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Kleidung aus Schlachtabfällen: Warum das Ganze?

Kleidung aus Schlachtabfällen: Warum das Ganze?
Foto: CC0 Public Domain - Unsplash/ Diego San, Keagan Henman (Symbolbild)

Gelatine wird aus Schlachtabfällen gewonnen und zu Gummibärchen und Kosmetik weiterverarbeitet. Forschende haben nun eine Maschine entwickelt, die daraus außerdem Fasern für Kleidungsstücke herstellt. Die Fasern lösen sich im warmem Wasser auf – ist das nachhaltig?

Eine Maschine, die Fasern aus Schlachtabfällen produziert? Diese Erfindung von Forschenden des ATLAS Institutes der CU Boulder in Colorado mag erstmal skurril klingen, soll aber gleich zwei Vorteile mit sich bringen:

Zum einen werden die Fasern aus einem Abfallprodukt gewonnen. Denn sie basieren auf Gelatine, die unter anderem aus Schweine- und Kuhknochen gewonnen wird. Wie aus einer Pressemitteilung der University of Colorado Boulder hervorgeht, benutzen die Forschenden Gelatinepulver einer lokalen Metzgerei. Minderwertige Gelatine würde oft entsorgt, weil sie nicht den Anforderungen für Kosmetika oder Lebensmittelprodukte wie Wackelpudding entspricht.

Zum anderen soll man die Gelatinefasern leicht recyceln können. Die „Biofasern“ fühlen sich ein wenig wie Flachsfasern an und lösen sich in heißem Wasser innerhalb von Minuten bis zu einer Stunde auf, schreibt die Universität. Die Gelatine lasse sich wiedergewinnen und zu neuen Fasern verarbeiten.

Die Maschine wurde von einem Team um die Doktorandin Eldy Lázaro Vásquez entwickelt und vor kurzem auf der Fachkonferenz CHI Conference on Human Factors in Computing Systems in Honolulu präsentiert. Nähere Informationen hat das Team im Fachmagazin der Association for Computing Machinery (ACM) veröffentlicht.  

Kleidung aus Schlachtabfällen: Warum das Ganze?
Links der Prototyp der Maschine, rechts Fasern auf Gelatinebasis. (Fotos: CU Boulder)

Maschine produziert Fasern aus Gelatine: So funktioniert sie

Der Bau des Prototyps, der die Fasern herstellt, soll nur 560 Dollar (circa 524 Euro) kosten, heißt es in der Pressemitteilung. „Man könnte die Stärke, Elastizität und Farbe der Fasern nach Bedarf anpassen“, erklärt Lázaro Vásquez. „Mit dieser Art von Prototyp-Maschine kann jeder Fasern herstellen.“

Die Maschine funktioniert so: Eine flüssige Gelatinemischung wird erhitzt und aus einer Plastikspritze gepresst. Zwei Walzensätze in der Maschine dehnen die Masse zu langen, dünnen Fasern, ähnlich denen einer Spinne. Die Fasern gelangen auch in Flüssigkeitsbäder, wo sie mit biobasierten Farbstoffen oder andere Zusatzstoffen vermengt werden können. Die Zugabe von etwas Genipin, einem Fruchtextrakt, macht die Fasern beispielsweise stärker, schreibt die Universität.

Laut Pressemitteilung kann die Maschine neben Gelatine auch andere Materialien verarbeiten, etwa Agar Agar (aus Algen) oder Chitin (aus Krabbenschalen).

Forschende schaffen textile Sensoren

Was für Möglichkeiten das mit sich bringt, zeigen die Forschenden an einem Beispiel: Sie stellten textile Sensoren aus Gelatinefasern, Baumwolle und leitfähigen Garnen her. Dadurch entstand ein Stoff, der elektrische Signale weiterleiten kann.

Ähnliches hat Hersteller Levi’s in Kooperation mit Google kreiert.  Mit der Jacke soll man etwa durch Armbewegungen bestimmte Befehle an das Smartphone weitergeben können. Doch die CU Boulder kritisiert, dass die Jacke nicht recyclebar sei – weil man die Kupferfasern und Elektronik kaum von den anderen Fasern trennen könne. Das Textil mit Gelatinefasern dagegen könne man einfach in warmes Wasser legen. Beim Versuchstextil der Forschenden löste die Gelatine sich tatsächlich auf und die übrigen Garne wurden freigesetzt.

Schlachtabfall-Kleidung: Kann man sie nur einmal tragen?

Bleibt die Frage: Wie wäscht man ein Gelatine-Kleidungsstück, wenn es sich in warmem Wasser auflöst? Lázaro Vásquez erklärt auf Utopia-Anfrage: „Um die Haltbarkeit zu erhöhen und Bedenken hinsichtlich der Waschbarkeit auszuräumen, könnten wir die Biofasern in den Nachbearbeitungsphasen mit biobasierten Beschichtungen versehen.“ Dann würde das Kleidungsstück einen Waschgang und einen Regenschauer überstehen – hätte dann aber andere Eigenschaften als zuvor. Und gerade die Tatsache, dass sich die Gelatinefasern in warmem Wasser auflösen, ist ja die Kernidee des Projektes.

Lázaro Vásquez erklärt weiter: „Unsere Vision hebt diese Biofasern als eine eigene Materialkategorie hervor, die sich ideal für kurzfristige Anwendungen wie Festival-Outfits oder Modeschauen eignet.“ Die Maschine soll also vor allem Kleidungsstücke herstellen, die man nur einmal trägt, damit dafür keine haltbaren Materialien wie Flachs oder Hanf verwendet werden.

Die Forscherin will die Erfindung im nächsten Schritt mit Forschungslabors, Designschulen und Startup-Einrichtungen teilen. Sie sucht derzeit unter anderem in den Niederlanden und in Deutschland nach Kooperationspartner:innen.

Utopia meint: Kleidung aus Gelatine – wie nachhaltig ist das?

Lázaro Vásquez‘ Erfindung geht eines der großen Probleme der Modeindustrie an: Kleidung ist oft kurzlebig – und ist sie einmal kaputt, lässt sie sich nur schwer recyceln.

In Europa werden jährlich 12,6 Millionen Tonnen Textilien entsorgt, das geht aus Angaben das EU-Parlaments hervor. Dass aus alter Mode dabei neue entsteht, ist bisher eher eine Ausnahme. Das hat viele Gründe – von fehlender Infrastruktur bis Mischfasern, die sich kaum identifizieren oder trennen lassen. Kurz gesagt sind verwobene Stoffe nicht darauf ausgelegt, sich wieder trennen zu lassen, und Kleidungsstücke nicht dazu konzipiert, wieder auseinander genommen zu werden.

Ist die Maschine der CU Boulder die Lösung für das Problem? Eher nicht. Denn auch das Recycling-Problem ist nur eine Begleiterscheinung eines weitaus größeren: unser Modekonsum. Wir werfen Kleidung nur deshalb so schnell weg, weil es günstig ist, sie durch neue zu ersetzen. Modekonzerne wissen das, lassen ihre Kleidung unter teils ausbeuterischen Bedingungen fertigen und sparen an der Qualität – damit wir ihnen bald neue Kleidungsstücke abkaufen. Und übrig bleibt ein großer Berg an vermeidbarem Textilmüll.

Eine Maschine, die Kleidung erstellt, die sich nach einmal tragen auflöst, mag dem Zeitgeist entsprechen und sinnvoll für Modeschöpfer oder andere, spezifische Anwendungsfälle sein. Doch Festivaloutfits nach einmal Tragen aufzulösen, ist nicht die Lösung für unser Müllproblem.

Weitere Quellen: CU Boulder Pressemitteilung, ACM, Levi’s, EU-Parlament

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