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Kleidung aus Menschenhaar? Start-up produziert außergewöhnliche Textilien

Kleidung aus Menschenhaar? Start-up produziert außergewöhnliche Textilien
Foto: Human Material Loop

Was beim Friseur einfach auf den Boden fällt, ist wertvolles Material – so sieht es zumindest das Start-up Human Material Loop. Es fertigt Textilien auf Basis von Menschenhaar – und will bald eine Modekollektion auf den Markt bringen.

Human Material Loop fertigt Garn und Stoffe aus einem ungewöhnlichen Material: Menschenhaar. Gegründet wurde das Start-up in den Niederlanden, von der gebürtigen Ungarin Zsofia Kollar. Gegenüber Zeit Online kündigte sie an, noch dieses Jahr Kleidungsstücke aus dem Material entwerfen und im Rahmen einer kleinen Kollektion verkaufen zu wollen – in Kooperation mit einer „bekannten Marke“. Welche das ist, sei noch geheim.  

Human Material Loop: Wieso Menschenhaar?

Wieso Menschenhaar? Die Beweggründe fasst das Unternehmen auf der eigenen Webseite zusammen. Die Textilindustrie sei einer der größten Umweltverschmutzer der Welt, der sich weitgehend auf Erdöl-Fasern oder Massentierhaltung stützt. Tatsächlich verursacht die Modeindustrie Schätzungen zufolge 10 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen – das ist mehr als internationale Seeschifffahrt und Luftfahrt zusammen.

Human Material Loop setzt den Fokus deshalb auf Menschenhaar statt Tier- oder Erdölfasern. Das Material hat dabei ein paar entscheidende Vorteile: Zum einen wächst es sowieso auf unseren Köpfen – ganz ohne den Aufwand zusätzlicher Ressourcen. Dem Start-up zufolge hat es auch ganz ähnliche Eigenschaften wie Wolle: Es sei langlebig, wärmeisolierend, feuchtigkeitsregulierend und biologisch abbaubar. Außerdem seien die Textilien auch für Allergiker:innen geeignet.

Von Innenausstattung bis Kleidung

Human Material Loop verkauft aktuell selbst keine Produkte aus Menschenhaar, sondern stellt Fasern, Garne und Textilien für andere Unternehmen her, die daraus ihre Produkte fertigen. „Derzeit führen wir mehrere Pilotprojekte mit einer breiten Palette von Produkten durch, vor allem in den Bereichen Innenausstattung und Mode“, erklärt Gründerin Kollar gegenüber Utopia. Das Unternehmen schickt auch Fotos von Pullovern und Jacken, die auf dem Material basieren. Ein Pilotprojekt war ein tweedähnlicher Blazer, ein anderes ein Parka-Prototyp. Bei letzterem dienten die Haare als Futter, um Träger:innen gegen die Kälte zu schützen.

Kleidung aus Menschenhaar: Textilien von Human Material Loop
Parka und Blazer von Human Material Loop. (Foto: Human Material Loop)

Die Produkte sehen aus wie ganz gewöhnliche Kleidungsstücke. Das liegt auch daran, dass sie nicht zu 100 Prozent aus Menschenhaar gefertigt werden. „Je nach Anwendung mischen wir unser Material manchmal mit anderen Proteinfasern oder Fasern auf Pflanzenbasis, um bestimmte Anforderungen zu erfüllen“, führt Kollar aus. Man bemühe sich aber, die Fasern so wenig wie möglich zu mischen.

Ganz vegan (also frei von Tierhaar, Menschen ausgenommen) sind die Stoffe und Garne des Start-ups aber nicht zwingend. „Wir untersuchen derzeit verschiedene Mischungen“, schreibt Kollar auf Nachfrage, „wir wollen wirklich von tierischen Fasern wegbleiben.“

Außerdem werden die Haare mittels eines „umweltfreundlichen chemischen Verfahrens“ behandelt, damit sie die gewünschte Textur erhalten. Auf Details geht die Gründerin nicht ein – laut Zeit Online werden unschädliche Lösungsmittel verwendet, die am Ende nach Möglichkeit zurückgewonnen werden, und Abfälle werden vermieden. „Wir arbeiten immer noch daran, unsere Materialien weicher zu machen“, erklärt Kollar gegenüber Utopia.

Menschenhaar aus Friseursalons: „Niemand wird ausgebeutet“

Stellt sich die Frage, woher die Haare stammen. Laut Kollar bezieht Human Material Loop das Material aus Friseursalons, wo Menschen ihr Haar freiwillig zurücklassen. „In der Perücken- und Haarverlängerungsbranche gibt es erhebliche ethische Probleme, daher möchten wir betonen, dass unser Haar von einem Ort stammt, an dem niemand ausgebeutet oder zum Haareschneiden gezwungen wird“, erklärt die Gründerin.

Tatsächlich stammen Echthaar-Perücken und -Haarteile oft aus indischen Tempeln, wo Haare als religiöse Praxis „geopfert“ werden, schreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Allerdings seien auch arme Frauen oft gezwungen, ihre Haare zu verkaufen – in Teilen Südamerikas gäbe es sogar „Zopfgeldjäger“, die Frauen ungefragt die Haare abschneiden, um sie zu Geld zu machen. Human Material Loop arbeitet dagegen mit Partner-Salons zusammen, die lokale Arbeitsgesetze einhalten, versichert Kollar.

Sie betont auch, dass Human Material Loop seine Materialien aus der EU beziehe. Derzeit werde die Produktion in Deutschland und Spanien aufgebaut. Die Transportemissionen würden einen beträchtlichen Teil der Emissionen in der textilen Lieferkette ausmachen. Auch die Produktion der Textilien soll fair ablaufen. „Wir stellen sicher, dass alle an unserer Produktion beteiligten Personen mit ungiftigen Materialien arbeiten, faire Löhne erhalten, gute Arbeitsbedingungen vorfinden und fair bezahlt werden“, versichert Kollar. Ihr Unternehmen arbeite nur mit einer Handvoll Partner zusammen, die sie persönlich prüfen und besuchen, um sicherzustellen, dass ihre Prozesse den Normen und Vorschriften entsprechen.

Nicht nur Kleidung & Textilien: Weitere Nutzen für Menschenhaar

Auch andere Unternehmen setzen übrigens bereits auf Menschenhaar. Der französische Verein Coiffeures justes (auf deutsch „Faire Friseure“) sammelt etwa abgeschnittene Haare, um damit Meere zu schützen – Utopia berichtete. Das Material wird unter anderem genutzt, um ausgelaufenes Öl aus Gewässern zu entfernen. Auch das Kieler Unternehmen FettFressHair verfolgt einen ganz ähnlichen Zweck: Es will ebenfalls Verunreinigungen aus dem Wasser filtern und fertigt dazu Vliese aus Schnitthaaren Kieler Friseursalons.

Verwendete Quellen: Human Material Loop, EU-Parlament (Schätzungen CO2), FettFressHair, Zeit Online, RND

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