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Klimaschutz ist out – oder doch nicht? Was uns die Europawahl lehrt

Klimaprotest FFF: Welche Rolle spielt der Klimaschutz bei den Wahlen?
Foto: Alina Schmidt/dpa

Monat für Monat brechen wir Hitzerekorde, dennoch scheint das Klima bei der Europawahl kaum eine Rolle zu spielen – oder? Das stimmt nicht ganz, sagt unsere Redakteurin. Ein Kommentar.

Die AfD als zweitstärkste Kraft in Deutschland und ein Erstarken der Rechtspopulist:innen in ganz Europa: Der Ausgang der Europawahl am Sonntag hat zahlreiche Bürger:innen schockiert. Die Ampel-Parteien verlieren drastisch an Wählerstimmen, die Union hält sich stabil an der Spitze und die AfD verzeichnet mit 4,9 Prozent mit Abstand den meisten Stimmenzuwachs der Parteien, die bereits 2019 bei der Europawahl angetreten sind.

Das Signal scheint eindeutig: Die Parteien, bei denen Klimaschutz weit vorne auf der Agenda steht, verlieren bei der Europawahl. Bei den Themen, die Wähler:innen aktuell am meisten beschäftigen, landet der Klimawandel laut dem Wahlforschungsinstitut Infratest dimap gerade einmal auf Platz vier von fünf. Besonders bei den 16- bis 24-Jährigen schockiert der enorme Zuwachs (+11 Prozent) an Stimmen für die AfD.

Volt trotzt Rechtsruck bei Europawahl und punktet mit Klimaschutz

Doch es gibt auch einen Lichtblick: Eine Kleinpartei trotzt dem Rechtsruck und punktet als Einzige mit Klimaschutz-Themen. Die paneuropäische Partei Volt hat es geschafft, bei der Europawahl mit der Linken beinahe gleichzuziehen. Und während die Grünen Stimmen verlieren, gewinnt Volt dazu. Dabei wirkt ihr Wahlprogramm dem der Grünen auf den ersten Blick sehr ähnlich. Bei Wähler:innen zwischen 16 und 24 Jahren sind sie mit neun Prozent den elf Prozent der Grünen sogar dicht auf den Fersen. Was also machen sie besser?

Ein Punkt könnten die Plakate in knalligem lila mit frechen Slogans wie „Sei kein Arschloch“ sein, sagte Alexander Hoppe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europäische Integration und Europapolitik der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit der Zeit. Hinzu komme: Volt ist noch frisch, war noch nie an einer Regierung beteiligt und konnte somit auch noch nicht so viele Fehler machen oder gar enttäuschen wie etwa die Grünen. Die Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit der Grünen habe viele Wähler:innen bei der Europawahl dazu veranlasst, Volt zu wählen, vermutete auch Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität in Berlin im Gespräch mit dem Spiegel.

Klimaschutz beschäftigt vor allem junge Wähler:innen bei der Europawahl noch immer

Zählt man die Stimmen von Volt und den Grünen in der jüngsten Wählergruppe zusammen kommt man immerhin auf 20 Prozent für den Klimaschutz, zeigt die Forschungsgruppe Wahlen. Das ist mehr als die AfD in dieser Altersgruppe bekam, betonte auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur (dpa). Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts, sagte der Agentur, dass immerhin noch etwa 90 Prozent der Bürger:innen in Deutschland eine Transformation zur Klimaneutralität für dringend geboten und wichtig hielten. An dieser Zahl habe sich seit 15 Jahren wenig verändert.

Die Europawahl zeigt: Klimaschutz ist längst nicht mehr nur ein Thema der Grünen. Im Gegenteil. Nur noch 33 Prozent der Wählenden trauen den Grünen laut dem Wahlforschungsinstitut Infratest dimap die Kompetenz zu, eine gute Klima- und Umweltpolitik zu verfolgen. Zum Vergleich: Bei der Europawahl 2019 waren es noch 56 Prozent. 24 Prozent trauen das keiner der Parteien zu. Klimaschutz ist also nicht out – viele Wählende sind nur mit der Umsetzung der Parteien nicht zufrieden.

Sozialdemokrat:innen und Konservative müssen Klimaschutz jetzt vorantreiben

Dennoch: Die stärksten Kräfte im Europaparlament bleiben die konservative EVP-Fraktion und die sozialdemokratische S&D. Durch die geschwächte Position der Grünen nach der Europawahl kommt ihnen nun im Klimaschutz umso mehr Verantwortung zu. Gerade jetzt wo rechte Kräfte Klimaschutzprojekte im Europaparlament blockieren könnten. Dass Konservative und Sozialdemokrat:innen diese Verantwortung bedacht nutzen, können sie auch im Umgang mit dem Green Deal zeigen (mehr Infos zum Green Deal findet ihr hier). Dieser wird oft als Pfeiler der europäischen Klimapolitik gesehen. Und aktuell haben Grüne, Liberale und Konservative ausreichend Sitze, um den Green Deal voranzutreiben, schreibt Klimajournalist Joachim Wille in der Frankfurter Rundschau.

Aber wie kann Klimapolitik künftig im Allgemeinen aussehen? Wie können wir Menschen, Unternehmen, ja ganz Europa für den Klimaschutz begeistern? Der dänische Soziologe Nikolaj Schultz schlägt auf dem Portal Riffreporter vor: Das Wir-Gefühl in der Klimabewegung müsse gestärkt werden. Außerdem brauche es ein klares, leidenschaftliches Narrativ, das nicht von Verzicht oder Verhindern handele, sondern beispielsweise von Wohlstand und Gerechtigkeit.

Wir müssen wieder träumen

Das könnte konkret bedeuten: Alle ziehen an einem Strang, statt über richtige oder falsche Protestarten zu streiten wie im Fall der Letzten Generation. Es könnte bedeuten, dass wir wieder anfangen, von Utopien zu träumen, eine Welt skizzieren, in welcher der globale Süden nicht unter dem Norden leidet, niemand sein Zuhause wegen des steigenden Meeresspiegels verliert und Reichtum nicht bedeutet den größten SUV zu fahren, sondern Zugang zu einer gut ausgebauten ÖPNV-Infrastruktur zu haben – auch auf dem Land.

Der Handlungsbedarf ist nun dringender denn je: Wir müssen zeigen, dass die Klimakrise kein bloßes Nischenthema ist. Es geht um die Gefährdung unserer Lebensgrundlage. Kein Thema betrifft mehr Menschen so unmittelbar, verändert ihren Alltag so dramatisch. Eine Partei, welche die menschengemachte Klimakrise leugnet, kann daher niemals eine Alternative sein. Darum ist es jetzt umso wichtiger, dass wir den Rechtsruck stoppen – auch dem Klima zuliebe. Das gilt einerseits für die Wähler:innen, die den Politiker:innen deutlich machen müssen, wie wichtig das Thema Klimaschutz für sie ist. Und es gilt andererseits für die Politiker:innen selbst, welche die Enttäuschung der Wähler:innen ernst nehmen und zugleich progressive Alternativen bieten müssen – Alternativen, die dennoch den Klimaschutz in den Mittelpunkt stellen.

Verwendete Quellen: Deutsche Presse Agentur, Zeit, Zeit2, Spiegel, Riffreporter, Tagesschau, Tagesschau 2019, Frankfurter Rundschau

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