„Allein können wir nichts ändern“: Dieser Satz klingt logisch, ist bequem und dient oft als Ausrede für Untätigkeit. Genau dieses Argument bemühte CDU-Chef Friedrich Merz kürzlich im Bundestag – in einer der drängendsten Fragen unserer Zeit: dem Klimaschutz.
„Deutschland hat ungefähr 1 % der Weltbevölkerung, wir stellen ungefähr 2 % des Problems dar. Selbst wenn wir morgen klimaneutral wären, würde keine einzige Naturkatastrophe auf der Welt weniger geschehen“, sagte Bundeskanzler Merz. Mit dieser Aussage relativiert er die Bedeutung deutscher Klimapolitik und bedient ein Narrativ, das zwar rechnerisch einfach klingt, aber wissenschaftlich und politisch irreführend ist. Das sogenannte Zwei-Prozent-Argument greift zu kurz und verkennt zentrale Fakten. Denn Klimapolitik funktioniert nicht wie ein Taschenrechner. Hier sind die wichtigsten Gründe, warum Deutschlands Beitrag zählt.
1. Verantwortung entsteht durch Mitwirkung, nicht durch Größe
Klimaschutz gelingt nur durch kollektives Handeln. Oder, wie es Klimaforscher Stefan Rahmstorf treffend formuliert hat:
„Wenn jeder sagt, wir sind nur für zwei Prozent zuständig, dann können wir die Erde in 50 Teile teilen, und jeder sagt, er ist nicht zuständig – und am Ende macht keiner was.“
Man kommt ja auch nicht auf die Idee zu sagen: „Ich zahle nur ein Millionstel der Steuern in Deutschland, also kann ich mir das sparen“.
Gerade Deutschland als wohlhabendes Industrieland mit Innovationskraft hat die Möglichkeit, voranzugehen und andere mitzuziehen. Verantwortung bemisst sich nicht an Prozentzahlen, sondern an der Bereitschaft, Teil der Lösung zu sein.
2. Deutschland verursacht überdurchschnittlich viel CO₂
Pro Kopf emittiert Deutschland rund 9,7 Tonnen CO₂ pro Jahr – fast doppelt so viel wie der weltweite Durchschnitt (ca. 5 Tonnen). Länder wie Kenia oder Nepal kommen auf weniger als 0,3 Tonnen. Deutschland lebt also über seine Verhältnisse und trägt eine überproportionale Verantwortung.
Wer mehr verursacht, muss auch mehr tun. Das ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit – und der Glaubwürdigkeit.
3. Klimaschutz ist Pflicht, nicht Kür
Deutschland ist völkerrechtlich verpflichtet zu handeln und zwar unabhängig vom eigenen Emissionsanteil. Das Pariser Klimaabkommen verlangt ambitionierte Maßnahmen, das Grundgesetz (Art. 20a) verpflichtet zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – auch für kommende Generationen.
Das Zwei-Prozent-Argument mag rechnerisch klingen, steht aber rechtlich wie moralisch auf wackeligem Fundament.
4. Auch China und die USA bewegen sich – mit Widersprüchen
Natürlich braucht es die großen Emittenten. Aber auch dort tut sich etwas. In China stammt über die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Der Ausbau von Wind- und Solarenergie läuft auf Rekordniveau. Gleichzeitig werden weiterhin Kohlekraftwerke gebaut, vor allem zur Absicherung der Energieversorgung. Kohle gilt offiziell als Übergangstechnologie, die langfristig ersetzt werden soll. Im ersten Quartal 2025 sind Chinas CO₂-Emissionen erstmals zurückgegangen – trotz weiterem Wirtschaftswachstum.
Auch in den USA ist das Bild ambivalent: Bundesstaaten wie Kalifornien treiben ambitionierte Klimapolitik voran, während die Bundesebene in der Vergangenheit – etwa unter Trump – den Klimaschutz ausgebremst hat. Dennoch sorgen Marktkräfte und neue Förderprogramme wie der Inflation Reduction Act für einen rasanten Ausbau grüner Technologien.
China und die USA zeigen Bewegung beim Klimaschutz, aber auch, wie groß die Widersprüche im Übergang zur Klimaneutralität noch sind.
5. Kipppunkte im Klimasystem: Kleine Beiträge, große Wirkung
Das Klimasystem funktioniert nicht linear: Es enthält sogenannte Kipppunkte – Schwellen, bei deren Überschreiten sich Prozesse wie das Abschmelzen der Eisschilde oder das Absterben des Amazonas-Regenwalds verselbstständigen. Auch kleine Emissionsmengen können dazu beitragen, diese Schwellen zu überschreiten
Deshalb zählt jede eingesparte Tonne CO2. Jeder Beitrag hilft, die Risiken zu minimieren, auch der deutsche.
6. Deutschlands Vorbildwirkung wirkt weit über die Grenzen hinaus
Deutschland ist eine führende Industrienation mit globaler Ausstrahlung – technologisch, wirtschaftlich, politisch. Unsere Volkswirtschaft ist eng verflochten mit anderen, insbesondere mit China, wo ein erheblicher Teil unserer Konsumgüter produziert wird. Die Emissionen, die dabei entstehen, tauchen zwar in der chinesischen Bilanz auf, resultieren aber aus unserem Konsum. In einer globalisierten Welt lassen sich Verantwortung und Verursachung nicht national trennen.
Zugleich zeigt Deutschland, dass nationale Klimapolitik international wirken kann: Die frühe Förderung von Wind- und Solarenergie hat weltweit Preise gesenkt und Märkte geöffnet. Politische Programme wie der EU-Plan „Fit for 55“ setzen Standards, an denen sich andere Länder orientieren. Wer vorangeht, verändert – nicht durch Größe, sondern durch Wirkung.
Verantwortung beginnt nicht bei Prozentzahlen, sondern bei Haltung
Das Zwei-Prozent-Argument klingt rational, ist aber politisch bequem und wissenschaftlich verkürzt. Es blendet aus, dass Klimaschutz eine globale Gemeinschaftsaufgabe ist, bei der jeder Beitrag zählt. Deutschland trägt nicht nur rechnerisch Verantwortung, sondern auch historisch, wirtschaftlich und technologisch.
Wer den eigenen Beitrag kleinrechnet, macht sich größerer Veränderungen mitschuldig. Wer vorangeht, bewegt etwas – durch Innovation, Vorbildwirkung und Glaubwürdigkeit. Und wer heute handelt, zahlt morgen weniger: für Extremwetter, Versorgungskrisen und geopolitische Abhängigkeiten.
Klimaschutz ist kein Rechenspiel – sondern die Frage, ob wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, bevor es zu spät ist.
Quellen: ZEIT, Spiegel, Phoenix / Youtube, Globalcarbonatlas, Standard, GEO
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