Klimaschutz in Deutschland bringt nichts? Warum das Zwei-Prozent-Argument von Merz irreführt

Merz Klimaschutz
Foto: CCO / Screenshot Youtube

„Allein können wir nichts ändern“ – dieser Satz klingt logisch, ist bequem und dient oft als Ausrede für Untätigkeit. Genau dieses Argument bemühte CDU-Chef Friedrich Merz kürzlich im Bundestag – in einer der drängendsten Fragen unserer Zeit: dem Klimaschutz.

Mit dieser Aussage relativiert Merz die Bedeutung deutscher Klimapolitik und bedient ein Narrativ, das zwar rechnerisch einfach klingt, aber wissenschaftlich und politisch irreführend ist. Das sogenannte Zwei-Prozent-Argument greift zu kurz – und verkennt zentrale Fakten. Denn Klimapolitik funktioniert nicht wie ein Taschenrechner. Hier sind die wichtigsten Gründe, warum Deutschlands Beitrag zählt.

1. Verantwortung entsteht durch Mitwirkung – nicht durch Größe

Klimaschutz gelingt nur durch kollektives Handeln. Oder, wie es Klimaforscher Stefan Rahmstorf treffend formuliert hat:

„Wenn jeder sagt, wir sind nur für zwei Prozent zuständig, dann können wir die Erde in 50 Teile teilen, und jeder sagt, er ist nicht zuständig – und am Ende macht keiner was.“

Gerade Deutschland – als wohlhabendes Industrieland mit Innovationskraft – hat die Möglichkeit, voranzugehen und andere mitzuziehen. Verantwortung bemisst sich nicht an Prozentzahlen, sondern an der Bereitschaft, Teil der Lösung zu sein.

2. Deutschland verursacht überdurchschnittlich viel CO₂

Pro Kopf emittiert Deutschland rund 9,7 Tonnen CO₂ pro Jahr – fast doppelt so viel wie der weltweite Durchschnitt (ca. 5 Tonnen). Länder wie Kenia oder Nepal kommen auf weniger als 0,3 Tonnen. Deutschland lebt also über seine Verhältnisse – und trägt eine überproportionale Verantwortung.

Wer mehr verursacht, muss auch mehr tun. Das ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit – und der Glaubwürdigkeit.

3. Klimaschutz ist Pflicht, nicht Kür

Deutschland ist völkerrechtlich verpflichtet zu handeln – unabhängig vom eigenen Emissionsanteil. Das Pariser Klimaabkommen verlangt ambitionierte Maßnahmen, das Grundgesetz (Art. 20a) verpflichtet zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – auch für kommende Generationen.

Das Zwei-Prozent-Argument mag rechnerisch klingen, steht aber rechtlich wie moralisch auf wackeligem Fundament.

4. Auch China und die USA bewegen sich – mit Widersprüchen

Natürlich braucht es die großen Emittenten – und auch dort tut sich etwas. In China stammt über die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Der Ausbau von Wind- und Solarenergie läuft auf Rekordniveau, gleichzeitig werden weiterhin Kohlekraftwerke gebaut – vor allem zur Absicherung der Energieversorgung. Kohle gilt offiziell als Übergangstechnologie, die langfristig ersetzt werden soll. Im ersten Quartal 2025 sind Chinas CO₂-Emissionen erstmals zurückgegangen – trotz weiterem Wirtschaftswachstum.

Auch in den USA ist das Bild ambivalent: Bundesstaaten wie Kalifornien treiben ambitionierte Klimapolitik voran, während die Bundesebene in der Vergangenheit – etwa unter Trump – den Klimaschutz ausgebremst hat. Dennoch sorgen Marktkräfte und neue Förderprogramme wie der Inflation Reduction Act für einen rasanten Ausbau grüner Technologien.

China und die USA zeigen Bewegung beim Klimaschutz – aber auch, wie groß die Widersprüche im Übergang zur Klimaneutralität noch sind.

5. Kipppunkte im Klimasystem: Kleine Beiträge, große Wirkung

Das Klimasystem funktioniert nicht linear: Es enthält sogenannte Kipppunkte – Schwellen, bei deren Überschreiten sich Prozesse wie das Abschmelzen der Eisschilde oder das Absterben des Amazonas-Regenwalds verselbstständigen. Auch kleine Emissionsmengen können dazu beitragen, diese Schwellen zu überschreiten

Deshalb zählt jede eingesparte Tonne CO₂. Jeder Beitrag hilft, die Risiken zu minimieren – auch der deutsche.

6. Deutschlands Vorbildwirkung wirkt weit über die Grenzen hinaus

Deutschland ist eine führende Industrienation mit globaler Ausstrahlung – technologisch, wirtschaftlich, politisch. Unsere Volkswirtschaft ist eng verflochten mit anderen – insbesondere mit China, wo ein erheblicher Teil unserer Konsumgüter produziert wird. Die Emissionen, die dabei entstehen, tauchen zwar in der chinesischen Bilanz auf – resultieren aber aus unserem Konsum. In einer globalisierten Welt lassen sich Verantwortung und Verursachung nicht national trennen.

Zugleich zeigt Deutschland, dass nationale Klimapolitik international wirken kann: Die frühe Förderung von Wind- und Solarenergie hat weltweit Preise gesenkt und Märkte geöffnet. Politische Programme wie der EU-Plan „Fit for 55“ setzen Standards, an denen sich andere Länder orientieren. Wer vorangeht, verändert – nicht durch Größe, sondern durch Wirkung.

Verantwortung beginnt nicht bei Prozentzahlen – sondern bei Haltung

Das Zwei-Prozent-Argument klingt rational – ist aber politisch bequem und wissenschaftlich verkürzt. Es blendet aus, dass Klimaschutz eine globale Gemeinschaftsaufgabe ist, bei der jeder Beitrag zählt. Deutschland trägt nicht nur rechnerisch Verantwortung – sondern auch historisch, wirtschaftlich und technologisch.

Wer den eigenen Beitrag kleinrechnet, macht sich größerer Veränderungen mitschuldig. Wer vorangeht, bewegt etwas – durch Innovation, Vorbildwirkung und Glaubwürdigkeit. Und wer heute handelt, zahlt morgen weniger: für Extremwetter, Versorgungskrisen und geopolitische Abhängigkeiten.

Klimaschutz ist kein Rechenspiel – sondern die Frage, ob wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, bevor es zu spät ist.

Quellen: ZEIT, Spiegel, Phoenix / Youtube, Globalcarbonatlas, Standard, GEO

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