Ein glückliches Leben durch die Trennung von Arbeit und Freizeit – funktioniert das? Zwei Wissenschaftler:innen sprechen sich dagegen aus, das Glück nur in der Freizeit zu suchen. Der entscheidende Punkt für ein erfülltes Leben, auch im Arbeitsalltag, sei ein anderer.
„Viele der glücklichsten Männer und Frauen in unserer Studie hatten positive Beziehungen zu ihrer Arbeit. Und zu ihren Arbeitskollegen.“ Das sagt der Psychiater Robert Waldinger gegenüber dem Spiegel. Dafür beruft er sich auf empirische Daten. Denn er leitet die Harvard-Studie „Study of Adult Development“, die seit über 80 Jahren untersucht, welche Faktoren für die mentale und körperliche Gesundheit und das Glücksempfinden von Menschen verantwortlich sind. Er betont: Nicht nur die Arbeit selbst ist fürs Lebensglück wichtig, sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen, die man darüber knüpft und pflegt.
Auch die Erziehungswissenschaftlerin und Psychotherapeutin Gabriele Pohl ist der Ansicht, dass der Beruf maßgeblich dazu beitragen kann, zufrieden durchs Leben zu gehen. Sie unterstreicht gegenüber dem Magazin, dass die Freizeit auch nicht automatisch sinnstiftend ist.
Ein erfülltes Leben – nur außerhalb des Berufs möglich?
Die Idee einer Work-Life-Balance – also für sein Berufs- und Privatleben ausgewogen Zeit zu haben – ist weit verbreitet. Pohl kritisiert jedoch im Spiegel-Beitrag die Trennung zwischen Arbeit und Leben an sich, die der Begriff impliziert: „Warum beides trennen? Hat man denn nur ein Leben, wenn man nicht arbeitet?“
Arbeit könne einen maßgeblichen Beitrag zu einem zufriedenen Leben leisten. Laut der Erziehungswissenschaftlerin wüssten viele Menschen nicht einmal, was sie Erfüllendes in ihrer arbeitsfreien Zeit tun könnten. Dabei sei nicht nur die Arbeit an sich entscheidend: Man könne auch eine eintönige Arbeit verrichten und dabei Menschen treffen, die man mag, so die Expertin.
Für Waldinger ist ein gesunder Mittelweg ideal: In seinem Buch „The Good Life“ fasst er die Ergebnisse der von ihm geleiteten Studie zusammen und empfiehlt, sich nicht zwingend ins Privatleben zurückzuziehen, um glücklicher zu werden. Stattdessen sei die Beziehung zur Arbeit und den Kolleg:innen wichtig: Menschen, die beides gern mögen, sind seiner Studie zufolge meist am glücklichsten – „ob sie Reifen verkauften, im Kindergarten unterrichteten oder chirurgische Eingriffe vornahmen“.
Natürlich gibt es auch viele Berufe, in denen sich Menschen ausgebeutet fühlen, wie beispielsweise in der Pflege, merkt Pohl an. Dabei sei es wichtig, Anerkennung für diese Berufsgruppen zu zeigen. Auch die Politik muss der Psychotherapeutin zufolge helfen, diese Berufe aufzuwerten.
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Einer der glücklichsten Menschen hat seinen Traumberuf niemals ausgeübt
Mit einem seiner Studienteilnehmer illustriert Waldinger sein Argument: Zu einem der glücklichsten Menschen, die je an der „Study of Adult Development“ teilgenommen hätten, zähle Leo De Marco. Laut Waldinger hat er die perfekte Balance aus Erfüllung durch Arbeit und Zeit mit der Familie gefunden. Die Arbeit habe für sein Lebensglück eine entscheidende Rolle gespielt – und das, obwohl er seinen Traumberuf niemals ausgeübt hat: Eigentlich wollte er immer Journalist und Schriftsteller werden, fand sein professionelles Glück dann aber in hingebungsvollem Engagement in dem Job, den er stattdessen ausübte: als Lehrer. Es blieb 40 Jahre lang Lehrer und veröffentlichte nie ein Buch.
Pohl lehnt die Trennung zwischen Beruf und Leben ab, die der Begriff der Work-Life-Balance impliziert – während Waldingers Studie am Beispiel von De Marco die positiven Effekte einer Balance zwischen Berufs- und Familienleben verdeutlicht. Beide zeigen gleichermaßen: Der Beruf kann einen erheblichen Beitrag zu einem erfüllten Leben leisten. Dabei muss es sich den beiden Experten zufolge nicht einmal um den Traumberuf handeln. Besonders die Menschen, die einen dabei begleiten, können demnach eine zentrale Rolle spielen.
Die Langzeitstudie weitet sich auf die nächste Generation aus
Im Rahmen der „Study of Adult Development“ forschen die Wissenschaftler:innen unter der Leitung von Waldinger zu Aspekten, die die Lebensqualität, die Gesundheit sowie das Glücksempfinden der Teilnehmer beeinflussen konnten – darunter in etwa deren Erfolge und Misserfolge in Karriere und Partnerschaften.
Dazu befragten sie zwei Gruppen von Männern seit 84 Jahren in regelmäßigen Abständen. Dabei handelt es sich insgesamt um über 700 Teilnehmende: Einerseits ehemalige Absolventen der Harvard Universität (die sogenannte „Grant Study“) und Jugendliche, die in Boston aufgewachsen sind (die sogenannte „Glueck Study“). Die Studien verfolgen das Ziel, biologische und psychosoziale Faktoren im jungen Alter zu identifizieren, die die Lebensqualität im hohen Alter beeinflussen. Auch die Ehefrauen der Teilnehmer wurden schließlich in die Erhebung inkludiert.
In der sogenannten „Second Generation Study“ will das Forschungsteam jetzt anhand der Kinder der Originalteilnehmer untersuchen, wie sich Erlebnisse in der Kindheit auf die Gesundheit im mittleren Alter auswirken. Harvard-News zufolge nehmen von ihnen 1300 teil.
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