Wer wäre nicht gerne perfekt? In Job, Beziehungen und anderen Bereichen setzen sich viele Menschen unrealistische Ziele. Ein Psychologe erklärt, wieso unsere Gesellschaft so perfektionistisch ist – und was man dagegen tun kann.
Thomas Curran ist Assistenzprofessor für Psychologie an der London School of Economics. In seinem kürzlich erschienenem Buch erklärt der britische Psychologe die Ursachen von Optimierungswahn. Gegenüber Zeit Sinn erklärt er, wo er die Schuld an Perfektionsmus wirklich sieht und wie man damit umgeht.
„Teufelskreis“: Wie Perfektionsmus entsteht
Job, Fitness, Beziehungen: In vielen Lebensbereichen wird man dazu motiviert, sein Bestes zu geben. Doch der Drang nach Perfektion hat auch negative Seiten. „Wenn man sich nie gut genug fühlt, ist das mit ständigen Gefühlen wie Scham, Angst, Panik und Sorge verbunden“, erklärt Curran gegenüber Zeit Sinn. Dies könne zu Selbstverletzung, Hoffnungslosigkeit und Burn-out führen – in Extremfällen auch zu Suizid.
Der Psychologe sieht den Drang nach Perfektion als „eine Art Rüstung, um das wahre, verletzliche Ich vor Ablehnung zu schützen“. Doch diese Rüstung ist wenig effektiv, wie Curran weiter erklärt. „Es braucht nur einen kleinen Fehler, ein falsches Wort oder einen falschen Blick, und die Perfektionismus-Rüstung zerbricht wie hauchdünnes Porzellan.“
Woher kommt Perfektionismus? Dem Experten zufolge liegt ein zerbrechlicher Selbstwert zugrunde. Er beziehe sich immer auf soziale Beziehungen: „Erfolg und Bestätigung muss man sich und anderen immer wieder neu beweisen“, so Curran. Denn in Perfektionist:innen sei der Glaube verwurzelt, sie könnten nur geliebt und akzeptiert werden, wenn sie perfekt sind. „Das ist ein Teufelskreis.“
Dieser fragile Selbstwert ist systematisch bedingt. Der Psychologe verweist auf Werbung oder Social-Media-Posts, welche vermitten, dass man nicht gut genug sei – oft um zum Kauf eines Produktes anzuregen. „Das ist der Kapitalismus, der sich da in uns zeigt“, fasst er zusammen. „Es ist nicht unsere Schuld, dass wir perfektionistisch sind.“
Psychologe gibt Tipps: „Wir sollten Mitgefühl mit uns selbst haben“
Curran zufolge ist Perfektionismus sehr weit verbreitet: Einige Menschen sorgen sich vielleicht nur in bestimmten Kontexten darum, wie sie bei anderen ankommen – aber jede:r ist ihm zufolge auf dem Spektrum vertreten und demnach Perfektionist:in. Seine Forschung habe gezeigt, dass junge Menschen besonders betroffen sind.
Der Experte verrät im Gespräch mit Zeit Sinn verschiedene Tipps zum Umgang mit überzogenen Erwartungen an sich selbst. Zunächst gehe es darum, die eigenen Gefühle zu verstehen. Zum einen, dass die Schuld an Perfektionismus nicht bei einem selbst liegt, sondern beim kapitalistischen System. Zum anderen sollte man wieder eine emotionale Verbindung mit sich selbst eingehen.
Außerdem rät Curran zu einem freundlichen Umgang mit sich selbst. „Wir sollten Mitgefühl mit uns selbst haben“, so der Psychologe. „Wenn die Dinge gut laufen, sollten wir das genießen und uns darüber freuen. Und wenn sie mal nicht so gut laufen, sollten wir uns sagen, dass es schon okay ist.“ Erlebt man einmal Rückschläge, rät der Psychologe dazu, auch an die Dinge zu denken, die man bereits erreicht hat.
Der britische Forscher geht auch auf konkrete Beispiele ein. Hinterfragt man die eigene Leistung im Job im Vergleich mit anderen, könne man sich auf die Gründe besinnen, wieso man diesen ausübt. „Wettbewerb wird irrelevant, wenn du empfindest, dass dein Job für dich bedeutend ist“, so der Experte. Bei Angst vor Kritik müsse man sich klar werden, dass die Auswirkungen eines Tadels nicht so katastrophal sein werden, wie angenommen.
Hinweis: Wer sich psychisch belastet fühlt, kann etwa bei der Telefonseelsorge Hilfe finden: Unter der Telefonnummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Alternativ gibt es das Chat-Angebot unter: online.telefonseelsorge.de
Verwendete Quellen: Zeit Sinn
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