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Psychologin warnt: Dankbarkeit kann auch schaden

Dankbarkeit
Foto: CC0 / Unsplash - Debby Hudson

Dankbarkeitspraktiken sollen positives Denken fördern und das Wohlbefinden steigern. Besonders depressive Menschen sollten mit solchen Übungen vorsichtig sein, warnt eine Psychologin – doch auch gesunde Personen können es übertreiben.

Wer schlecht drauf ist, sieht sein Leben oft negativer als es wirklich ist. Ein weit verbreiteter Tipp ist daher, sich in Dankbarkeit zu üben. Zum Beispiel, indem man sich regelmäßig bewusst die Zeit nimmt, um Dinge aufzuschreiben, für die man dankbar ist. Tatsächlich kann die Praktik einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden haben, sagt Sonja Lyubomirsky von der University of California, Riverside gegenüber dem US-Sender CNN.

Gleichzeitig warnt die Psychologie-Professorin davor, dass Dankbarkeitsübungen „nach hinten losgehen können“. Das gilt vor allem für depressive und suizidgefährdete Menschen, aber auch für gesunde Personen, wie die Expertin erläutert.

Wem Dankbarkeitsübungen schaden können

Lyubomirsky berichtet, dass sie früh in ihrer Karriere eine Studie zu Dankbarkeitsübungen mit depressiven Student:innen durchgeführt habe. Doch während des Experiments hätten so viele Teilnehmer:innen von einer Verschlechterung ihrer mentalen Verfassung berichtet, dass die Forscherin die Studie abbrechen musste. Der Grund: die Proband:innen entwickelten ein Schuldgefühl. 

„Einige schämten sich für die Dinge in ihrer Dankbarkeitsliste, etwa wenn sie Hilfe von jemandem bekommen haben oder nett behandelt wurden“, erklärt Lyubomirsky. Das Gefühl, Freund:innen und Familie zur Last zu fallen, sei ein Risikofaktor für Selbstmordgefährdung. Menschen mit solchen Gefühlen, würden denken, ihr soziales Umfeld, wäre ohne sie besser dran, sagt die Psychologin. Zwar gebe es noch keine weiterführende Untersuchungen dazu. Doch Lyubomirsky glaubt, dass sich dieser Eindruck, eine Last zu sein, noch verstärken könne, wenn man „über all die verschiedenen Momente nachdenkt, in denen Freund:innen und Familie einem geholfen hätten“.

Schuldgefühle waren nicht der einzige Grund, warum es den Teilnehmer:innen der Studie teils schlechter ging als zuvor, berichtet die Expertin. „Andere sagten, sie hätten Schwierigkeiten etwas zu finden, für das sie dankbar sind, weshalb sie sich mit sich und ihrem Leben noch schlechter fühlten“, ergänzt Lyubomirsky. Wenn man jeden Tag positive Dinge aufschreiben soll, gingen einem irgendwann die Ideen aus. „Das könnte zu dem Schluss führen, dass man kein besonders glückliches Leben hat“, resümiert die Psychologin.

Weniger Dankbarkeit ist manchmal mehr

Laut Lyubomirsky können es aber auch Menschen, die nicht depressiv sind, mit der Dankbarkeit übertreiben – allerdings mit weniger drastischen Folgen.

In einer von der kalifornischen Professorin mitverfassten Studie, die 2005 im Review of General of Psychology veröffentlicht wurde, untersuchte sie gemeinsam mit zwei Kollegen eine bestimmte Dankbarkeitsübung: Die Studienteilnehmer:innen sollten sich regelmäßig fünf Dinge aufschreiben, für die sie dankbar waren. Eine Gruppe sollte dies einmal pro Woche tun, eine andere dreimal pro Woche. Außerdem gab es eine Kontrollgruppe, die keine Dankbarkeitsübung durchführte. Das Experiment dauerte sechs Wochen.

Tatsächlich konnte nur in der Gruppe, die einmal pro Woche Dankbarkeit praktizierte, eine Verbesserung des Wohlbefindens festgestellt werden. Den Personen, die die Übung dreimal pro Woche ausführten, ging es zwar besser als der Kontrollgruppe, aber dennoch schlechter als zu Beginn des Experiments.

„Meine Interpretation war, dass dreimal pro Woche vielleicht zu viel war. Möglicherweise langweilte es die Leute und die Aktivität wurde zur lästigen Pflicht oder verlor ihre Bedeutung“, erklärt Lyubomirsky gegenüber CNN.

Dankbarkeit: Wie man das richtige Maß findet

Trotz der genannten Risiken findet Lyubomirsky Dankbarkeitspraktiken insgesamt hilfreich. „Dankbarkeit hilft dir, mit Herausforderungen und Stressoren umzugehen“, sagt die Psychologin. Außerdem verhinderten solche Übungen, dass sich das Gehirn zu sehr an positive Dinge anpasst und sie als selbstverständlich betrachtet. Studien würden einen kausalen Zusammenhang zwischen Dankbarkeitspraktiken und Wohlbefinden belegen. Doch wie das richtige Maß finden?

Lyubomirsky schlägt vor, auf die eigene Intuition zu hören: „Wenn du einer Übung nachgehst und dich danach weniger positiv fühlst, dann höre damit auf.“ Außerdem solle man sich folgende Fragen stellen:

  • Fällt es mir schwer, Dinge zu finden, für die ich dankbar bin?
  • Schäme ich mich oder fühle ich mich wie eine Belastung für andere, wenn ich ein Dankbarkeitstagebuch führe?
  • Fühlt sich die Übung wie eine lästige Pflichtaufgabe an?

Wenn die Antwort auf eine dieser Fragen „Ja“ lautet, dann sollte man etwas anderes ausprobieren, schlägt Lyubomirsky vor. Dankbarkeit sei schließlich nur einer von hunderten Wegen, das Wohlbefinden zu steigern. Anderen Gutes zu tun oder den Moment zu genießen seien zum Beispiel ebenfalls Übungen, die sich positiv auf das Glücksempfinden auswirken können.

Verwendete Quellen: CNN, Review of General Psychology

Hinweis: Wer sich psychisch belastet fühlt, kann etwa bei der Telefonseelsorge Hilfe finden: Unter der Telefonnummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Alternativ gibt es das Chat-Angebot unter: online.telefonseelsorge.de 

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