Utopia Image

Aktivismus ohne Hoffnung: Wie die Kollapsologie-Bewegung der Klimakrise begegnet

Kollapsologie
Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Naht das Ende unserer Zivilisation? Wissenschaftler:innen rätseln, wie sich diese Frage angesichts der Klimakrise beantworten lässt. Die Kollapsologie-Bewegung hat ihre Antwort gefunden, will aber trotzdem nicht resignieren.

Das Ende der Zivilisation wird alle zwei Wochen diskutiert – online im „Klima-Kollaps Café“. „Die Geschwindigkeit, in der die Zerstörung der belebten Natur und der Lebensräume voranschreitet, lässt keinen anderen Schluss zu. Das ist einfach logisch, das ist zwangsläufig“, sagt Sibylle Eimermann-Gentil, die sich regelmäßig an den Online-Treffen beteiligt. 

Sie ist Teil der Kollapsologie-Bewegung, einer Denkströmung, die besonders durch den französischen Agrarwissenschaftler Pablo Servigne Bekanntheit erlangte. Gemeinsam mit dem Öko-Berater Raphaël Stevens schrieb er das Buch „Wie alles zusammenbrechen kann“. Servigne geht fest davon aus, dass die Anstrengungen zur Bekämpfung der Klimakrise scheitern, das Ökosystem kollabiert und die menschliche Zivilisation endet.

Auch die Anhänger:innen in Deutschland prognostizieren, dass sich menschliche Lebensgrundlagen durch ökologische Krisen weltweit dramatisch verschlechtern werden. Er gehe von viel Leid und vielen Toten aus, betont der Gründer des Klima-Kollaps Cafés, Norbert Prinz. „Der Zivilisationskollaps ist das wahrscheinlichste Szenario. Es gibt doch keinen Hinweis darauf, dass wir wirklich irgendwas ändern“. 

Das Online-Café soll Gleichgesinnten einen Raum zum Austausch bieten. Die Teilnehmenden sprechen über ihre Gefühle, mögliche Vorbereitung auf den Kollaps und das Leben danach. Dass die Menschheit gänzlich ausstirbt, glauben die Kollapsolog:innen nicht. Nach ihrer Vorstellung führen zusammengebrochene Lieferketten, Öko- und Wirtschaftssysteme dazu, dass sich die restlichen Überlebenden in Kleingruppen durchschlagen müssen. 

Wissenschaft oder Intuition? 

Zwar berufen sich die Kollapsolog:innen auf die Wissenschaft, zitieren Berichte des Weltklimarats und geben sich wohl auch bewusst einen wissenschaftlich klingenden Namen. Die Vertreter in Deutschland behaupten aber nicht, ihre Prognosen wissenschaftlich belegen zu können. „Das Thema ist so komplex, dass es wissenschaftlich gar nicht erforscht werden kann und wir uns wieder auf die Intuition verlassen sollten“, sagt Prinz. 

Studien zu einem so alles umfassenden Thema wie dem Zusammenbruch der menschlichen Gesellschaft finden sich kaum. Jobst Heitzig, Mathematiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, verwundert das nicht. „Prinzipiell lässt sich nicht seriös sagen, wie wahrscheinlich ein Zivilisationszusammenbruch ist. Man kann aber Szenarien entwickeln, wie es ablaufen könnte.“

Mit Kolleginnen und Kollegen versucht er Modelle zu erarbeiten, die komplexe und große Zusammenhänge in unserer Gesellschaft erklären können. „Fridays for Future hat die Politik beeinflusst und das Konsumentenverhalten hat einen Einfluss auf das Klima. Wir versuchen solche Zusammenhänge seriös abzubilden“, erklärt Heitzig. Es gehe darum, Wechselwirkungen zu verstehen, nicht Vorhersagen zu machen. 

Heitzig: Wir können den Kollaps noch aufhalten

Unweigerlich stoße man dabei auf die Frage nach einem möglichen Kollaps. „Bei der momentanen Zivilisation stellen wir fest, dass es einen sehr, sehr hohen Grad an internationaler Abhängigkeit im Wirtschaftssystem gibt“, sagt er. Solche Abhängigkeiten machten Gesellschaften weniger resilient. „Da könnte es Dominoeffekte geben, die vergleichbar mit einem Multiorganversagen beim Menschen sind“.

So pessimistisch wie die Kollapsolog:innen ist Heitzig aber nicht. „Ich würde zustimmen, dass es einige Hinweise darauf gibt, dass die Zivilisation zusammenbrechen kann, zum Beispiel durch einen global eskalierenden Gewaltkonflikt oder eine schwere globale Wirtschaftskrise“, sagt er. Beides könne durch Folgen des Klimawandels begünstigt werden. „Aber es gibt eben keine klaren Hinweise darauf, dass das wirklich passieren wird oder wie wahrscheinlich es ist.“ 

Auch zeitlich sei aus wissenschaftlicher Sicht keine seriöse Einschätzung möglich. „Wenn man im Nebel auf einen Abgrund zufährt und nicht weiß, wie weit er entfernt ist, wäre ein vernünftiger Rat: ‚Tretet auf die Bremse'“, so der Forscher. „Wir können den Klimawandel ja bekämpfen und wir können unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem resilienter machen“. 

Dafür sei es zu spät, finden die Kollapsolog:innen. Der Zusammenbruch gehe vielleicht in ein paar Jahren los oder sei bereits unbemerkt im Gange. Die Teilnehmenden sagen, sie seien „hoffnungsfrei“. Sie möchten sich emotional lieber auf das Schlimmste vorbereiten. Prinz ärgert sich sogar über Interviews in denen Klimawissenschaftler:innen gefragt werden, ob es noch Hoffnung gibt. 

Psychoanalytikerin warnt vor zu viel Alarmismus  

Für die Psychoanalytikerin Delaram Habibi-Kohlen, Gründerin der Arbeitsgruppe Klima in der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie (DGPT), ist die Frage nach Hoffnung nur menschlich. Sie beschäftigt sich seit 2010 mit dem psychologischen Aspekt der Klimakrise und ist außerdem bei den „Psychologists for Future“ aktiv. „Ohne Hoffnung können wir nicht leben“, sagt sie. Die Frage sei, worauf die Menschen hoffen könnten. „Dass wir weiterleben können wie bisher, ist illusorisch“. Ein lebenswertes Leben mit vielen Anpassungen und auch Verzicht führen zu können, sei dagegen nicht unrealistisch. 

Es sei wichtig, die Gefahr durch ökologische Krisen deutlich zu machen und gleichzeitig weiter darüber nachzudenken, was man tun wolle, sagt Habibi-Kohlen. Sie warnt vor zu viel Alarmismus: „Das eröffnet bei Menschen so wenig Spielraum für die Vorstellungskraft. Dann sagt doch jeder: ‚Ja, was soll ich da machen?'“. 

Auch in Interview mit Utopia betonte Habibi-Kohlen, dass sich viele Menschen ohnmächtig fühlen. Ihr zufolge brauche es „Erzählungen von Menschen, die sich in Gruppen zusammenschließen, um sich auszutauschen über die Frage, was ein lebenswertes Leben eigentlich beinhalten muss„. Stattdessen sei die Gesellschaft immer individualistischer geworden. Das habe „die Fähigkeit der Menschen, miteinander etwas anzufangen, erheblich geschwächt“.

Aktivismus, trotz Aussichtslosigkeit 

Von Resignation sei aber im Klima-Kollaps-Café keine Spur, behauptet Gründer Prinz. Es löse in der Gruppe keinen Fatalismus aus, zu wissen, dass es nichts mehr zu retten gebe. „Gerade dann, wenn nichts mehr zu erreichen ist, ist es notwendig noch mal für alles zu kämpfen“, sagt der 45-Jährige. Die meisten Teilnehmenden der Gruppe kommen demnach aus dem Klimaaktivismus, manche haben bei der Letzten Generation mitgewirkt. In irgendeiner Form seien alle Teilnehmenden auch jetzt noch aktiv, sagt Prinz. 

** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.

War dieser Artikel interessant?

Vielen Dank für deine Stimme!