Mit einem offenen Brief richtet sich eine Gruppe Mediziner:innen an die Regierung. Darin fordern sie, den bisherigen Umgang mit der Chemikalie Bisphenol A zu überdenken.
In einem offenen Brief richten sich 56 Mediziner:innen an Umweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (beide Grüne), wie die Taz berichtet. Darin erklären sie sich besorgt „über die Weise, in der die deutschen Aufsichtsbehörden Bisphenol A und andere Bisphenole gehandhabt haben“.
Bisphenol A (BPA) ist eine synthetische Chemikalie, die schon in geringen Mengen als gesundheitsschädlich gilt. Im Alltag lässt sich der Kontakt mit BPA für viele Verbraucher:innen nur schwer vermeiden. Denn aus der Substanz wird der Kunststoff Polycarbonat hergestellt, der in zahlreichen Lebensmittelverpackungen verwendet wird. Hierzu gehören nicht nur Konservendosen und Plastikflaschen, sondern auch Spielzeug, Smartphones oder DVDs.
Von der Europäischen Kommission wurde BPA als reproduktionstoxisch der Kategorie 1B eingestuft. Das bedeutet: Es besteht Gefahr für die Fortpflanzungsfunktion. Nach dem europäischen Chemikalienrecht wurde BPA bereits als besonders besorgniserregende Substanz (Substance of Very High Concern, SVHC) identifiziert.
Menschen nehmen BPA vorwiegend über die Nahrung auf. Die Substanz gilt als eine Art hormoneller Schadstoff, da er eine östrogen-ähnliche Wirkung hat und den Hormonhaushalt verändert.
Bisphenol-A-Belastung in allen EU-Staaten zu hoch
In ihrem offenen Brief kritisieren die Mediziner:innen die Bundesregierung dafür, nicht genügend gegen die Bisphenol-A-Belastung der Bevölkerung zu unternehmen. Denn diese ist in allen EU-Staaten zu hoch, wie die Europäische Umweltagentur bereits im September dieses Jahres mitteilte.
Mit ihrem offenen Brief richten sich die Fachleute laut Taz vor allem an das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Grund hierfür ist eine Entscheidung des BfR, wonach es einen neuen BPA-Grenzwert, der im Frühjahr dieses Jahres von der europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (Efsa) vorschlug, als zu hoch befand und ihn daraufhin ablehnte.
Der BfR-Website seien die Studien der Efsa schlecht gewählt, zudem nicht oder nur wenig aussagekräftig und damit nicht wissenschaftlich begründet. Daraufhin veröffentlichte das BfR eigens einen Grenzwert für Bisphenol A – allerdings liegt dieser bis um ein Tausendfaches höher als der Wert der Efsa. Während die Efsa 0,2 Nanogramm BPA/kg Körpergewicht pro Tag empfiehlt, schlägt das BfR 0,2 µg/kg Körpergewicht als gesundheitlichen Richtwert vor.
Kritik am Umgang mit Bisphenol-A-Grenzwert
Andreas Kortenkamp, Professor für Humantoxikologie an der Brunel-Universität in London, hält die Weise, in der das BfR ihren eigenen Bisphenol-A-Grenzwert ableitet, für „fahrlässig“. Kortenkamp ist zudem Mitinitiator des offenen Briefs der 56 Mediziner:innen, schreibt die Taz.
Demnach komme der vom BfR vorgeschlagenen Grenzwert Dosierungen nahe, die im Rahmen von Tierversuchen bereits für Auswirkungen auf die Spermienqualität sorgten.
Unterdessen verständigte sich das Umweltministerium darauf, den Umgang mit Bisphenol A erneut zu überprüfen. Die deutschen Fachbehörden agierten unabhängig von politischen Maßgaben, erklärte eine Sprecherin des Umweltministeriums laut Taz. Der offene Brief der Mediziner:innen sei ihnen bekannt.
Verwendete Quellen: Taz, Bundesinstitut für Riskobewertung (BfR), European Environment Agency
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