Seit 2019 werden ungewöhnlich viele tote Grauwale an der nordamerikanischen Pazifikküste angespült. Dies könnte mit dem Klimawandel zusammenhängen, zeigt eine neue Studie.
Ökosysteme reagieren unterschiedlich auf den Klimawandel, und manche anders als erwartet. Gleiches gilt auch für die darin lebenden Tierarten – mit teils weitreichenden Folgen.
So werden seit 2019 vermehrt tote Grauwale an der nordamerikanischen Pazifikküste angespült, von Alaska im äußersten Norden bis hinunter an die Küste Mexikos. Die Zahl der angeschwemmten Kadaver besorgt Wissenschaftler:innen.
Eine nun im Fachmagazin Science veröffentlichte Studie legt nahe, was der Grund für das Massensterben der Grauwale sein könnte. Der Untersuchung von Forschenden um Joshua Stewart von der Oregon State University in Newport zufolge könnte die Fläche des Meereises in der Arktis in einem direkten Zusammenhang mit den Bestandsschwankungen der Grauwale stehen. Es handelt sich um einen von mehreren Erklärungsansätzen für das Phänomen – andere Forscher:innen vermuten zum Beispiel eine Wasserblase im Pazifik als Ursache.
Zahl der Grauwale schwindet nicht das erste Mal
Die Population von Grauwalen im östlichen Pazifik stabilisierte sich seit dem Ende des kommerziellen Walfangs eigentlich zunächst: Laut einer Bestandsschätzung aus dem Jahr 2016 belief sich die Zahl der Grauwale damals insgesamt auf etwa 27.000 Tiere.
Dieser Anstieg war allerdings kein kontinuierlicher: Bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren gab es erhöhte Zahlen verendeter Grauwale, viele davon ausgezehrt.
Im Rahmen ihrer Studie fokussierten sich die Forschenden auf die Entwicklung des arktischen Meereises. Hierhin nämlich kommen die Grauwale in den Sommermonaten, um Nahrung zu suchen. Im Winter wiederum bringen sie ihre Jungen in den wärmeren Gewässern der Baja California zur Welt.
Steht das Massensterben von Grauwalen in Verbindung zur Erderwärmung?
Nachdem die Forschenden die Zahlen der schwankenden Grauwalpopulation mit Daten zur Eisfläche des arktischen Meeres verglichen, fiel eine Korrelation auf: Geht die Fläche des Meereises in der Arktis zurück, scheint ein vermehrtes Sterben von Grauwalen einzusetzen.
Dies gilt sowohl für die Rückgänge während der Achtziger- und Neunzigerjahre, als auch für das heutige Massensterben im östlichen Pazifik. Einen Grund hierfür sehen die Forschenden im Fressverhalten der Grauwale: Sie fressen vor allem Krustentiere, die sich von Algen ernähren. Und diese wachsen direkt unter der Eisfläche.
Das Vorkommen der Algen steigt, je mehr Eis vorhanden ist. Zudem ist dann auch die Biomasse von Flohkrebsen höher, die sich von den Algen ernähren. Schmilzt das Eis hingegen, können die Grauwale auf einer größeren Fläche fressen und ihnen steht mehr Nahrung zur Verfügung.
Aber nur kurzzeitig: Denn wenn sich die Eisfläche auf Dauer nicht erholt, droht die Biomasse der Algen und damit auch die der Krustentiere zu verschwinden: „Weniger Eis bedeutet weniger Algen, was sich negativ auf die Beute der Grauwale auswirkt“, zitiert Spektrum den leitenden Forschenden Stewart.
Nahrungsgründe von Grauwalen bedroht, wenn das arktische Eis schmilzt
Dies hätte außerdem zur Folge, dass andere Arten sich stattdessen verbreiten, die den Grauwalen nur eingeschränkt als Nahrungsquelle dienen, weil sie weniger Nährstoffe liefern. Außerdem werden Algen und Flohkrebse in eisfreien Regionen durch Meeresströmungen fortgetrieben, sodass sie dort weniger konzentriert vorkommen.
Damit sind die Nahrungsgründe der Grauwale bedroht: „All diese Faktoren kommen zusammen und verringern die Qualität und Verfügbarkeit der Nahrung, auf die sie angewiesen sind“, verdeutlicht Stewart gegenüber Spektrum.
Verschwinden die Nahrungsgründe, würde sich dies direkt auf die Bestandszahlen der Grauwale auswirken. Ihr Massensterben hält bereits seit 2019 an – und die Forschenden gehen davon aus, dass es noch nicht abgeschlossen ist.
Dass dieses Phänomen gegenwärtig über einen wesentlich längeren Zeitraum anhält als die beiden früheren Wellen, könnte den Forschenden zufolge mit dem Rückgang des arktischen Eises durch den Klimawandel zusammenhängen. Die Arktis erwärmt sich nämlich schneller als andere Orte.
Grauwal-Bestände im Ostpazifik sinken weiter
Stewart betont gegenüber Spektrum, die Forschenden befänden sich bezüglich des andauernden Massensterbens der Grauwale auf „unbekanntem Gelände„. Denn die beiden vorangegangen Hochphasen des Walsterbens hätten nur wenige Jahre angehalten.
„Das jüngste Sterbeereignis hat sich verlangsamt und es gibt Anzeichen für eine Trendwende, aber die Population ist bislang weiter zurückgegangen“, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Schuld an der langsamen Erholung der Grauwalbestände könne der Klimawandel sein, welcher die Beute der Wale langfristig beeinträchtigt.
Aktuellen Schätzungen zufolge befinden sich gegenwärtig rund 14.500 Grauwale im nordöstlichen Pazifik. Dass hier beheimatete Tiere aussterben könnten, davon gehen die Wissenschaftler:innen aber nicht aus. Sie sagen eine Stabilisierung der Population voraus, wenn auch auf einem niedrigen Niveau.
Verwendete Quellen: Science, Spektrum
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