Hinter den günstigen Preisen von Shein verbergen sich lange Arbeitszeiten und fragwürdige Bedingungen in den Fabriken. Eine BBC-Reportage deckt die Realität im „Shein-Dorf“ auf.
Der Fast-Fashion-Gigant Shein ist bekannt für seine unglaublich günstigen Preise und eine riesige Auswahl an Kleidung. Doch Recherchen deckten immer wieder ausbeuterische Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten in China auf.
Für eine neue Reportage haben Journalist:innen des britischen Nachrichtenkonzerns mehrere Tage in Panyu verbracht, einem Viertel der chinesischen Stadt Guangzhou, welches auch als „Shein-Dorf“ bekannt ist. Dort befinden sich über 5.000 Fabriken, die hauptsächlich für Shein produzieren. Das Team hat vor Ort zehn Fabriken besucht, mit den Besitzer:innen sowie über 20 Arbeiter:innen gesprochen, und Zeit auf Arbeitsmärkten und bei Textillieferanten verbracht.
Ihr Bericht zeichnet ein deutliches Bild von den Bedingungen vor Ort: Arbeitnehmer:innen in Guangzhou arbeiten demnach bis zu 75 Stunden pro Woche, oft unter Verletzung chinesischer Arbeitsgesetze. Die BBC betont zwar, dass solche Arbeitsbedingungen nicht nur in Shein-Fabriken verbreitet sind. „Doch sie werfen Fragen über Shein auf, ein ehemals wenig bekanntes, in China gegründetes Unternehmen, das in etwas mehr als fünf Jahren zu einem globalen Giganten aufgestiegen ist“, heißt es in dem Bericht.
Klar ist: Die extremen Arbeitsbedingungen ermöglichen das Ultra-Fast-Fashion-Geschäftsmodell, dem Shein seinen kometenhaften Aufstieg verdankt. Online gibt es eine gewaltige Auswahl an Kleidern, Tops und anderen Kleidungsstücken schon ab circa zwei Euro zu kaufen. Statt ein paar mal pro Jahr neue Kollektionen zu launchen, veröffentlicht Shein täglich tausende neue Designs. Das Unternehmen wurde 2023 laut BBC auf einen Marktwert von 66 Milliarden US-Dollar geschätzt, also 63,3 Milliarden Euro.
Arbeitsbedingungen im „Shein-Dorf“: Ein Blick hinter die Kulissen
Die Arbeitsbedingungen im Shein-Dorf sind hart: Laut BBC arbeitet man in der Regel von 8 bis 22 Uhr, doch die Berichte variieren. Die Mehrheit der Befragten erzählte, sie hätten nur einen freien Tag im Monat. Eine Arbeiterin betonte dagegen: „Wenn ein Monat 31 Tage hat, arbeite ich 31 Tage.“ Eine weitere erklärte, dass sie sonntags etwa drei Stunden weniger arbeiten würde.
Diese Arbeitszeiten sind nicht nur ausbeuterisch, sondern auch illegal, da sie gegen chinesische Arbeitsgesetze verstoßen, die eine durchschnittliche Arbeitswoche von 44 Stunden vorschreiben. Auch ein Ruhetag pro Woche ist vorgesehen. Trotzdem schienen einige Befragte stolz auf ihre Arbeit: „Das ist der Beitrag, den wir Chinesen für die Welt leisten können“, erklärte etwa eine Aufseherin.
Und die Bezahlung? Eine Wanderarbeiterin erzählte, sie werde pro Stück bezahlt. Ein T-Shirt bringe 1-2 Yuan (13-26 Cent) ein. Insgesamt verdienten die Befragten eigenen Angaben zufolge 4.000 bis 10.000 Yuan im Monat. Ein „existenzsichernden Lohn“ liegt bei circa 6.500 Yuan, erklärt die BBC mit Verweis auf die Asia Floor Wage Alliance. Es gibt also Shein-Näher:innen, die genug zum Leben verdienen – allerdings müssen sie dafür viel mehr arbeiten, als vorgesehen.
Die Fabriken sind darauf ausgerichtet, schnell auf die Nachfrage zu reagieren. Shein nutzt Algorithmen, um zu erkennen, welche Kleidungsstücke besonders beliebt sind, und gibt dann umgehend neue Bestellungen an die Fabriken auf. Diese Flexibilität führt zu einem ständigen Fluss von Stofflieferungen und fertigen Kleidungsstücken, der oft bis spät in die Nacht andauert.
Experte: Konzern muss transparenter werden
Neben den langen Arbeitszeiten gibt es auch Vorwürfe bezüglich des Einsatzes von Zwangsarbeit und Kinderarbeit. Shein hat in der Vergangenheit zugegeben, dass Kinder in seinen chinesischen Fabriken gearbeitet haben.
Das Unternehmen betont in einer Stellungnahme gegenüber der BBC, es setze sich für faire Arbeitsbedingungen ein und investiere in die Verbesserung der Einhaltung von Vorschriften. Außerdem verwies der Konzern auf Prüfungen, die sicherstellen sollen, dass Lieferanten den Verhaltenskodex des Unternehmens einhalten. Kritiker:innen fordern jedoch mehr Transparenz und die Offenlegung der gesamten Lieferkette.
Die BBC entdeckte in den Fabriken Plakate, die dazu auffordern, minderjährige Arbeiter:innen zu melden. Auch seien die Fabriken mit Ventilatoren belüftet, und weder dunkel noch eng. Sheng Lu, ein Experte für die globale Textil- und Bekleidungsindustrie von der Universität von Delaware, vermutet gegenüber der BBC einen Zusammenhang mit einem geplanten Börsengang an der Londoner Börse –Shein wolle den eigenen Ruf verbessern.
Er betont, dass Shein seine Fabrikliste veröffentlichen und seine Lieferkette transparenter machen muss, um das Vertrauen der Investoren zu erhalten. Shein sieht sich auch mit Anschuldigungen konfrontiert, Baumwolle aus der Region Xinjiang zu beziehen, wo Zwangsarbeit vermutet wird.
Was Fabrikbesitzer:innen von Shein halten
Der Erfolg von Shein beruht auf einer effizienten Lieferkette, die es ermöglicht, große Mengen an Kleidung zu niedrigen Preisen herzustellen. Die Bestellungen in Fabriken übernimmt ein Algorithmus. Die Fabrikbesitzer:innen sehen Shein unterschiedlich: Während einige den Konzern als verlässlichen Partner loben, der pünktlich bezahlt, werfen ihm andere vor, die Preise zu kontrollieren. Das Unternehmen sei ein „harter Verhandlungspartner“, Kosten müssten an anderer Stelle gespart werden, oft bei den Mitarbeiter:innen.
Einfluss chinesischer Plattformen wächst auch in Europa
Auch in Europa dominieren chinesische Online-Plattformen die Märkte zunehmend. 2024 entfielen fast sechs Prozent aller Online-Käufe auf die Plattformen Temu, Shein und Aliexpress, so der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH). Damit stieg der Anteil im Vergleich zum Vorjahr fast um das Dreifache.
Dabei gibt es von vielen Seiten Kritik, etwa wegen schlechter Produktqualität, mangelnder Kontrollen und unfairer Wettbewerbsbedingungen. Produkte werden oft per Luftfracht geliefert, was Klima und Warenverkehr belastet. Zudem profitieren die Shops von der 150-Euro-Zollfreigrenze – wobei viele Sendungen falsch deklariert sein sollen.
Ein Bericht von „Öko-Test“ zeigte im August, dass viele Shein-Produkte schadstoffbelastet sind. Auch die NGO Public Eye dokumentierte 2021 schlechte Arbeitsbedingungen in Shein-Fabriken, darunter ebenfalls 75-Stunden-Wochen. Die Firmen weisen die Vorwürfe damals zurück und betonen, sich an Regeln zu halten. Die BBC-Reportage zieht diese Aussagen nun in Zweifel.
Verwendete Quellen: BBC, BEVH, Public Eye
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