Die Angriffe auf Einsatzkräfte an Silvester 2022 ziehen eine Integrationsdebatte nach sich. Der Anlass: Einige der Verdächtigen haben nach Polizeiangaben einen Migrationshintergrund. Während CDU-Politiker Jens Spahn von einer „gescheiterten Integration“ spricht, warnt ein Gewaltforscher vor zu voreiligen Schlüssen.
Nach den Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht ist eine politische Debatte über Integration entbrannt. Vor allem Männer mit Migrationshintergrund stehen im Fokus. Der Anlass: Die Verdächtigen, die in der Nacht zum Neujahrstag Polizei und Feuerwehr mit Feuerwerkskörpern angriffen, haben nach offiziellen Angaben 18 verschiedene Staatsangehörigkeiten.
Im Zusammenhang mit den Krawallen hatte die Polizei 145 Menschen festgenommen – zunächst hatte sie von 159 berichtet, die Zahl aber später korrigiert. Als die Beamt:innen erstmals Angaben zur Nationalität machten, erklärten sie, dass die meisten Tatverdächtigen (45 von ihnen) Deutsche seien. Danach folgten 27 Verdächtige afghanischer Nationalität und 21 mit syrischer Herkunft. Die meisten von ihnen seien Männer. Alle Verdächtigen sind laut der Polizei wieder auf freiem Fuß.
Jens Spahn (CDU) zu Silvester 2022: „Da geht es eher um ungeregelte Migration“
Der stellvertretende Unionsvorsitzende, Jens Spahn (CDU), prangerte daraufhin eine angeblich gescheiterte Integrationspolitik an. „Da geht es eher um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat statt um Feuerwerk“, sagte Spahn T-Online. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) forderte eine Untersuchung zur Herkunft der Täter.
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, sagt der Tagesschau zufolge, dass in vielen Fällen „gruppendynamische Prozesse, Alkoholmissbrauch, Sozialisationsdefizite und die Verfügbarkeit pyrotechnischer Gegenstände zu dieser bestürzenden Eskalation“ geführt habe.
Gleichzeitig sagt Kopelke, man solle Menschen nicht pauschal abstempeln „und als verloren“ erklären. Die GdP fordert daher einen Runden Tisch mit Politiker:innen und Praktiker:innen sowie neue Ansätze in der Integrationspolitik.
Laut dem Psychologen Ahmad Mansour spiele auch die Jugendkultur eine Rolle, wie er im Interview mit Tagesschau24 erklärt. Bei den Verdächtigen handele es sich um Menschen, die ihre Männlichkeit so verstehen und so ausleben wollten, dass sie bereit seien, vor Gewalt nicht zurückzuschrecken.
Gewaltforscher warnt, Menschen mit Migrationsgeschichte verantwortlich zu machen
Gewaltforscher und Sozialpsychologe Andreas Zick warnt unterdessen davor, für die Angriffe Menschen mit Migrationshintergrund verantwortlich zu machen. Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erklärt Zick die Gewalttätigkeit an Silvester mit dem „Anstieg an Gewalt in der gesamten Gesellschaft“.
„Jetzt Vorverurteilungen von vermeintlich existierenden Gruppen wie Migranten zu diskutieren, ist Wasser auf die Mühlen von jungen Menschen. Zudem gebietet unser Rechtssystem das nicht, und es beleidigt Millionen von Menschen, die sich als Einwanderer verstehen“, so Zick.
Schuldzuweisungen blendeten dem Experten zufolge viele Menschen mit Migrationsgeschichte aus, die „selbst in den Rettungs- und Polizeidienststellen arbeiten und ebenfalls Opfer sind“.
Problematisch sei der „Spaß an der Gewalt“. Zick weiter: „Selbst wenn junge Männer aus migrantischen Milieus beteiligt sind: Es sind gewaltorientierte Gruppen, die ein Feindbild von Polizei teilen, und viele andere, die die Gelegenheit nutzen oder sich anheizen lassen.“
Debatte im Netz wird durch Fake-Video angeheizt
Angeheizt wird die Debatte durch Videos, die derzeit im Netz kursieren und die Ausschreitungen in der Silvesternacht zeigen sollen. Darunter finden sich jedoch auch Aufnahmen, die mit Silvester 2022 gar nichts zu tun haben. Eines der Videos zeigt offenbar wütende Personen, die Steine mit großer Wucht durch die offenen Hecktür eines Rettungswagens schleudern.
Ein Politiker der rechtsextremen NPD stellte das Video in einen Zusammenhang mit Gewalttaten von Migrant:innen. Der Clip wurde mehrfach geteilt. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, ist das aber falsch. Das Video entstand bereits 2019 in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong.
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