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Psychotherapeutin: „In der Debatte zeigt sich das schlechte Gewissen der Bevölkerung“

Die Psychotherapeutin Delaram Habibi-Kohlen.
Foto: Delaram Habibi-Kohlen / Unsplash - youssef naddam

Die Klimakrise ist die größte globale Herausforderung unserer Zeit. Sie greift in alle Lebensbereiche und fordert gesamtgesellschaftliche Strategien. Dazu müssen Perspektiven aus verschiedenen Bereichen gehört werden. Utopia hat deshalb dieselben fünf Fragen fünf Expert:innen gestellt. Das sind ihre Antworten.

Wie wollen wir als Gesellschaft angesichts der voranschreitenden Erderwärmung leben? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Vielmehr müssen unterschiedliche Ansichten integriert werden, um der Klimakrise gesamtgesellschaftlich zu begegnen. Utopia macht mit seinem Format 5 Fragen – 5 Expert:innen den Anfang, wenngleich es noch vieler weiterer Stimmen bedarf: Fünf Menschen aus der Zukunftsforschung, Psychotherapie, Politik, dem Aktivismus und der Migrationsforschung schildern darin ihre Sichtweisen rund um die Klimakrise.

Im dritten Teil der Serie antwortet Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Delaram Habibi-Kohlen. Sie arbeitet als Psychoanalytikerin in Bergisch Gladbach und als Lehranalytikerin an der PsAG Köln-Düsseldorf e.V.. Schon mehr als zehn Jahre widmet sie sich der Klimakrise aus therapeutischer Sicht.

Jahrzehntelange Zentrierung auf den Individualismus“

Utopia: Frau Habibi-Kohlen, Meldungen zu Hitze-Rekorden, Sturzfluten, Dürren – kurzum Extremwetterereignissen – überschlagen sich in letzter Zeit. Wenn das der neue Normalzustand wird: Wie müssen wir damit umgehen?

Delaram Habibi-Kohlen: Zu differenzieren ist hier: Wer ist „wir“? Ich beziehe mich hier vornehmlich auf die Politik und die Medien. Der Einzelne kann etwas tun, vor allem, damit es ihm selbst besser geht und er/sie sich als selbstwirksam erlebt. Aber die politischen Maßnahmen sind die entscheidenden, um tatsächlich etwas effizient zu verändern.

Notwendig ist die Anpassung an die veränderten Bedingungen, soweit möglich, zum Beispiel Hitzeschutzpläne und die Umsetzung in den Kommunen. Also zum Beispiel die Bereitstellung von Kühlräumen, die Versorgung der Menschen mit Trinkwasserspendern sowie weniger Flächenversiegelung. Noch wichtiger ist die politische Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichts: Rücknahme der Spartenaufhebung, so dass auch Gebäude- und Verkehrssektoren Ergebnisse liefern müssen, ohne sicher gehen zu können, dass andere Sektoren für sie kompensatorisch zählen.

Die Politik muss aufhören, Maßnahmen gegen die Klimakrise weiter zu prokrastinieren. Die Subventionierung fossiler Energien muss gestoppt werden, zum Beispiel im Flugsektor.

Der Umgang der Medien mit der Klimakatastrophe behandelt diese häufig wie eine Geschichte unter vielen, die sich lohnen und möglichst viele Klicks generieren muss. Entsprechend erfährt sie nicht die notwendige Priorisierung. Und wenn, wird lediglich von einer neuen Katastrophe, einem weiteren Waldbrand usw. berichtet ohne dies in den interessanten Kontext zu stellen, wie es so weit kommen konnte und vor allem, ohne mutmachende Auswege aufzuzeigen.

Ebenso notwendig sind Erzählungen von Menschen, die sich in Gruppen zusammenschließen, um sich auszutauschen über die Frage, was ein lebenswertes Leben eigentlich beinhalten muss. Die jahrzehntelange Zentrierung auf den Individualismus hat die Fähigkeit der Menschen, miteinander etwas anzufangen, erheblich geschwächt. Das Credo vom Wettbewerb und die Wichtigkeit des sozialen Rankings hat dazu geführt, dass Menschen heute den Wunsch nach Gemeinsamkeit und Verbindung zwar haben, sich aber zunehmend abspalten ins rein Private.

Wirklich wichtig ist die Frage, wie das Individuum dazu kommt, Einfluss auf Medien und Politik nehmen zu können. Häufig ist eine Haltung beobachtbar, in der sich Menschen ohnmächtig fühlen, politikverdrossen sind, auf ihr Sofa flüchten und im Grunde das politische Feld verachten als „sowieso verlogen“, oder „korrupt“. Dies bedeutet eine enorme Gefahr für die Demokratie, wie die AfD-Umfrageergebnisse zeigen.

„Der mediale wie gesellschaftliche Richterspruch ist negativ“

Stichwort lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen: Manche Menschen zweifeln angesichts der Klimakrise an der Sinnhaftigkeit, überhaupt noch Kinder zu bekommen. Ist das nachvollziehbar und was würden Sie ihnen sagen?

Die Idee, keine Kinder mehr in diese Welt setzen zu wollen, ist natürlich nachvollziehbar. Zugleich ist sie zutiefst hoffnungslos. Ich würde den Frauen, die kein Kind in die Welt setzen wollen, sagen, dass dies eine sehr individuelle und private Entscheidung ist; dass aber zugleich Kinder Generativität bedeuten und Sinn verkörpern: also die Verbindung von einer Generation mit der nächsten sowie die Hoffnung, dass etwas Gutes weitergegeben werden kann.

Keine andere Aktivist:innen-Gruppe polarisiert momentan so sehr wie die Letzte Generation. Sie stößt auf Zustimmung, aber auch auf breites Unverständnis. Ist die gesellschaftliche Mehrheit, die einen derartigen Klima-Protest bislang meidet, nicht empört genug? Sollte sie mehr Widerstand zeigen – und wenn ja, wie?

Eine gesellschaftliche Mehrheit, die die Methoden der Letzten Generation meidet, ist nicht „nicht empört genug“. Sie ist vielmehr ambivalent und schließt sich dann der Mainstream-Meinung an, weil diese vertraut ist. Wichtig ist, am Beispiel der Letzten Generation darauf zu verweisen, dass viele Medien sich abhängig machen vom Mainstream. Es gibt durchaus kontroverse Berichterstattungen, aber letztlich ist der mediale wie gesellschaftliche Richterspruch meiner Meinung nach negativ, und die Letzte Generation wird verunglimpft, als wäre sie eine terroristische Vereinigung. In der Heftigkeit der Debatte zeigt sich einerseits das schlechte Gewissen einer Bevölkerung, die weiß, dass es nicht möglich ist, den bisherigen Lebensstil und klimaneutrale Ziele gleichzeitig zu verfolgen.   

Dieser Konflikt verweist auf eine große Angst. Die Angst davor, die eigene Existenz zu hinterfragen. Es bleibt offen, wie man denn anders als gewohnt leben könnte? Hier wiederum schuldet die Politik Antworten.

„Wenn die rechten Parteien die Oberhand gewinnen“

Was sollte uns angesichts der klimatischen Bedingungen die kommenden Jahre am meisten Sorgen machen – und was gibt uns Hoffnung?

Am meisten Sorgen sollte uns die mutlose Politik machen wie auch ihr ständiges Auf-Sicht-Fahren, das immer nur die nächste Wahlperiode im Blick hat. Dies führt zu einem Zuwachs des Populismus, der vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Fragen hat. Wenn die rechten Parteien die Oberhand gewinnen, wird es eine Regression zur „Nation“ geben, in der Gemeinschaft, globale Verantwortung und gemeinsame Ziele ad acta gelegt werden. Und in der Sorgen um Biodiversität und Klimaneutralität als unwichtig abgetan, beziehungsweise als abwegig, links, „grünversifft“ und vieles mehr diffamiert werden.

Dann werden sich Bürger verängstigt und unsouverän noch mehr in ihren Individualismus zurückziehen. Im Schlepptau der Regression auf nationale Interessen befindet sich die Produktion von Falsch- und Desinformation, der schwer zu begegnen ist.

Wenn Sie einen konkreten Klima-Wunsch an die Bundesregierung frei hätten: Welcher wäre das?

Es ist schwer, sich auf einen Wunsch zu beschränken. Momentan wäre es für mich die ersatzlose Streichung der Subvention fossiler Energie in jeglicher Form.

Die anderen Teile der Serie 5 Fragen – 5 Expert:innen finden sich hier

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