Zusteller:innen von Amazon-Paketen berichteten immer wieder von schlechten Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen. In Bezug auf die Vorwürfe gab sich Amazon überrascht. Eine Recherche zeigt nun den Zusammenhang zwischen dem Konzern und den Zuständen.
Lange Arbeitszeiten, Druck und Kontrollen – darüber berichten Zusteller:innen von Amazon-Subunternehmen immer wieder. Der Konzern selbst zeigt sich überrascht, wenn derartige Anschuldigungen aufkommen. Doch Recherchen der Nordsee-Zeitung, von Correctiv und dem Saarländischen Rundfunk (SR) zeigen, wie stark Amazon an der Ausbeutung der Paketfahrer:innen und Subunternehmen beteiligt ist. Das Recherche-Team hat dafür interne Dokumente und Verträge eingesehen. Außerdem sprach es mit Menschen aus den Subunternehmen und Jurist:innen.
Amazon arbeitet mit sogenannten Delivery Service Partnern (DSP). Das sind Subunternehmen, deren Aufgabe darin besteht, die Amazon-Pakete von den 60 Verteilzentren in Deutschland zu den Kund:innen zu liefern. Dabei überlässt Amazon laut der Recherche die gesamte Zustellung den externen Unternehmen.
Amazon lockt Subunternehmen
DSP-Gründer:innen lockt Amazon laut der Recherche mit Schulungen, Technik, Ausrüstungen und Transportern. Auch Gewinne verspricht Amazon demnach. Zwar stelle Amazon einen Gewinn von 60.000 bis 140.000 Euro pro Jahr in Aussicht. Doch Gewinne orientieren sich an den ausgelieferten Paketen. Für jedes ausgelieferte Paket erhält das Subunternehmen 5 Cent, wurde das Paket in einem mit der Aufschrift „Amazon“ gebrandeten Lieferwagen gefahren, erhält das Unternehmen weitere 5 Cent.
Für einige Subunternehmer:innen reichen die Gewinne laut Rechercheberichten nicht, um wirtschaftlich zu sein. Gegenüber dem Team erklärte Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz: „Der Druck wird dann wirklich ungefiltert, ungebremst an die eigenen Mitarbeiter weitergegeben.“
Kontrollen und schlechte Arbeitsbedingungen
Über zwei Apps auf dem Diensthandy der Kurierfahrer:innen können Subunternehmer:innen die Arbeitswege sowie die Arbeitszeiten vorgeben und kontrollieren. Amazon habe laut der Recherche nie zugegeben, Zugriff auf die Daten zu haben. Verträge zeigen, dass der Konzern alle Informationen aus den Apps besitzt. Darin heißt es: „Sofern nicht bereits in Amazons Besitz, stellen Sie uns auf Anfrage alle erfassten Daten zur Verfügung.“
Ein aktiver DSP-Unternehmer, der anonym bleiben möchte, berichtete dem Recherche-Team davon, dass Amazon „alles“ bestimme. „Amazon weiß und kontrolliert alles von meinem Unternehmen. Die wissen, wie viele Leute ich habe – die wissen alles über meine Mitarbeiter“, so der Unternehmer.
Ein ehemaliger Unternehmer, der ebenfalls anonym bleiben möchte, spricht von einem Ausbeutungsystem auf allen Ebenen. „Man kann kein erfolgreiches Amazon-Subunternehmen führen mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen“, erklärt er.
Knebelverträge zwischen Amazon und Subunternehmen
Amazon verspricht zwar, dass die Subunternehmen eigenständig handeln können. Gespräche und Dokumente, auf die das Recherche-Team zurückgreift, zeichnen jedoch ein anderes Bild. Die Verträge zwischen Amazon und den externen Unternehmen halten Jurist:innen für problematisch.
Manfred Walser, Professor für Arbeitsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der Hochschule Mainz, hat die Verträge zwischen Amazon und den externen Unternehmen geprüft. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Vorgaben von Amazon „so eng“ seien, dass „Spielräume extrem eingeschränkt sind„. Ihm zufolge „kann das ein Anzeichen für einen Scheinwerkvertrag sein.“
Bundesrat fordert Verbot von Werkverträgen
Im Mai 2023 forderte der Bundesrat die Regierung auf, das Paketboten-Schutz-Gesetz zu ändern und Werkverträge in der Branche zu verbieten. Diese Entschließung des Bundesrates ist rechtlich nicht verbindlich, aber das Bundesarbeitsministerium prüfe laut Nachfrage des Recherche-Teams den Vorschlag.
Das Ministerium wies jedoch darauf hin, dass ein Verbot oder eine starke Beschränkung von Werkverträgen in Bezug auf die unternehmerische Freiheit nur unter strengen Voraussetzungen verfassungsfest wäre.
Die Entschließung beinhaltet eine Einschränkung, dass Aufträge an Subunternehmen weiterhin möglich sein sollen, solange diese ihre Angestellten nach Tarif bezahlen. Ökonom Sell argumentiert jedoch, dass dies ein Schlupfloch darstellt, da die Überprüfung der Tarifzahlungen durch Subunternehmen schwierig ist. Er plädieret für ein vollständiges Verbot von Werkverträgen in der Paketbranche, um die Arbeitnehmer:innen besser zu schützen.
Verwendete Quellen: Nordsee-Zeitung, Correctiv, Saarländischer Rundfunk (SR)
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