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“Massive Fehlanreize”: Was im neuen Koalitionsvertrag fehlt

So erkennt man Populismus und setzt sich für Demokratie ein
Foto: Hannes P. Albert/dpa

Der neue Koalitionsvertrag hat den Titel “Verantwortung für Deutschland”. Doch im Bereich Klimaschutz übernimmt die angestrebte Koalition von Union und SPD zu wenig Verantwortung – Umweltverbände kritisieren das Papier scharf. Utopia stellt acht Verbesserungsvorschläge vor.

Deutschland bekommt zum fünften Mal in seiner Geschichte eine Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD. Knapp sieben Wochen nach der vorgezogenen Bundestagswahl einigten sich die drei Parteien unter dem Druck einer sich rasant verändernden Sicherheits- und Wirtschaftslage in der Welt und eines weiteren Erstarkens der AfD auf einen Koalitionsvertrag.

Das 144-Seiten-Papier mit der Überschrift „Verantwortung für Deutschland“ regelt auch die Verteilung der Ministerien. Erstmals vorgesehen ist ein Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung.

Alle Vereinbarungen stehen unter dem Vorbehalt, dass der Vertrag auch von den drei Parteien abgesegnet wird. Die SPD will dazu ein Votum ihrer Mitglieder einholen, die CSU hat dem Koalitionsvertrag bereits einstimmig zugestimmt. Außerdem gilt ein Finanzierungsvorbehalt, für die Vorhaben muss also auch das nötige Geld da sein.

Auffallend: Ein Thema spielt im Koalitionsvertrag klar eine untergeordnete Rolle – nämlich der Klimaschutz. Dabei gibt es zahlreiche Baustellen, die eine neue Regierung dringend adressieren müsste. Was unserer Ansicht nach im Koalitionsvertrag fehlt.

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Klimaschutz hat zahlreiche Facetten, die man politisch mitdenken sollte. Deshalb ist es so wichtig, dass man das Thema immer berücksichtigt. Die folgenden Punkte sind nur Beispiele für Maßnahmen, die die neue Bundesregierung unserer Ansicht nach adressieren hätte sollen.

Mobilität:

  • Tempolimit: Die SPD war für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h auf deutschen Autobahnen, die Union dagegen – letztere hat sich offenbar durchgesetzt.  Schade, denn ein Tempolimit könnte mehrere Millionen Tonnen CO2 einsparen sowie für bessere Luftqualität, weniger Lärm und mehr Sicherheit sorgen.
  • Abschaffung von umweltschädlichen Subventionen. Dazu gehören etwa das Dienstwagenprivileg oder Subventionen im Luftverkehr (wie Energiesteuerbefreiung von Kerosin, die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge). Sie sind nicht nur klimaschädlich, sondern kosten den Staat viel Geld. Der Koalitionsvertrag sieht stattdessen vor, Luftverkehrssteuern zu senken und elektrische Dienstwagen steuerlich zu begünstigen, durch eine Erhöhung der Bruttopreisgrenze auf 100.000 Euro.

Energie

  • Klarer Plan für den Kohleausstieg vor 2038: Der Vertrag hält am Kohleausstieg bis spätestens 2038 fest. Dabei wäre ein früherer Ausstieg notwendig, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, warnen Wissenschafler:innen. Stattdessen will sich die angestrebte Koalition unter anderem Treibhausgas-Minderungen in Ländern außerhalb Europas anrechnen lassen. Außerdem soll der Bau von 20.000 Megawatt neuer Gaskraftwerke angeregt werden, was auch dazu beitragen soll, Strompreise zu senken. Ob das klappt, ist unklar. „Zum einen wirkt der geplante Zubau von Gaskraftwerken strompreissteigernd, da Gaspreise hoch sind und steigende CO2-Preise ebenso den Strompreis steigen lassen“, schreibt das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Bei Gas handelt es sich um einen fossilen Brennstoff, der CO2-Emissionen verursacht und die Klimakrise verschärft.

Finanzen:

  • Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen über Vermögens- oder Reichensteuer. Die Vermögenssteuer ist seit 1997 ausgesetzt. Dadurch entgehen dem Staat Milliarden an Steuereinnahmen, mit denen Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden könnten. Stattdessen sieht der Koalitionsvertrag vor, das Bürgergeld zu verschärfen. Immerhin sollen auch die Einkommensteuern für kleine und mittlere Einkommen gesenkt werden, Details fehlen noch.
  • Sozial gestaffeltes Klimageld: Der neue Koalitionsvertrag sieht zwar vor, Einnahmen aus dem CO2-Preis an Bürger:innen zurückzugeben. Aber ein Klimageld (also eine direkte Auszahlung) wird nicht erwähnt. Stattdessen soll das offenbar nur indirekt, über Entlastungen bei Wohnen und Mobilität geschehen.

Tierschutz:

  • Mehr konkrete Tierschutz-Maßnahmen: Tierschutz wird zwar stellenweise erwähnt, zum Beispiel der Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung, doch es bleibt offen, woher das Geld kommen soll, kritisiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Eine Videoüberwachung auf Schlachthöfen soll lediglich geprüft werden und die geplanten Regulierungen zum Onlinehandel mit Tieren beinhalten zu viele Ausnahmen.“ Auch andere wichtige Maßnahmen wie weniger Tierversuche oder das Verbot von Tiertransporten in Drittstaaten bleiben aus.

Ernährung:

  • Maßnahmen für gesunde Ernährung: Etwa durch Beschränkung von Junkfood-Werbung an Kinder, verpflichtende Nährwertampel, kostenloses gesundes Mittagessen an Schulen, strengere Pestizidregeln in der Landwirtschaft. Dass diese Aspekte ausgespart wurden, kritisieren etwa Organisationen wie Foodwatch. Sie sprechen von einem „Totalausfall“. Zulassungsverfahren für neue Pestizide sollen sogar vereinfacht werden.
  • Gezielte Steueranpassungen: Zum Beispiel könnte man pflanzliche Lebensmittel niedriger und Fleisch dafür höher besteuern und so eine gesunde, klimafreundliche Ernährung fördern. Stattdessen sieht der Koalitionsvertrag eine Steuersenkung für die Gastronomie vor.

Koalition will Heizungsgesetz abschaffen

SPD und Union wollen an der Klimaneutralität bis 2045 festhalten. Aber es ist unklar, ob das mit ihrem Koalitionsvertrag zu erreichen ist. Denn einige Maßnahmen wirken diesem Ziel direkt entgegen. Etwa sieht der Koalitionsvertrag vor, das „Heizungsgesetz“ abzuschaffen. Tatsächlich ist wohl eine Reform des Gebäudeenergiegesetz (GEG) vorgesehen, es soll „technologieoffener, flexibler und einfacher werden.

Das Heizungsgesetz, das die ehemalige Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf den Weg gebracht hatte, war vielfach kritisiert worden. Es sieht unter anderem vor, dass spätestens ab Mitte 2028 die Nutzung von mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energie für alle neuen Heizungen in Deutschland verpflichtend sein soll. Das bestehende Gesetz wurde vor kurzem von der International Energy Agency (IEA) als “großartige Leistung” gelobt.

Die Abschaffung „führt zu unnötigen Verzögerungen, zu Verunsicherung von Gebäudeeigentümern und zieht hohe Kosten nach sich“, warnt das DIW. Änderungen könnten dazu führen, dass der Gebäudebereich seine Klimaziele nicht erreiche, weshalb Strafzahlungen anfallen könnten.

Von Verkehrssektor bis CO2-Lagerung

Für den Verkehrssektor hebt Schwarz-Rot die Rolle des Autos als “wichtiges Fortbewegungsmittel, vor allem für die Menschen im ländlichen Raum” hervor. Es soll diverse Kaufanreize für E-Autos geben, zum Beispiel soll bis 2035 die KfZ-Steuer für die Fahrzeuge entfallen. Der ÖPNV soll auch gestärkt werden, zum Beispiel verspricht das Papier Investitionen in das deutsche Schienennetz. Das Deutschlandticket bleibt erhalten. Trotzdem fehlen laut DIW die nötigen Maßnahmen zur Emissionsminderung.

Auch andere Punkte sind kritisch zu sehen: Etwa setzt die mögliche Koalition offenbar auf CO2-Abscheidung und -lagerung und auch für den Artenschutz könnten bestimmte Vorschläge problematisch werden. Zudem soll das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) abgeschafft und durch ein neues Gesetz ersetzt werden. Auch die Berichtspflicht soll entfallen. Das europäische Klimaziel für das Jahr 2040 will Schwarz-rot nur mit Vorbehalten unterstützen. 

Umweltverbände kritisieren den Koalitionsvertrag

Die Deutsche Umwelthilfe sieht nicht nur “massive Fehlanreize” im Automobilbereich, sondern auch einen eingetretenen “Worst Case” im Gebäudesektor. BUND-Vorsitzender Olaf Bandt kritisiert unter anderem die Absicht, die Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die Umweltinformations- und Verbandsklagerechte einzuschränken. Damit lege die neue Regierung die Axt an demokratische Grundfesten und beschneide Mitwirkungsrechte.

Der Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser kommentiert: „Die neue Koalition will die Marktkräfte entfesseln, die in den letzten Jahrzehnten Klima und Natur zerstört haben. Sie plant, in nie dagewesenen Umfang Gelder zu verteilen, aber verliert dabei Effizienz und Klimagerechtigkeit in vielen Bereichen aus dem Blick.“ Matthias Meißner vom WWF kritisierte, dass Union und SPD „Mut und Weitsicht“ fehlten, die richtigen Impulse in Richtung Klimaneutralität und Naturschutz zu setzen.

Als positiven Punkt im Koalitionsvertrag benannten die Verbände unter anderem die geplante Rückführung der Zuständigkeit für Klima ins Umweltministerium. Der Klimaschutz war in der Vorgängerregierung auf drei Ministerien verteilt worden.

Mit Material der dpa

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