Umweltschützer:innen schlagen Alarm, die EU und Unesco warnen, und die linke Regierung in Spanien tobt: Die Region Andalusien will den wasserintensiven Erdbeeranbau ausweiten – und könnte damit nach Meinung vieler ein Naturparadies zerstören.
Der Anbau von Erdbeeren, die vor allem in Deutschland gegessen werden, bedroht in Spanien ein Naturparadies und sorgt für heftigen Streit. Direkt an dem vom Austrocknen bedrohten Feuchtgebiet und Unesco-Weltnaturerbe Doñana im Südwesten des Landes kündigte die konservativ regierte Region Andalusien diese Woche die Ausweitung der zulässigen Anbaufläche der wasserintensiven „Königsfrucht“ um weitere rund 800 Hektar an. Umweltschützer:innen und Forscher:innen schlagen Alarm, die EU droht mit Sanktionen, die Unesco warnt vor einer Streichung des Nationalparks Doñana von der Liste als Weltnaturerbe – und auch die linke Zentralregierung in Madrid geht auf die Barrikaden.
„Doñana wird nicht angefasst“, lautete die erste Reaktion von Ministerpräsident Pedro Sánchez. Am Rande einer Veranstaltung in Bilbao bekräftigte Sánchez seinen Widerstand: „Wenn die Wissenschaft, die Unesco, die Europäische Kommission und spanische und europäische Gerichtsurteile dies sagen (…) muss der Skandal gestoppt“ werden.
Der Streit zwischen Politiker:innen in Madrid, Sevilla und Brüssel, zwischen Ökolog:innen und Landwirt:innen spitzte sich am Wochenende zu. Die Andalusien-Regierung ließ durchblicken, Madrid erwäge, die Region unter Zwangsverwaltung zu stellen, wie es in der spanischen Demokratie nur einmal, und zwar Ende 2017 mit Katalonien wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen, geschehen war. Das sorgte zunächst für viel Aufsehen. Doch der Vertreter des spanischen Innenministeriums in Sevilla, Pedro Fernández, bestritt am Samstag entsprechende Pläne. Madrid will aber nicht untätig bleiben und drohte bereits unter anderem mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht.
Erdbeeren bedrohen Naturpark Doñana
In dem 1969 gegründeten Nationalpark Doñana, der zusammen mit einer als Naturpark geschützten Fläche und einer „Pufferzone“ gut 122.000 Hektar umfasst und damit etwa halb so groß wie das Saarland ist, geht der Grundwasserspiegel schon seit Jahren dramatisch zurück, wie WWF und andere Umweltschutzorganisationen klagen. Der Grund: Legale und illegale Brunnen werden benutzt, um große Wassermengen vor allem für Frucht- und Gemüseplantagen, aber auch für den Tourismus abzuzweigen.
Ökolog:innen machen für die Misere auch den vom Menschen verursachten Klimawandel und den Regenmangel verantwortlich. Nach dem jüngsten Bericht der Biologischen Station im Nationalpark sind seit zehn Jahren bereits fast 60 Prozent aller Lagunen vertrocknet. Neben der legalen Bewässerung wurden laut WWF in den vergangenen Jahren rund tausend neue illegale Tiefbrunnen gegraben.
Rund 300 Liter Wasser für 1 Kilo Erdbeeren
Laut WWF werden für die Herstellung von einem Kilo Erdbeeren rund 300 Liter Wasser verbraucht. Das Wasser werde von den Tieren und Pflanzen dringend gebraucht. Der WWF startete eine Unterschriftenaktion gegen das Vorhaben Andalusiens, das am Samstag bereits von knapp 70.000 Menschen unterzeichnet worden war.
Der Erdbeeranbau erhöht zudem auch die Nitratbelastung des Wassers. Die Lage werde immer dramatischer, berichtete Stationsleiter Eloy Revilla. „Wir werden ohne Doñana, aber auch ohne Landwirtschaft und Tourismus dastehen“, sagte er im einem am Freitagabend von der Digitalzeitung Público veröffentlichten Interview.
Wegen der Vernachlässigung eines der wichtigsten Feuchtgebiete der Erde hatte Spanien erst 2021 einen schwerwiegenden Rüffel bekommen. Der EU-Gerichtshof in Luxemburg gab damals einer Klage der Kommission statt und meinte, Spanien müsse sich beim Schutz mehr anstrengen.
Wirtschaftliche Interessen versus Umweltschutz
Es gibt aber einen großen Interessenkonflikt: Die Landwirtschaft ist der Motor der äußerst strukturschwachen andalusischen Provinz Huelva. Die Erdbeeren spielen dabei eine Hauptrolle: Nach Angaben des Verbandes Interfresa sorgte die Frucht 2021 für 100.000 Arbeitsplätze sowie für knapp acht Prozent des Bruttoeinkommens ganz Andalusiens. Von den 360.000 Tonnen, die 2021 in Spanien produziert wurden, stammten fast 324.000 Tonnen aus Andalusien. Rund ein Drittel, 113.000 Tonnen, gingen nach Deutschland, dem weltweit größten Abnehmer.
Eine Lösung ist nicht in Sicht. Vor den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai und der Parlamentswahl Ende des Jahres droht die Erdbeere vielmehr zu einem weiteren großen Konfrontationsthema zu werden. Der konservative Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo warf Sánchez vor, die Probleme der Bauernfamilien in Andalusien zu ignorieren. Madrid wolle aus dem Konflikt Profit in Form von Wählerstimmen schlagen. „Niemand glaubt, dass die Regierung wirklich an Doñana interessiert ist. Sie kümmert sich seit Jahren nicht darum.“
Das Feuchtgebiet an der Costa de la Luz entlang des Flusses Guadalquivir, das die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2018 auf Einladung von Sánchez besuchte, weist eine einzigartige Vielfalt an Ökosystemen auf. Es beherbergt eine reiche Fauna und Flora, darunter kritisch gefährdete Arten wie den Kaiseradler, den Iberischen Luchs und die Maurische Landschildkröte. Und auch Wanderdünen, endlose Strände, Wälder, Buschwerk und Sumpfgebiete.
Utopia meint: Lieber heimische Erdbeeren kaufen
Dass viele Menschen in Doñana mit dem Anbau von Erdbeeren ihren Lebensunterhalt verdienen, verschärft die Problematik. Es ist nachvollziehbar, dass Menschen um ihre Arbeit bangen. Gleichzeitig dürfte die Zerstörung eines ökologisch wertvollen Naturpark ebenfalls große Probleme nach sich ziehen. Langfristige Folgen wie etwa ein reduzierter Grundwasserspiegel, Artensterben oder besagte Nitratbelastung. Hinzu kommt der erwartete Rückgang des Tourismus.
Außerdem darf nicht vergessen werden, dass Erntehelfer:innen in Spanien teils unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, zumindest ist dies in der Region Almería der Fall, wie die Tagesschau berichtet. Ob es in Doñana ähnlich zugeht, ist zwar unklar. Fakt ist jedoch, dass Spanien einen deutlich niedrigeren Mindestlohn als Deutschland hat (1.080 Euro pro Monat, laut dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung). dies dürfte einer der Gründe dafür sein, weshalb Deutschland der größte Abnehmer für spanische Erdbeeren ist.
Ein weiteres Problem: Deutsche Landwirt:innen können mit den Preisen der ausländischen Früchte kaum mithalten und haben auch deshalb vergangenes Jahr sogar Teile ihrer Erdbeerernte vernichtet. Wer umweltfreundlich und sozial gerecht konsumieren will, sollte auf Früherdbeeren aus Spanien lieber verzichten und bis Juni warten. Dann haben auch deutsche Erdbeeren Saison.
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