Cem Özdemir: „Weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin“ Von Lisa Ammer Kategorien: Ernährung Stand: 18. März 2022, 18:02 Uhr Foto: CC0 Public Domain / Pexels - Mark Stebnicki und Bernd von Jutrczenka/dpa Der Krieg in der Ukraine sorgt für Verunsicherung, auch was die Lebensmittelversorgung betrifft. Der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir äußert sich dazu im Gespräch mit dem Spiegel. Und er hat eine klare Empfehlung an Verbaucher:innen. Die gute Nachricht zuerst: Die Lebensmittelversorgung in der EU ist laut Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir gesichert. Die schlechte Nachricht: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine sorgt dafür, dass diese Lebensmittelsicherheit in anderen Regionen der Welt nicht mehr gegeben sein wird. Es zeichnen sich bereits erste negative Entwicklungen ab, zum Beispiel in Form steigender Preise. Hamsterkäufe unterstützen Putins Propaganda Krieg ist grausam und wird oft nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Auch Lebensmittel (oder die Versorgungslage) können zu einem Druckmittel werden, um gegnerische Parteien zum Aufgeben zu zwingen. Nahrung als Waffe einzusetzen ist eine Strategie, die auch Wladimir Putin zu verfolgen scheint, meint Cem Özdemir. Putin zerstöre nicht nur Krankenhäuser und Kitas, sondern auch Orte der Nahrungsmittelversorgung. Gleichzeitig nutze er die Exportmacht seines Landes, so die Einschätzung des Ministers. Eine Reaktion darauf ist aktuell bereits zu beobachten: Menschen hamstern Lebensmittel und leeren die Regale. Özdemir meint dazu, dass genau dies Putin in die Karten spiele, denn dieser brauche solche Bilder, „um Unsicherheit zu streuen“. Versäumnisse sollen aufgeholt werden Angesichts drohender Versorgungsengpässe durch fehlende Importe aus Russland und der Ukraine werden Abhängigkeiten erneut schmerzlich bewusst. Cem Özdemir meint, dass sich in diesem Zusammenhang räche, „dass in den letzten Jahren verhindert wurde, eine nachhaltige und krisenfestere Landwirtschaft zu etablieren“. Wichtige Ziele der aktuellen Regierung seien nun, diese Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen. Dennoch äußert der Minister, dass staatliche Maßnahmen die „Folgen des Krieges nicht ungeschehen machen können, höchstens abfedern“. Zudem müssen Debatten laut Özdemir moralisch Bestand haben, vor allem angesichts jener Dinge, die andernorts auf der Welt passieren. „Bei uns geht es darum, was mit den Preisen passiert, anderswo geht es darum, ob man den nächsten Morgen erlebt.“ Die indirekten Kosten des Fleischkonsums Fleisch soll teurer werden, so lautete die Forderung des Landwirtschaftsministers Cem Özdemir bereits vor der Ukraine-Krise. Daran hat sich auch grundlegend nichts geändert. Die indirekten Kosten für Fleisch sind und bleiben hoch. Verbraucher:innen ist dies jedoch teils nicht bewusst, da die Produkte oft zu Billigpreisen angeboten werden. Dabei gehen die „ökologischen Kosten“, die durch Fleischproduktion und Fleischkonsum entstehen, zulasten aller. Cem Özdemir sieht die Ursache dafür darin, „wenn Lebensmittel zum Teil weit unter Herstellungskosten verkauft oder wenn die wahren ökologischen Kosten der Allgemeinheit aufgebürdet werden.“ Weil insbesondere große Tiere viel fressen müssen, ist die Fleischproduktion sehr ressourcenintensiv. (Foto: CC0 / Pixabay / guvo59) Im Gespräch mit dem Spiegel bleibt der Bundesminister bei seiner Position, dass Lebensmittelpreise diese Kosten abbilden müssen. Er führt an: „Wir alle bezahlen dann indirekt diese Kosten, wenn das Wasser belastet ist, Insekten sterben und der Regenwald abgeholzt wird.“ Dies geschehe nicht zuletzt auch auf Kosten der Landwirt:innen. Für die Versorgungssicherheit in Deutschland sei zudem wichtig, das Sterben der Höfe zu beenden, so Özdemir. „Faire Preise, faire Einkommen, mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz“, das sind die Forderungen des Landwirtschaftsministers. Fleischkonsum einschränken – gegen weltweiten Hunger und „gegen Putin“ Nur etwa 20 Prozent des produzierten Getreides in Deutschland landet auf Tellern, circa 60 Prozent des Getreides wird als Tierfutter verwendet. Wird zum Beispiel weniger Getreide für die Fleischproduktion eingesetzt, bleibt mehr für den direkten Verzehr. Cem Özdemir meint zudem, dass weniger wegzuschmeißen und bewusster einzukaufen ebenfalls zu einer besseren Lebensmittelversorgung beitragen könne. Er ergänzt: „Grundsätzlich ist ein System nicht nachhaltig, in dem 60 Prozent des Getreides in den Futtertrögen landen, wie in Deutschland.“ Die Menge an Getreide, die in Deutschland an Tiere verfüttert wird, entspricht laut Spiegel etwa der Menge der gesamten Weizenexporte der Ukraine. Zugleich bezieht das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen 50 Prozent seines Weizens aus der Ukraine. Anders formuliert bedeutet dies: Mit den Weizenmengen, die allein in Deutschland an Nutztiere verfüttert werden, könne mindestens die Hälfte des Bedarfs des World Food Programmes gedeckt werden – voraussichtlich sogar mehr. Nur 20 Prozent des Getreides in Deutschland werden zu Lebensmittel verarbeitet. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay - ilonamaksimova13) Statt Tiere (zum Beispiel für die Fleischproduktion), wäre es möglich, mit dem Weizen viele der 44 Millionen unmittelbar von Hungersnöten betroffenen Menschen in der Welt mit Nahrung zu versorgen. Dabei gilt es, über den sprichwörtlichen Tellerrand zu blicken, auch angesichts des Ukraine-Kriegs. Özdemir meint: „Als westliche Nationen haben wir zuallererst die Pflicht, die Agrarmärkte offenzuhalten und die weltweite Versorgung mit Getreide zu gewährleisten. Sonst spielen wir Putin in die Hände.“ Wissenschaftler:innen liefern Lösungsansätze In einer Erklärung zur aktuellen Lage zur Lebensmittelversorgung, nehmen mehr als 200 Expert:innen aus mehreren Ländern Stellung. Darin schlagen die Forschenden drei Hebel vor, „um die kurzfristigen Schocks zu bewältigen und gleichzeitig die menschliche Gesundheit und eine langfristige nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten“. Die drei Maßnahmen lauten: Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen. Das gilt vor allem für Europa und andere Länder mit durchschnittlich hohem Einkommen. Mehr Hülsenfrüchte produzieren und die EU-Agrarpolitik weiter ökologisieren. Nebeneffekt: Dadurch wären wir auch weniger abhängig von Stickstoffdünger und Erdgas aus Russland. Weniger Lebensmittelverschwendung, um zum Beispiel Weizen mehr Menschen als Lebensmittel verfügbar zu machen. (Aktuell entspricht die Menge an vergeudetem Weizen allein in der EU etwa der Hälfte der Weizenexporte der Ukraine.) Wissenschaftler Marco Springmann (Universität Oxford) hat sich ebenfalls an der Erklärung beteiligt und meint: „Die Diskussion über Ernährungsumstellungen angesichts des Krieges ist wichtiger, als es auf den ersten Blick scheinen mag, denn durch eine stärker pflanzlich basierte Ernährung anstelle von Fleisch wären in der Welt letztlich mehr Nahrungsmittel verfügbar, einfach weil die Tierproduktion ineffizient ist.“ Eine entsprechende Reaktion auf die kurzfristige Krise berge auch Chancen, um damit langfristige Krisen des Welternährungssystems bewältigen zu können. Utopia meint: Dass die Menge an Getreide, die in Deutschland an Tiere verfüttert wird, der Exportmenge eines Landes wie der Ukraine entspricht, ist bizarr – und die Tatsache zeigt ein dringendes Problem auf. Die Fleischwirtschaft hat viele ernsthafte Nachteile: Massentierhaltung, wie sie in Deutschland betrieben wird, quält Tiere und trägt zum Klimawandel bei. Doch sie verschlingt auch Unmengen an Ressourcen, denn Rinder, Schweine und Co. müssen teils über Jahre unter anderem mit Nahrung versorgt werden, ehe sie geschlachtet werden. Diese Ressourcen fehlen an anderer Stelle – leider in diesem Fall auf den Tellern von Menschen. Das ganze Interview mit Cem Özdemir findest du beim Spiegel. ** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos. War dieser Artikel interessant? 51 41 Vielen Dank für deine Stimme! HOL DIR DEN UTOPIA NEWSLETTER Leave this field empty if you're human: