen wollen, die erste Stellschrauben drehen möchten, um nachhaltiger zu leben. Und da bringt eben auch schon die Reduktion etwas. Aber klar: Vegan zu leben ist natürlich das Beste für Klima, Umwelt und Tiere. Nur das kann und will eben nicht jede und jeder.
Eines der ersten Kapitel handelt von verarbeiteten Tomaten. Obwohl ich hier einiges an Vorwissen hatte, habe ich mir nach dem Lesen die Frage gestellt: Wie schlecht kann die Welt eigentlich sein und wie absurd ist es, das an Ketchup und Dosentomaten festmachen zu können? Wie geht ihr persönlich mit dieser Ernüchterung um und was ratet ihr den Leser:innen eures Buches?
Kerstin Scheidecker: Die Geschichte der Tomaten ist tatsächlich schwer zu ertragen. Gerade in hoch verarbeiteten Produkten wie Ketchup oder Fertigpizzen stecken oft Tomaten aus China. Und das ist nicht nur ein ökologisches Problem.
Dort arbeiten auch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf den Feldern, die für ihre Arbeit überhaupt kein Geld bekommen. Und dann kommt noch hinzu, dass unser Tomatenmüll, also verdorbene Tomaten, oft nach Afrika verkauft werden und dort mit ihren Dumpingpreisen die lokalen Märkte zerstören.
Wie wir persönlich damit umgehen? Wir machen immer wieder auf diese Missstände aufmerksam und sensibilisieren für diese Probleme. Denn klar können wir Verbraucherinnen und Verbraucher etwas tun: Wenn auf der Verpackung von Tomatenprodukten kein Hinweise auf eine Herkunft steht, dann können wir nicht ausschließen, dass die Tomaten aus China kommen. Wir können stattdessen Lebensmittel kaufen, deren Herkunft klar auf der Verpackung steht. Und dafür kämpfen, dass das bald gesetzlich verpflichtend wird.
„Gibt’s das auch in Grün?
Tricks der Industrie durchschauen, nachhaltig einfkaufen“
von Kerstin Scheidecker und Katja Tölle
Ab 7. Februar 2024 im Campus-Verlag.
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