Laut Statistiken nimmt die Fruchtbarkeit von gebärfähigen Personen nach dem 25. Lebensjahr ab. Ab dann würde die „biologische Uhr“ ticken, heißt es. Eine solche Pauschalisierung der Fruchtbarkeit gehe jedoch an der Realität vorbei, sagt eine Fachärztin.
Für Menschen mit Uterus, die sich eine Schwangerschaft wünschen, scheint der biologische Druck ab einer gewissen Altersgrenze immer größer zu werden. Schließlich sinke dann die Fruchtbarkeit und die vermeintlichen Risiken einer späten Schwangerschaft möchten viele ebenfalls nicht eingehen. Dorothee Struck betreibt eine gynäkologische Praxis in Kiel. Dort bekommt sie zu spüren, wie viele Menschen unter diesem Druck leiden. „Da sitzen mitunter schon 25-Jährige und zittern um ihre Fruchtbarkeit“, erklärt sie gegenüber dem Wissenschaftsmagazin Spektrum. Und führt aus, warum der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema problematisch sei.
Die Fachärztin ärgert, wie pauschalisierend in der Gesellschaft von weiblicher Fruchtbarkeit gesprochen wird: „Als ob Frauen mit 35 die Eierstöcke abfallen würden.“ Zwar gebe es entsprechende statistische Ergebnisse zum Fruchtbarkeitsabfall ab 35, diese Zahlen hätten jedoch erst einmal nichts mit der individuellen Fruchtbarkeit einer Person zu tun, so Struck. Aus ihren Erfahrungen als Kinderwunsch-Beraterin weiß sie, dass die fruchtbare Phase nicht abrupt, sondern fließend endet und dass dieses Ende zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten kann. So gebe es durchaus Personen, die auch mit 40 Jahre noch problemlos schwanger werden können.
Statistik und Biologie: Was diese Daten aussagen
Statistiken zufolge beginnt die Fruchtbarkeit von Frauen schon ab Mitte zwanzig zu sinken. Bis zum 30. Lebensjahr nehmen die Schwangerschaftschancen pro Lebensjahr dann zunächst nur langsam um etwa 20 Prozent ab. Ab 35 Jahren sinken sie rapide. Zwischen 35 und 40 Jahren bestehe nur noch eine Wahrscheinlichkeit von etwa 20 Prozent, in einem Jahr schwanger werden zu können. Doch der Expertin zufolge sind solche Angaben mit Vorsicht zu genießen, sie sagt: „Es gibt kaum vernünftige aktuelle Zahlen zum Thema weibliche Fruchtbarkeit.“
Bisherige Daten sind vor allem auf die Eizellen zurückzuführen, die sich im Laufe des Lebens bezüglich Menge und Qualität verschlechtern:
- Direkt nach der Geburt verfügen Menschen mit Uterus über etwa eine Million Eizellen.
- Mit dem Beginn der Menstruation reduzieren sie sich in der Regel um die Hälfte.
- Ab dem 35. Lebensjahr sind in etwa noch 25.000 Eizellen vorhanden.
Ein Kinderwunschzentrum in Baden-Baden führt das Alter als Risikofaktor für eine verminderte Fruchtbarkeit auf – neben Faktoren wie Alkohol- und Nikotinkonsum. Auch hier wird als Grenze für die gebärfähige Person ein Alter von 35 Jahren angegeben. Diese Zahl prägt sich ein und kann so für Menschen mit Kinderwunsch starken Druck erzeugen – und das teilweise völlig unberechtigt.
Daten zu Fruchtbarkeit: Veraltet und umstritten?
Das Problem mit statistischen Auswertungen sei der Expertin zufolge nicht nur, dass die Natur keine klare Grenze für das Ende der Fruchtbarkeit zieht. Laut Dorothee Struck sind viele Daten zudem veraltet und heutzutage umstritten. So nutzte ein Artikel im Fachmagazin „Human Reproduction“ aus dem Jahr 2003 beispielsweise Geburtseinträge von 1670 bis 1830 als Forschungsgrundlage.
Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis: Eine von drei Frauen zwischen 35 und 40 Jahren wird innerhalb eines Jahres nicht schwanger. Was dabei nicht mit ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass sich die Lebensbedingungen mittlerweile stark gewandelt haben – insbesondere die medizinische Grundversorgung.
Viele Studien vermischen zudem Daten von natürlicher und künstlicher Befruchtung oder vernachlässigen die Frage, ob eine Person zum ersten oder zweiten Mal schwanger ist. Laut Struck gebe es deshalb aktuell kaum zuverlässige Zahlen zur Fruchtbarkeit von gebärfähigen Personen.
Das sagen aktuellere Studien
Einige neuere Ergebnisse zeichnen zum dem Thema Fruchtbarkeit ein völlig anderes Bild als bislang angenommen:
- Laut der Erasmus University Rotterdam (2015) haben gebärfähige Menschen auch mit 32 Jahren noch eine etwa 90-prozentige Chance, ein Kind zu bekommen. Mit 37 Jahren seien es noch 75 und mit 41 Jahren 50 Prozent.
- In einer Studie aus dem Jahr 2013 in Dänemark zeigte sich, dass in der Gruppe der 35- bis 40-jährigen gebärfähigen Personen 78 Prozent innerhalb eines Jahres schwanger wurden – vorausgesetzt, sie hatten während ihrer fruchtbaren Tage Sex. Die Forschenden schlussfolgern, dass sich die Fruchtbarkeit eines Paares zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr zwar halbiert. Die reduzierte Furchtbarkeit könne jedoch durch andere Faktoren teilweise ausgeglichen werden.
Zu diesen Faktoren gehören beispielsweise die Häufigkeit von Sex und die Beachtung des eigenen Zyklus. Dorothee Struck zufolge sinke die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft nämlich auch deshalb, weil ältere Paare in der Regel weniger Sex haben als jüngere. Zudem seien viele gebärfähige Menschen nicht ausreichend über den Zeitpunkt der fruchtbaren Tage und den Ablauf des Zyklus aufgeklärt. Auch ein gesunder Lebensstil spiele für eine Schwangerschaft eine wichtige Rolle. Würde man sich stärker mit diesen Faktoren beschäftigen, könne es auch zwischen 35 und 40 Jahren noch mit dem Kinderwunsch klappen.
Späte Schwangerschaft: Ein hohes Risiko?
Wolfgang Heinrich, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Berliner Charité, hat im Gegensatz zu Dorothee Struck eine andere Perspektive auf das Thema Fruchtbarkeit. Gegenüber Spektrum erklärt er, dass das Ende der Fruchtbarkeit für viele Menschen ein Tabuthema sei. Und schließlich bringe eine späte Schwangerschaft eine Reihe an Risiken mit sich. So komme es dabei eher zu Fehlgeburten, Schwangerschaftsdiabetes oder Bluthochdruck. Kinder einer späten Schwangerschaft haben zudem ein höheres Risiko für Chromosomenstörungen wie Trisomie 13, 18 oder 21.
Viele dieser Risiken konnten jedoch durch Fortschritte in der Medizin zumindest gelindert werden, so Spektrum. Mehr als 96 Prozent aller Kinder in Deutschland kommen laut Heinrich dank dieser Entwicklungen gesund zur Welt.
Auch Gynäkologin Struck ist sich der Risiken einer späten Schwangerschaft bewusst. Sie hält diese jedoch für überbewertet – eventuell auch aus ökonomischen Gründen. Dass sich Menschen um ihre Fruchtbarkeit sorgen, ist mittlerweile schließlich auch zum Geschäftsmodell geworden. Kinderwunschbehandlungen, das Einfrieren von Eizellen oder Fruchtbarkeitstest seien schließlich teuer. Die Angst vor dem unerfüllten Kinderwunsch könnte die Bereitschaft steigern diese hohen Summen auch zu zahlen.
Sinnvoll sind diese Tests laut Struck übrigens nicht. Was ihrer Ansicht nach sinnvoller wäre: Gebärfähige Personen umfassender aufzuklären, auch die Fruchtbarkeit von Personen mit Penissen mehr zu besprechen und die Risiken einer späten Schwangerschaft im Diskurs nicht zu stark aufzubauschen.
Anmerkung der Redaktion: Im Kontext von Furchtbarkeit ist oft ausschließlich von „Frauen“ die Rede. Dementsprechend geben auch einige Zitate diese Aussagen wieder. Allerdings können nicht nur cis-Frauen, sondern auch trans* und nicht-binäre Personen sowie andere Geschlechter schwanger werden. Umgekehrt haben nicht alle Frauen einen Uterus.
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