Ob an Plastikflaschen oder an Getränkekartons: Fest verbundene Deckel (die sogenannten Tethered Caps) sollen der Umwelt helfen, nerven aber viele Verbraucher:innen. Ein Jahr nach der Einführung ist es Zeit für ein Zwischenfazit.
Seit Juli 2024 sind sie in der gesamten Europäischen Union Pflicht: fest verbundene Deckel an PET-Flaschen und Getränkekartons. Die sogenannten „Tethered Caps“ sollen Plastikmüll in der Umwelt reduzieren, stoßen bei Verbraucher:innen jedoch noch immer auf Kritik. Ein Jahr nach der verpflichtenden Einführung blickt Utopia.de auf die Argumente für und gegen fest verbundene Deckel, um die Frage zu klären: Sind Tethered Caps sinnvolle Umweltretter oder verbraucherfeindliche Nervensägen?
Warum sind Tethered Caps seit Juli 2024 Pflicht?
Die Ursache für die Einführung fest verbundener Deckel ist die EU-Richtlinie 2019/904, die die Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt verringern soll. Diese sogenannte Einwegkunststoff-Richtlinie trat am 3. Juli 2024 in der EU in Kraft und betrifft alle Einweg-Getränkebehälter aus Kunststoff mit einem Fassungsvermögen von bis zu drei Litern. Auch Verbundmaterialien, die etwa bei Getränkekartons zum Einsatz kommen, fallen unter die Regelung.
Der Hintergrund: Plastikflaschendeckel zählen laut einer Untersuchung der Europäischen Kommission zu den fünf häufigsten an europäischen Stränden vorgefundenen Abfällen. Mit der Verpflichtung zur dauerhaften Befestigung sollen diese Verschlüsse zusammen mit der Verpackung gesammelt und recycelt werden, anstatt in der Umwelt zu landen.
Von der Tethered-Caps-Pflicht ausgenommen sind Behälter aus Glas oder Metall sowie Mehrwegbehälter. Auch „Getränkebehälter für flüssige Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ fallen nicht unter die Verpflichtung.
Verbraucher:innen sind genervt von Tethered Caps
Die Verbraucherakzeptanz der Tethered Caps fällt auch ein Jahr nach der Einführung ernüchternd aus: Laut einer aktuellen repräsentativen Befragung des Nürnberger Instituts für Marktentscheidungen (NIM) bewerten 63 Prozent der Befragten die fest verbundenen Deckel im Vergleich mit herkömmlichen Verschlüssen als schlechter.
Fast alle Befragten hätten über Probleme im Umgang mit Tethered Caps berichtet, so das NIM. Besonders häufig wurde kritisiert, dass die Deckel das Trinken umständlicher machten (63 Prozent) und dass sie beim Ausgießen störten (55 Prozent). Jede:r Fünfte gab sogar an, Produkte mit fest verbundenen Deckeln zu meiden.
„Dennoch zeichnet sich ein breiter Boykott entsprechend ausgerüsteter Flaschen nicht ab“, sagt Studienleiter Matthias Unfried. „So groß der Ärger mit den Deckeln ist – die Deutschen scheinen sich insgesamt damit zu arrangieren.“ Das ist allerdings nicht für alle Menschen gleich einfach.
Beeinträchtigte Personen haben Schwierigkeiten mit den Deckeln
Eine umfassende Studie des DIN-Verbraucherrats von September 2024 untersuchte gezielt die Gebrauchstauglichkeit der Tethered-Caps für besonders schutzbedürftige Gruppen. Die Deckel wurden an 30 Personen getestet, darunter:
- 6 Kinder zwischen 6 und 9 Jahren
- 6 ältere Erwachsene ab 70 Jahren
- 6 Personen mit manuellen Einschränkungen (z. B. rheumatoide Arthritis)
- 6 Personen mit Sehbeeinträchtigungen (z. B. Hornhautverkrümmung)
- 6 Personen ohne besondere Einschränkungen (als Vergleichsgruppe)
Das Ergebnis: Kinder, ältere Menschen und Personen mit körperlichen Einschränkungen hatten erhebliche Probleme beim Öffnen und Schließen der Flaschen. Die Studie dokumentierte vermehrte Verschüttungen, Verletzungsrisiken und sogar die völlige Unfähigkeit bestimmter Teilnehmer:innen, die Behälter zu öffnen.
Dass Umweltmaßnahmen Menschen mit Behinderungen das Leben schwerer machen können, hat auch Raúl Krauthausen 2023 im Interview mit Utopia.de erklärt. Damals kritisierte er das Plastikstrohhalm-Verbot, da bei anderen Materialien wie Metall oder Glas die Verletzungsgefahr höher sei:
Gute und schlechte Tethered Caps
In der DIN-Studie gab es allerdings erhebliche Unterschiede in der Bewertung der einzelnen Tethered-Cap-Varianten. Am schlechtesten abgeschnitten haben Sports Caps. Dabei handelt es sich um die eng zulaufenden Verschlüsse von Sportgetränken, bei denen eine dauerhafte Befestigung für beeinträchtigte Personen eine besondere Hürde darstellen. Sports Caps erhielten nur 3,8 von 10 möglichen Punkten. Eine Versuchsperson mit manuellen Einschränkungen kritisierte: „Du hast keine Chance. Ich wüsste nicht, wie ich daraus trinken soll. Ich habe mich auch schonmal dran geschnitten im Gesicht.“
Deutlich bedienungsfreundlicher waren hingegen Hinge Caps/Clip Aside Caps und Twist Caps, die jeweils 6,9 von 10 Punkten erhielten. Bei den Hinge Caps handelt es sich um klassische Drehverschlüsse. Die Clip Aside Caps (im Titelbild dieses Artikels zu sehen) stellen eine weiterentwickelte Form davon dar, bei der sich die Deckel wegknicken lassen und in dieser Position verharren. Teilweise wird diese „Feststellfunktion“ durch ein Klickgeräusch verdeutlicht. Eine Person aus der älteren Gruppe sagte: „Der Verschluss ist leicht zu handhaben, hat eine vernünftige Griffläche und ist stabil, er geht gut auf und bleibt so. Ich kann gut trinken und genießen.“
Auch Twist Caps schnitten relativ gut ab. Im Unterschied zu den Clip Aside Caps rasten diese zwar nicht ein, lassen sich dafür aber frei um den Verschluss herumbewegen. „Man kann den Deckel so drehen, dass man ohne Hindernis eingießen kann“, beschrieb eine visuell beeinträchtigte Person die Bedienung. Trotz dieser positiven Kommentare zeigt die verhaltene Gesamtwertung: Keine Tethered-Cap-Variante konnte die Testpersonen komplett überzeugen.
Doch genug von der Bedienung: Wie sieht es mit den Umweltvorteilen aus? Erfüllen die Deckel zumindest ihren vorgesehenen Zweck?
Die Umweltperspektive: Das sollen Tethered Caps bewirken
Die Idee hinter den Tethered Caps ist schnell erklärt: Fest verbundene Deckel lassen sich nur mit Gewalt oder Werkzeug von den Flaschen trennen. Dadurch werden sie seltener separat weggeworfen, gelangen weniger oft in Gewässer, Wälder oder an Strände und landen stattdessen im Recyclingkreislauf.
Die Trennung von Flasche und Deckel ist beim Recycling zudem kein Problem: „Da beide Teile aus unterschiedlich dichten Kunststoffen bestehen, lassen sich die Materialien dann durch das Schwimm-Sink-Verfahren trennen: Die Flaschen sinken zu Boden, während der Deckel schwimmt“, erläuterte Expertin Lena Langenkämper gegenüber Utopia.de.
In der Theorie sind Tethered Caps also eine sinnvolle Maßnahme, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Plastikdeckel auch tatsächlich recycelt werden und nicht die Umwelt verschmutzen. Aber wie groß ist der Effekt in der Praxis?
Der ökologische Nutzen ist umstritten
Der Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) äußert sich kritisch: Mit den neuen Deckeln sei ein Problem gelöst worden, „das es gar nicht gab“, sagte eine Sprecherin der Tagesschau. PET-Einwegflaschen mit Pfand hätten hierzulande demnach ohnehin eine Sammelquote von nahezu 100 Prozent, meist inklusive Verschluss.
Bei diesem Argument sollte man allerdings nicht vergessen, dass Deutschland eine Ausnahmeerscheinung beim Sammeln von Pfandflaschen ist, die Richtlinie jedoch EU-weit gilt und andernorts möglicherweise einen größeren Effekt hat. Laut Sensoneo, einem IT-Dienstleister für Pfandsysteme, liegt die Rückgabequote in Deutschland bei 98 Prozent – EU-weiter Spitzenwert. Andere Länder wie Griechenland (28 Prozent) oder Polen (43 Prozent) schneiden deutlich schlechter ab. Vielerorts gibt es noch nicht mal ein Pfandsystem. 2022 lag der EU-Durchschnitt laut einer ICIS-Studie daher nur bei 60 Prozent.
Selbst wenn die Regelung also für Deutschland unnötig ist, so könnte sie dennoch sinnvoll sein, wenn sie in der EU insgesamt für weniger Plastikdeckel in der Natur sorgt. Doch ob die Tethered-Caps den erhofften Umwelteffekt haben, konnte bisher nicht nachgewiesen werden.
Eine Untersuchung an der schwedischen Westküste kommt sogar zu einem gegenteiligen Ergebnis: Wie der Radiosender P4 Väst berichtet, wurden dort 2024 dreimal so viele Plastikflaschendeckel gefunden wie 2023. Politiker:innen der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) griffen diese Meldung auf und stellten im Mai eine parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission. Sie forderten eine Prüfung der Regelung und deren Anpassung oder gar Abschaffung, sollte sie sich als kontraproduktiv erweisen.
Die Antwort der Kommission: „Eine einzelne Studie, die nur eine bestimmte Region abdeckt, kann nicht verallgemeinert werden, um daraus zu schließen, dass die Maßnahme EU-weit ineffektiv wäre.“ Da die Tethered-Cap-Pflicht erst im Juli 2024 eingeführt wurde, sei zunächst eine kontinuierliche Untersuchung notwendig, bevor eine wissenschaftlich stichhaltige Bewertung der Wirkung durchgeführt werden könne, so die Kommission.
Für ein echtes Fazit fehlen belastbare Daten
Die Umweltschutzorganisation Rethink Plastic hat die EU-Einwegkunststoff-Richtlinie im Dezember 2024 bereits einem Zwischenfazit unterzogen. Auch wenn sie der Richtlinie allgemein einige „signifikante Erfolge“ attestierte, fehlten für eine Beurteilung der Tethered Caps noch Daten. Im Bericht heißt es: „Konstruktionsvorschriften, wie z. B. Flaschenverschlüsse, haben das Bewusstsein für Einwegplastik sowohl bei den Herstellern als auch bei den Verbrauchern geschärft. Da die Umsetzungsfrist jedoch noch nicht lange zurückliegt, können wir die Wirksamkeit dieser Designmaßnahme in der gesamten EU nicht eindeutig bewerten.“
Bis 3. Juli 2027 muss die EU-Kommission eine Prüfung der Einwegplastik-Richtline durchführen. So fordert es Artikel 15 der Richtlinie. Spätestens dann sollte es umfassende Daten darüber geben, ob die Tethered Caps ihr Versprechen erfüllen, die Umweltverschmutzung durch Plastikdeckel tatsächlich zu verringern.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist jedenfalls skeptisch: Laut NIM-Befragung hält nicht mal jede:r Dritte (32 Prozent) die Einführung der Tethered Caps in Hinblick auf den Umweltschutz für sinnvoll. Auch die Teilnehmenden der DIN-Befragung äußerten sich verwundert über die EU-Regelung: „Mir erschließt sich der Hintergrund nicht. Werden die Dinger wirklich separat entsorgt? Das macht man doch nicht“, meinte eine Testperson. Und eine andere sagte: „Es ist gut gemeint, aber löst in keiner Weise das Gesamtproblem. Wir haben andere Umweltprobleme.“
Nachhaltiger als Tethered Caps: Mehrwegverpackungen
Die Tethered-Cap-Pflicht betrifft übrigens nur Einwegverpackungen. Wer umweltbewusst einkaufen möchte, sollte ohnehin lieber zu Mehrwegbehältern greifen. Einen Vergleich zwischen der Nachhaltigkeit verschiedener Einweg- und Mehrweggetränkebehälter findest du in folgendem Artikel:
Bei Einweg-Getränkekartons ist die Lage allerdings komplexer. Diese können laut dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) durchaus eine ökologisch sinnvolle Verpackung darstellen: „Gründe dafür sind, dass es kaum Mehrweg-Abfüller in Deutschland gibt. So sind die Transportwege sehr weit und auch die Rücklaufquoten eher gering. Bei Mehrweg-Milchflaschen sollte man daher auf eine regionale Abfüllung achten.“
Utopia.de meint: Daten sammeln und positiv bleiben
Auch wenn fest verbundene Deckel an Plastikflaschen und Getränkekartons weiterhin unbeliebt sind: Eine Abschaffung der Tethered Caps, ohne zuvor eine umfassende Prüfung des Umwelteffekts durchzuführen, wäre keine gute Idee. Schließlich hat die Industrie bereits viel Geld in die Umstellung gesteckt (allein Tetra Pak 400 Millionen Euro). Außerdem ist die Grundannahme der Regelung einleuchtend: nämlich, dass weniger Plastikdeckel in der Natur landen, wenn diese fest mit den Flaschen verbunden sind.
Sollte sich jedoch bei der kommenden Evaluation der EU-Kommission im Jahr 2027 herausstellen, dass die Umstellung keinen nennenswerten Effekt hatte, sollte die Richtlinie entsprechend gelockert werden. Denn eine Umweltschutzmaßnahme, die keinen Umweltschutz bringt, wäre erstens unnötig, und zweitens gefundenes Fressen für Populist:innen, die eine solche Richtlinie ausschlachten würden, um das Vertrauen in die EU weiter zu schwächen.
Als Verbraucher:innen sollten wir solange das Beste aus der Situation machen und unseren Blick auf die positiven Aspekte lenken: Tethered Caps bieten immerhin den Vorteil, dass die Deckel nicht verloren gehen oder auf den Boden fallen können, wo sie dreckig werden.
Außerdem scheinen sich Verbraucher:innen, wenn auch nur langsam, an die fest verbundenen Deckel zu gewöhnen. Die Zahl der Beschwerden sei laut VDM bereits deutlich zurückgegangen, berichtet die Tagesschau. Vielleicht ist eine friedliche Koexistenz zwischen Verbraucher:innen und Tethered Caps am Ende doch möglich – Gewöhnungseffekt sei Dank.