Kinderarbeit ist in Deutschland verbreiteter als viele denken und findet besonders häufig im familiären Umfeld statt, warnt die Organisation Terre des Hommes in einem neuen Bericht. Auch Familieninfluencer:innen schaden laut der Analyse ihren Kindern.
Die Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes hat am Dienstag einen neuen Bericht mit dem Titel „Kinderarbeit? In Deutschland?“ veröffentlicht. Die Autor:innen weisen darauf hin, dass Kinderarbeit auch hierzulande keine Seltenheit ist. So arbeiteten laut der Untersuchung weitaus mehr Kinder unter schädlichen Bedingungen, als den zuständigen Behörden bekannt sei. Die Branchen, in denen Verstöße entdeckt wurden, sind vielfältig. Ein Fokusthema des Berichts ist eine recht neue Form der Kinderarbeit, die oft gar nicht als solche wahrgenommen wird: das Mitwirken an Inhalten für Familieninfluencer:innen.
Kinderarbeit vor laufender Kamera
Unter Familieninfluencer:innen werden erwachsene Influencer:innen verstanden, die auf ihren Social-Media-Kanälen über ihr Familienleben berichten und durch ihre Reichweite und die damit verbundenen Werbepartnerschaften Geld verdienen.
„Marketing mit Influencer:innen ist ein Milliardengeschäft, bei dem Familien vor den Augen von oftmals Millionen Follower:innen ihre Kinder einbeziehen, um Geld zu verdienen“, schreibt Terre des Hommes in seiner Pressemitteilung zur Studie. Um die Mitwirkung von Kindern in Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencer:innen zu untersuchen, hat Terre des Hommes sich alle Beiträge aus dem Jahr 2023 von fünf Youtube- und Instagram-Kanälen angesehen, die für den Bericht anonymisiert wurden.
Das Ergebnis: „Ihr Zuhause ist öffentlich sichtbar, Privatsphäre existiert nicht, das Familienleben ist weitgehend inszeniert. Nicht nur die persönliche Sicherheit, sondern auch die Gesundheit der Kinder ist gefährdet, es besteht die Gefahr von Bindungs- und Entwicklungsstörungen“, argumentiert die Kinderrechtsorganisation.
Laut Terre des Hommes verstoßen Familieninfluencer:innen, die ihr Kind für ihr Geschäft ausnutzen, gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Denn laut dieser ist das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen. Dies sei aus den genannten Gründen nicht der Fall.
Terre des Hommes fordert Behörden zum Handeln auf
Josua Hofert, Vorstandsprecher von Terre des Hommes fordert die zuständigen Behörden auf, „die Einbeziehung von Babys und Kleinkindern in digitalen Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencer:innen umgehend zu stoppen“. Auch Beiträge, die die Privatsphäre älterer Kinder verletzen oder ihre Sicherheit gefährden, sollten beendet werden, erklärt Hofert. Außerdem stünden Unternehmen in der Pflicht, „keine Werbung in Kanälen zu schalten, in denen Kinder solchen Risiken ausgesetzt sind“.
Doch was ist mit Kinderinfluencer:innen, also Kinder, die nicht für ihre Eltern vor die Kamera treten, sondern selbst als Influencer:innen Geld verdienen? Gegenüber Utopia antwortet Terre des Hommes, man habe sich in dem Bericht explizit auf Familieninfluencer:innen fokussiert, da das Jugendarbeitsschutzgesetz bisher keine selbstständigen Tätigkeiten regele. Einige der erwähnten Risiken würden jedoch auch auf Kinderinfluencer:innen zutreffen.
Wo Kinderarbeit außerdem in Deutschland vorkommt
Die Beobachtung der digitalen Kanäle von Influencer:innen ist nur ein Aspekt der Studie. Terre des Hommes hat außerdem 37 arbeitende Jugendliche befragt. Diese stammen der Organisation zufolge aus „diversen sozialen Schichten in Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen“. Dabei seien 14 Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen vorgefunden worden, die „eindeutig gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz verstoßen“.
Als Beispiele nennt Terre des Hommes verbotene Arbeiten wie Türstehen und den Ausschank von Alkohol, zu lange Arbeitszeiten, Nachtarbeit oder den Umgang mit gefährlichen Werkzeugen und Maschinen. Mehrfach sei dabei das Mindestalter von 13 Jahren unterschritten worden.
Kinderarbeit in Deutschland: Es bleibt in der Familie
Besonders häufig komme Kinderarbeit innerhalb der Familie und in Familienbetrieben vor, ob zu Hause, in Gaststätten, in der Landwirtschaft oder in Bau- und Reinigungsunternehmen. Kein einziger von Terre des Hommes entdeckter Fall sei dem Jugendamt oder der Gewerbeaufsicht bekannt gewesen. Hofert spricht von einer großen Dunkelziffer.
Zudem würde Jugendliche oft auch Care-Arbeit leisten, indem sie Angehörige pflegen, die krank sind oder eine Behinderung haben. Diese Belastung könne jedoch negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das Sozialleben der jungen Pflegenden haben sowie ihre späteren Bildungs- und Berufschancen schmälern.
Weitere Quellen: Terre des Hommes (Pressemitteilung), Terre des Hommes (Kinderarbeitsreport 2024)
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