In den kommenden Jahren wollen Internetkonzerne tausende Satelliten in die Umlaufbahn schießen. Wissenschaftler:innen warnen gegenüber Utopia vor den Folgen. Der Nachthimmel sei in Gefahr – ebenso die Sicherheit der Erde.
Die Kosten, um einen Satelliten ins Weltall zu befördern, sind in den letzten Jahren drastisch gesunken – viele Unternehmen sehen deshalb einen Markt für satellitenbetriebenes Hochgeschwindigkeitsinternet. Sie planen sogenannte „Megakonstellationen“, also Gruppen von Tausenden von Satelliten in einer niedrigen Erdumlaufbahn, die gemeinsam schnelles Internet bereitstellen sollen.
Expert:innen sind angesichts dieser Pläne besorgt, wie sie im Gespräch mit Utopia erklären. Sie warnen, dass die bisherigen Satelliten den Nachthimmel schon maßgeblich beeinflussen – und zeigen auf, wie weitere die Sicherheit des Planeten sowie die Atmosphäre gefährden. Mit jedem zusätzlichen Raumflugkörper steigt ihnen zufolge auch das Risiko für Massenkollisionen, die Teile der Umlaufbahn unbrauchbar machen könnten.
Trotz der Gefahren soll die Zahl der Satelliten im Orbit in den nächsten Jahren stark steigen. Das US-Raumfahrtunternehmen SpaceX hat in den letzten Jahren bereits mehr als 4000 Raumflugkörper in den Orbit befördert, die gemeinsam das Netzwerk Starlink bilden. In den kommenden Jahren sollen es SpaceX-CEO Elon Musk zufolge 42.000 Satelliten werden. Weitere Unternehmen ziehen nach.
Der UK-Dienstleister OneWeb stellt beispielsweise bereits in 37 europäischen Ländern Satelliteninternet zur Verfügung, mit derzeit 600 Minisatelliten im erdnahen Orbit. Amazon launchte vor kurzem eigene Testsatelliten erfolgreich ins Weltall. Der Konzern plant ein eigenes Netzwerk aus 3000 Satelliten namens Kuiper. Die Hälfte der Raumflugkörper soll sich schon bis 2026 in der Erdumlaufbahn befinden.
Von der Erde aus erkennt man Satelliten oft mit bloßem Auge. Anders als die relativ statisch wirkenden Sterne bewegen sich die künstlichen Lichtpunkte schneller über den Nachthimmel. Würde ihre Zahl wie geplant stark ansteigen, hätte das sichtbare Konsequenzen: Unter anderem könnte die Nacht heller werden, was die Gesundheit von Mensch und Tier beeinträchtigt.
Satelliten hellen die Nacht auf – und gefährden die Gesundheit
Die meisten Satelliten kann man im Juni und Juli beobachten, erklärt Manuel Philipp im Gespräch mit Utopia. Der Physiker hat die Initiative „Paten der Nacht“ gegründet, welche sich gegen Lichtverschmutzung und für die Bewahrung des Nachthimmels einsetzt. Zu dieser Zeit steht die Sonne nur knapp unter der Horizontlinie. Dann, so Philipp, könne sie die nahe der Erdoberfläche kreisenden Metallkörper besonders gut beleuchten, die das Sonnenlicht reflektieren. Im Winter dagegen seien kaum Satelliten zu sehen. Philipp befürchtet, dass sich der Nachthimmel bald drastisch verändert, sollten Amazon, SpaceX und Co. ihre Pläne komplett umsetzen.
Das wäre nicht nur aus kultureller Sicht ein Verlust – Sternkonstellationen verbinden und inspirieren die Menschheit seit Jahrtausenden. Physiker Philipp befürchtet, dass mehr Satelliten das Problem der Lichtverschmutzung verschlimmern werden. Das bedeutet: Mehr Lichtpunkte am Himmel, die Licht reflektieren und streuen, die Nacht heller machen und nachtaktive Insekten und Zugvögel die Orientierung nehmen.
Auch der Hell-Dunkel-Rhythmus von Pflanzen und Tieren könne aus dem Gleichgewicht geraten, was ganze Ökosysteme bedroht, warnt Philipp. Menschen sind ebenfalls betroffen: Verschiedene im Fachblatt Science erschienene Studien warnen, dass Lichtverschmutzung unseren Schlaf beeinträchtigen kann. Dabei können lebenswichtige Erholungs- und Reparaturmechanismen gestört werden. Die Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs wird ebenfalls mit der Einwirkung von künstlichem Licht in der Nacht in Verbindung gebracht.
Laut einer Studie von 2021, die im Fachblatt Monthly Notices from the Royal Astronomical Society erschien, haben künstliche Objekte rund um die Erde den nächtlichen Himmel bereits um etwa zehn Prozent erhellt. Damals umkreisten etwas über 3300 Satelliten die Erde. Im November 2023 waren es etwa 8800, wie die europäische Raumfahrtagentur Esa der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bestätigte. Nur für geplante Satellitennetzwerke soll sich die Zahl bald mehr als versiebenfachen.
„Schon jetzt gibt es wegen Lichtverschmutzung keinen einzigen Ort mehr auf der Welt, an dem man einen 100 Prozent natürlichen Nachthimmel sehen kann“, klagt der Experte. Selbst Mitten auf den Ozeanen, in der Wüste und in den Hochalpen seien die Sterne zwar noch maximal gut zu sehen, aber nicht mehr komplett unverfälscht.
Wieso sich der Nachhimmel gerade über Deutschland stark ändert
Auch Astronomin Samantha Lawler von der kanadischen University of Regina sorgt sich um Veränderungen im Nachthimmel. Die Forscherin hat 2021 einen Forschungsbericht zum Thema in der Fachzeitschrift The Astronomical Journal veröffentlicht. Ihre Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass bald einer von 15 sichtbaren Lichtpunkten am Nachthimmel ein sich bewegender Satellit sein wird. Und das überall auf der Welt, in den ersten zwei Stunden nach Sonnenaufgang beziehungsweise Sonnenuntergang.
Vom 45. bis zum 55. Breitengrad werde man die Raumflugkörper jedoch die ganze Nacht lang sehen, warnt sie gegenüber Utopia. Das liegt an den von Satelliten-Unternehmen gewählten Umlaufbahnen und dem Einfallwinkel des Sonnenlichts. Deutschland erstreckt sich von 47 bis 55 Grad nördlicher Breite und wäre damit betroffen.
Für ihre Berechnung nimmt Lawler an, dass die vier großen Satellitenunternehmen Starlink, OneWeb, Kuiper und StarNet/GW alle 65.000 der von ihnen geplanten Satelliten in den Orbit bringen werden. Und dass diese ein ähnliches Reflexionsvermögen haben wie die Starlink-Satelliten, die sich derzeit in der Umlaufbahn befinden.
Reflektierende Satelliten würden aber nicht nur unseren Sternenhimmel verfälschen, sondern können die Menschheit auch vor existenzielle Probleme stellen. Denn sie erschweren es Forscher:innen, potenziell gefährliche Asteroiden zu entdecken. Physiker Philipp beklagt: „Es geht nicht nur um die Verschandelung des natürlichen Nachthimmels, sondern auch darum, dass die Sicherheit der Erde gefährdet wird.“
Satelliten erschweren es, Asteroiden rechtzeitig abzuwehren
Asteroiden mit einer Größe von vier Metern treffen etwa einmal pro Jahr auf der Erdoberfläche auf, schreibt das Magazin t3n mit Bezug auf Nasa-Schätzungen. Solche mit über einem Kilometer Durchmesser dagegen treffen die Erde circa alle 500.000 Jahre. Je größer der Asteroid, desto größer der potenzielle Schaden. Selbst größere Asteroiden sind aber noch nicht vollständig identifiziert. Was man weiß: Ein Himmelskörper mit einem Kilometer Durchmesser wird im Jahr 2029 in einem Abstand von nur 248.700 Kilometern die Erde passieren.
Astronomin Lawler verweist auf die DART Mission 1, bei der 2022 erfolgreich ein Asteroid umgelenkt wurde. Die Technologie zum Schutz der Erde sei da, versichert sie. Aber man müsse den Asteroid Monate oder sogar Jahre vor dem Zusammenstoß mit der Erde entdecken. „Das bedeutet, dass wir gefährliche Asteroiden so schnell wie möglich aufspüren müssen, aber die Lichtverschmutzung durch Satelliten wird dies erschweren“, so die Forscherin.
Wie sehr, zeigt sie anhand des Vera-Rubin-Observatoriums in Chile, welches in etwa einem Jahr in Betrieb gehen und Tausende von erdnahen Asteroiden aufspüren soll. Dafür nutzt es unter anderem einen großen Spiegel und eine empfindliche Kamera. Lawler schätzt, dass etwa 30 Prozent der Bilder verfälschte Daten wegen Satelliten liefern werden. Der Grund: Die erdnahen Himmelskörper hinterlassen beim Umkreisen des Planeten helle Streifen auf Langzeitbelichtungen und können die Bilder unbrauchbar machen. „Dieses vom Steuerzahler finanzierte Teleskop wird aufgrund der Aktivitäten privater, gewinnorientierter Unternehmen im Orbit viel weniger effektiv sein“, klagt sie.
„Kann Teile der Umlaufbahn für Jahrzehnte unbrauchbar machen“
Das drängendste Risiko durch Sateliten-Megakonstellationen, wie sie Musk und andere Unternehmer planen, sieht Lawler weder bei Asteroideneinschlägen noch bei Lichtverschmutzung. „Die größte Sorge bereitet mir das Kollisionsrisiko“, erklärt die Expertin. „Es gibt bereits eine Menge Schrott auf verschiedenen Umlaufbahnen, und mit jedem Start kommt mehr Schrott hinzu“.
Die Expertin erklärt, dass derzeit kleine Trümmerteile und sogar ganze Raketenreste die Erde mit mehreren Kilometern pro Stunde umkreisen. Starlink-Satelliten würden während ihren Erdumkreisungen bekannten Weltraumschrottteilen und einander aktiv ausweichen. Doch käme es doch zu einer zufälligen Kollision, hätte das schwere Folgen. Denn dann entstünden mehr Trümmerteile, die das weitere Kollisionsrisiko erhöhen, was wiederum zu mehr Trümmern führen könnte.
„Diese unkontrollierbare Kollisionskaskade kann Teile der Umlaufbahn für Jahrzehnte unbrauchbar machen, und das alles könnte mit einem einzigen Unfall in einer dicht besiedelten Hülle von Satelliten beginnen“, warnt Lawler. Zudem sorgt sich die Forscherin um Sonnenstürme, die in der Vergangenheit die Bordelektronik von Satelliten abgeschaltet oder sogar zerstört haben. „Was passiert, wenn viele Starlinks gleichzeitig die Fähigkeit zum Manövrieren verlieren?“, fragt sie.
Auch kleine Trümmerteile können laut Philipp Sonnenlicht reflektieren – und haben dafür eine größere Fläche zur Verfügung als ein einzelner Satellit. Obwohl es noch keine genauen Messungen gibt, schätzt der Physiker, dass sie die Lichtverschmutzung erhöhen.
Umweltverschmutzung würde sich summieren – chemische Veränderung der Atmosphäre?
Sollten Starlink, OneWeb, Amazon und Co. ihre Pläne für Satellitennetzwerke realisieren, müssten wohl Hunderte Raketen pro Jahr starten, um die Überträger in den Orbit zu befördern. Dabei summiert sich die Umweltverschmutzung, warnt Lawler. „Selbst Raketen, die Brennstoffe mit harmlosen Abgasen wie Wasserdampf verwenden, können Veränderungen verursachen, da sie große Mengen in der oberen Atmosphäre ablagern – dies ist wahrscheinlich ein Grund dafür, dass nächtliche Wolken in großer Höhe in den letzten Jahren dramatisch zugenommen haben.“
Zudem beträgt die Lebensdauer der Satelliten ihr zufolge nur fünf Jahre, danach sollen sie kontrolliert in der Erdatmosphäre verglühen. Bei 42.000 SpaceX-Satelliten mit je 1250 Kilo Gewicht kommt man auf 29 Tonnen ausrangierte Satelliten pro Tag. Lawler verweist auf mögliche chemische Veränderungen in der Atmosphäre durch die großen Mengen an Aluminium, die bei der Verbrennung freigesetzt werden.
„Die erdnahe Umlaufbahn wird rechtlich nicht als Umwelt betrachtet, unterliegt also keinen Umweltvorschriften, und meines Wissens untersucht niemand die Auswirkungen dieser Verschmutzung“, gibt die Forscherin zu bedenken.
Satelliteninternet: Gibt es auch positive Aspekte?
Satelliten werden auch für Zwecke wie das Sammeln von Wetter- und Klimadaten genutzt. Doch diese Raumflugkörper machen laut Lawler nur einen kleinen Teil aus, die meisten sind kleiner als Starlink-Satelliten. Zudem sollen die geplanten Megakonstellationen ihr zufolge überwiegend oder ausschließlich Internet bereitstellen – was trotz negativer Umweltwirkungen vielen Menschen helfen könnte.
Beispielsweise könnten Bevölkerungsgruppen in ländlichen und abgelegenen Gebieten so erstmals Zugang zu schnellem Internet erhalten. Allerdings ist Starlink-Internet bislang nicht für jede:n verfügbar, sondern nur für die, die es sich leisten können. In Deutschland kostet es für Privathaushalte derzeit 50 Euro im Monat plus knapp 350 Euro für Hardware und Service.
Im vergangenen Jahr lobten die Medien SpaceX auch dafür, dass das Unternehmen der Ukraine nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar zahlreiche Starlink-Terminals zur Verfügung stellte. Das half dem Land, seine Verteidigung zu koordinieren. Allerdings galt die Hilfe nicht unbegrenzt. So erklärte SpaceX-CEO Musk im September, einen ukrainischen Angriff auf die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol verhindert zu haben, weil er sich weigerte, Starlink-Internet in der Region zu aktivieren.
Physiker Philipp vermutet, dass das schnellere Satelliteninternet nur in der Anfangszeit einen Vorteil darstellt. Denn schon bald würde es dazu genutzt, dass Menschen größere Datenmengen streamen und verschicken – beispielsweise Videos in höherer Qualität. Dann, so Philipp, relativiere sich der Zeitvorteil. Es käme zu einer höheren Serverauslastung und auch der Energieverbrauch des Internets würde steigen.
Lawler fasst zusammen, dass einige wenige Menschen einen großen Nutzen aus neuen Satelitennetzwerken ziehen werden. „Aber die Luftverschmutzung, die Kollisionsrisiken, die Lichtverschmutzung und die Risiken des Wiedereintritts werden von allen Menschen auf der Welt getragen, unabhängig davon, ob sie Zugang zu den Diensten dieser Megakonstellationen von Satelliten haben.“
Expertin fordert: Erdatmosphäre muss als Umwelt anerkannt werden
Ländergrenzen sind metergenau geregelt. Die Frage, wer für die Erdumlaufbahn verantwortlich ist, bleibt jedoch offen. Sowohl Philipp als auch Lawler verlangen deshalb klarere Zuständigkeiten. Bisher haben vor allem amerikanische Unternehmen das Geschäft mit Satelliteninternet für sich entdeckt, ihre Raumflugkörper werden von der US-Behörde Federal Communications Commission (FCC) genehmigt. „Aber ich habe noch keinen Satelliten gesehen, der an der Grenze umdreht“, erklärt Physiker Philipp ironisch.
Starlink hat bereits verschiedene Maßnahmen ausprobiert, um etwa Lichtverschmutzung durch die eigenen Satelliten zu reduzieren. Anfang 2020 schickte man einen „DarkSat“ ins All, bei dem einige Teile verdunkelt wurden – was die Helligkeit um 55 Prozent reduzierte. Allerdings erhitzte sich die dunkle Oberfläche zu stark. Anschließend brachte man Sonnenvisiere an den Raumflugkörper an, welche laut Lawler bei den neuen Satelliten aber nicht verwendet wurden. Stattdessen sollen die neuen Modelle über eine andere Oberflächenbeschichtung verfügen, deren Wirksamkeit Astronom:innen noch bewerten müssten.
Lawler kritisiert, dass SpaceX keine Informationen mit der Astronomiegemeinschaft teile. „Einige Unternehmen haben mit Astronomen gesprochen und erklärt, dass sie versuchen werden, ihre Satelliten schwächer zu machen; andere Unternehmen haben nichts unternommen, um die Helligkeit ihrer Satelliten zu verringern“, so die Forscherin. Als Negativbeispiel nennt sie den texanischen Satellitenhersteller AST Mobile, das vor kurzem einen einzigen Satelliten gestartet hat, der so hell ist wie die hellsten Sterne am Himmel.
„Da die erdnahe Umlaufbahn eng mit der Erdatmosphäre verbunden ist, sollte sie rechtlich als Umwelt anerkannt werden und dem Umweltschutz unterliegen“, fordert Lawler. Unternehmen wie SpaceX sollten dann für die Beseitigung des durch sie verursachten Weltraumschrotts sowie für die Verschmutzung der Atmosphäre aufkommen. Ebenso für den Verlust der von Steuerzahler:innen finanzierten Forschung aufgrund von Lichtverschmutzung, erklärt die Forscherin.
Um dies durchzusetzen, ruft die Astronomin Bürger:innen dazu auf, die Forderungen gegenüber Regierungsvertretern zu äußern. Auch für eine bessere staatlich finanzierte Internet-Infrastruktur am Boden sollten sich Privatpersonen einsetzen. Denn wenn es diese gäbe, bräuchte es vorerst weniger Satelliten im Orbit.
Verwendete Quellen: Amazon, The Astronomical Journal, dpa, Monthly Notices from the Royal Astronomical Society, Science/ Pressemitteilung der Medizinischen Universität Wien, Starlink, t3n
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