Comedian Felix Lobrechts Argumente für die Einführung von Gesamtschulen schlagen online Wellen: Er wirft Lehrer:innen an Gymnasien vor, sich „die Eier zu schaukeln“ und erklärt, warum eine Abschaffung der Schulform seiner Meinung nach für mehr Fairness sorgen könnte.
In seinem Podcast „Gemischtes Hack“ hat Comedian Felix Lobrecht gesagt, dass es „keinen Grund“ für Gymnasien gebe und sie lediglich eine soziale „Abgrenzung nach unten“ seien. Wie er in der darauffolgenden Podcast-Folge offenbart, erntete er einen Shitstorm für dieses Statement – stehe jedoch nach wie vor zu seinen Aussagen. Seiner Auffassung nach sind die Argumente seiner Kritiker:innen schwach, und sie fühlten sich lediglich „an den Eiern gekitzelt“.
„Das würde so viel verändern“: Lobrechts Argumente pro Gesamtschule
Der Podcaster ist für die Abschaffung von Gymnasien und spricht sich stattdessen für die Einführung von Gesamtschulen aus: „Wenn man einfach eine Gesamtschule machen würde, auf die alle Schüler aus allen Schichten gemeinsam gehen, das würde so viel verändern.“
Er greift auch gängige Argumente für das Fortbestehen von Gymnasien an: Dass Gesamtschulen leistungstechnisch schlechter abschneiden als Gymnasien, sei infolge einer Abschaffung „komplett hinfällig“. Er räumt jedoch ein, dass man an „total vielen Stellschrauben drehen“ müsse – dass es also mit einer Umstellung auf Gesamtschulen nicht getan sei. Diese Stellschrauben sind seiner Ansicht nach zum Teil dieselben, die derzeit Gymnasiast:innen zu besseren Leistungen verhelfen: Die meisten gut ausgebildeten Lehrer:innen würden sich ihm zufolge eher für Gymnasien entscheiden, „und sich die Eier schaukeln“, weil sie „da weniger Ärger haben als auf einer Gesamtschule.“
Was ist dran an den Argumenten für die Gesamtschule?
Lobrechts Aussagen werden zum Teil von Expert:innen-Einschätzungen gestützt. Bildungsforscher Jürgen Baumert beschreibt gegenüber dem Spiegel zum Beispiel, dass Schüler:innen an Gymnasien mehrfach privilegiert seien: Die Lehrkräfte seien tatsächlich in der Regel besser ausgebildet, und Verhaltensauffälligkeiten unter den Schüler:innen seien seltener. All das mache es den Kindern dort leichter, effektiv zu lernen.
Für einige kann das Gymnasium jedoch auch mit einer Gesamtschule koexistieren: Rita Nikolai, Bildungsforscherin und Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Vergleichende Bildungsforschung, erklärt in einem Interview mit dem Spiegel, wie der Übergang in die weiterführende Schule sozial gerechter werden könnte. Neben dem Gymnasium sollte es ihr zufolge eine attraktive zweite Säule geben, in die alle Schulformen integriert sind. Das Abitur sollte dort angeboten werden, jedoch auch andere Abschlüsse.
Die Idee der „zweiten Säule“ wird in verschiedenen Bundesländern bereits getestet, so die Expertin. In Hamburg laufen dieser zum Beispiel unter dem Namen der Stadtteilschulen. Auch in Berlin gibt es einen ähnlichen Ansatz. Weil dort jedoch einige der Sekundarschulen eine Oberstufe im Stil des Gymnasiums haben, andere nicht, führe dies dennoch zu Frustration: Zwischen den Schulen ohne und mit Abitur-Möglichkeit tut sich wieder eine soziale Schere auf, erklärt die Forscherin.
Schüler:innen-Auslese nach dem Leistungsprinzip?
Ein weiteres Argument gegen das bestehende Schulsystem ist Nikolai zufolge: Meist sind es die Lehrkräfte, die während der Grundschulzeit die Schüler:innen auswählen, die ihren Ansichten zufolge fürs Gymnasium geeignet seien. Doch deren Einschätzungen zu den Leistungen der Kinder sind nicht unbedingt korrekt. Nikolai erwähnt Studien, die zeigen, dass sich die Lehrkräfte auch dabei von der sozialen Schicht des Elternhauses beeinflussen lassen, sodass wieder eher die Kinder mit Akademiker-Eltern aufs Gymnasium geschickt werden.
Und selbst für die Kinder, die es aufs Gymnasium „schaffen“, ist der Druck Expert:innen zufolge enorm. Martin Löwe, Vorsitzender des Bayerischen Landeselternverbandes, sagt im Spiegel-Beitrag: „Für Kinder ist der Druck davor enorm, teilweise schon seit der ersten Klasse.“ Die vierte Klasse sei fast als ein „Grundschul-Abitur“ für die Kinder anzusehen, für die sie intensiv von ihren Eltern vorbereitet würden. „Kindliche Bedürfnisse bleiben bei diesem ganzen Auswahlverfahren oft auf der Strecke,“ so der Forscher. Auch diesen Druck, den er als „kinderfeindlich“ bezeichnet, könne man Befürworter:innen zufolge durch eine Gesamtschule vermeiden.
Warum also noch das alte System?
Expert:innenmeinungen zufolge existiert das Gymnasium in seiner derzeitigen Form hauptsächlich noch aus politischen Gründen: Dortmunder Bildungsforscher Wilfried Bos sagt beispielsweise in einem Interview mit der SZ: „Eine Partei, die das Ende des Gymnasiums forderte, würde nicht wiedergewählt. Deshalb wird es dazu nie kommen, so einfach ist das.“ Auch Nikolai nennt im Spiegel-Interview eine mögliche Reformagenda „politischen Selbstmord“ für denjenigen, der sie vorschlägt.
Neben der schlechten Realisierbarkeit gibt es auch Argumente, die auf die Qualität der Ausbildung abzielen: Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes, sorgt sich beispielsweise in einem Interview mit der taz um die Qualität des Abiturs: Hinter der Studienberechtigung vieler Abiturient:innen stecke heute gar keine Befähigung mehr, tatsächlich ein Studium schaffen zu können.
Was die Entscheidung außerdem schwierig macht: Ob Kinder in Gymnasien tatsächlich besser lernen, ist bisher weder bewiesen noch widerlegt. Länder ohne Gymnasien schneiden in der Pisa-Studie teils besser ab als Deutschland, teils schlechter. In „Friedrichs Bildungsblog“ der Friedrich-Ebert-Stiftung wird dazu die wissenschaftliche Leitung von Pisa-Deutschland zitiert: Dass Kinder so früh in verschiedene Schulen aufgeteilt werden, sei ein deutscher Sonderfall, weswegen man international gar keine Vergleiche ziehen könne.
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