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„Schäden bis hin zum Zahnverlust“: Wann Aligner aus dem Internet gefährlich sind

Wann Aligner aus dem Internet gefährlich sind
Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn/dpa

Eine Zahnlücke loswerden und eine Fehlstellung korrigieren? Mit transparenten Zahnschienen, sogenannten Alignern, kann das klappen. Man kann sie auch einfach im Internet kaufen. Expert:innen warnen jedoch vor den Risiken.

Schiefe Zähne mögen für manche Menschen ein Problem sein. Auf Social Media werben Unternehmen mit Schienen für Erwachsene, die bestimmte Zahnfehlstellungen korrigieren können. Aligner (engl. „align“ für „ausrichten“), so das Versprechen, sollen helfen.

Die Schienen sitzen auf dem Gebiss auf. Weil sie transparent sind, fallen sie optisch oft gar nicht auf. Und sie behindern auch nicht beim Sprechen oder Lachen. Beim Essen und Zähneputzen entfernt man sie. In Summe sollte man Aligner für etwa 22 Stunden am Tag tragen, heißt es. 

Auf den ersten Blick scheint es praktisch, dass man solche Aligner auf eigene Faust im Internet ordern kann. Aber ist das eine gute Idee? 

Aligner kaufen: Oft fehlt ärztliche Begleitung

Es gibt eine Reihe von gewerblichen Anbietern, die Zahnfehlstellungen mit Alignern korrigieren. Viele von ihnen versuchen, über Social Media Kund:innen zu finden. Dabei versprechen sie zum Beispiel, die Behandlung bei ihnen sei preisgünstiger als bei einem Zahnarzt oder einer Fachärztin für Kieferorthopädie. Eine leichte Fehlstellung etwa soll schon für weniger als 2000 Euro korrigiert werden können. 

Und so läuft die Behandlung ab: Oft steht am Anfang ein Termin in einer Partner-Praxis, bei dem ein Kieferorthopäde oder eine Zahnärztin einen Abdruck des Kiefers nimmt. Einige Anbieter fordern Patient:innen aber auch dazu auf, selbst Abdrücke zu machen und einzuschicken.

Auf dieser Basis erstellen die Anbieter die Aligner. Es ist gleich ein ganzer Schwung, denn nach sieben bis 14 Tagen muss man in aller Regel die Schiene wechseln. Ein Computer berechnet dafür am Anfang, wie sich das Gebiss unter der Therapie weiter verschiebt. 

Die Kontrolle der Bisslage und des Behandlungsverlaufes erfolgt nicht selten über Handyfotos, die die Patient:innen selbst erstellen. „Es gibt leider Unternehmen, die Alignerbestellungen ohne oder mit minimaler ärztlicher Begleitung anbieten“, sagt Prof. Peter Proff. Er ist Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie am Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie. 

Auch der Hamburger Zahnarzt Konstantin von Laffert kritisiert die Vorgehensweise vieler gewerblicher Anbieter. „Eine entscheidende Aufgabe wie etwa die Abdrucknahme des Gebisses kann man nicht einem Laien beziehungsweise dem Patienten selbst überlassen.“

Kontrolle über Fotos reicht nicht aus

Aber selbst wenn nicht der:die Patient:in den Abdruck nimmt, sondern ein Profi: Die Kontrolle von Behandlungen über Fotos „ist absolut unzureichend„, sagt von Laffert, der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer ist. Kontrollen hätten in Präsenz bei einer Zahnärztin oder einem Kieferorthopäden zu erfolgen. „Auch telemedizinische Möglichkeiten sind kein Ersatz für die nötigen Untersuchungen vor Ort durch eine Ärztin oder einen Arzt“, findet er. 

Die Folge: Tritt im Zuge der Behandlung über einen Aligner-Hersteller ein Problem auf, stehen Patient:innen meist alleine da. 

Das kritisieren auch die Verbraucherzentralen, die gewerbliche Zahnschienen-Anbieter im Jahr 2021 einem Marktcheck unterzogen haben. „Das Geschäftsmodell kann für Sie problematisch werden, wenn die Behandlung nicht verläuft wie erhofft“, heißt es von den Verbraucherschützern. Sie haben außerdem festgestellt, dass kein Anbieter ausreichend über mögliche Risiken und Alternativen aufklärt.

Übersehene Parodontitis kann zum Zahnverlust führen

Zahnarzt Konstantin von Laffert zeigt an einem Beispiel, welche Folgen ein Aligner aus dem Internet haben kann. Angenommen, eine Frau möchte mit einem Aligner eine winzige Lücke in ihrer Zahnfront am Oberkiefer schließen – und bestellt einen Aligner. 

Weil aber manche Anbieter die Zähne zuvor nicht vom Facharzt untersuchen und ein Röntgenbild erstellen lassen, wird womöglich übersehen, dass die zu bewegenden Zähne durch eine Parodontitis gelockert sein könnten. „Die Patientin riskiert somit schwere Schäden bis hin zum Zahnverlust“, so von Laffert. 

Zudem besteht das Risiko einer Fehlbehandlung des Kiefergelenks. Die Folgen davon können Nacken- und Kopfschmerzen, Migräne und Mundöffnungsstörungen sein. „Am Ende bleiben die Patienten zudem auf den Kosten für eine Zweit- oder Nachbehandlung sitzen“, sagt Peter Proff. 

Ärzt:innen müssen über Grenzen aufklären

Dabei können Aligner durchaus effektiv eine leichte Fehlstellung von Zähnen korrigieren – wenn das unter Kontrolle von Profis passiert. 

Kieferorthopäd:innen oder Zahnärzt:innen mit kieferorthopädischen Fachkenntnissen kennen nicht nur die Möglichkeiten, Grenzen und Risiken von Alignern. Sie müssen Patient:innen auch im persönlichen Gespräch darüber aufklären. „Zudem können Ärzte auch bei Problemen und unvorhergesehenen Befunden während einer Behandlung kompetent reagieren“, so Peter Proff. 

Es gibt auch Alternativen

Ihm zufolge hängt die Behandlungsdauer mit Alignern von der jeweiligen Problematik ab, es können bis zu zwei Jahre werden. Die Schienen müssen Patient:innen in aller Regel privat bezahlen. Wie teuer es genau wird, ist individuell, man muss sich auf Kosten von mehreren Tausend Euro einstellen. 

Zu Alignern gibt es auch Alternativen. Verbreitet sind etwa festsitzende Zahnspangen in Form von Brackets. Hierbei handelt es sich um Plättchen, die direkt von innen oder außen auf den Zahnschmelz geklebt werden. In diesen Brackets befindet sich ein Bogen, der die Zähne in die gewünschte Stellung bringt. 

Ob Aligner, Brackets oder doch eine andere Lösung: Wie sich Zähne am besten in Form bringen lassen, diese Entscheidung treffen Fachärzt:innen und Patient:innen am besten gemeinsam – und zwar nach einer ausführlichen Diagnostik und Aufklärung.

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