Vor einem Jahr zog Deutschland der Atomkraft den Stecker. Eine von Greenpeace in Auftrag gegeben Studie hat die Folgen analysiert und zieht eine positive Bilanz.
Am 15. April 2023 gingen die letzten drei aktiven Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Fast ein Jahr später zieht eine Studie des auf den Energiemarkt spezialisierten Beratungsunternehmens Enervis Bilanz. Die von Greenpeace und Green Planet Energy in Auftrag gegebene Analyse legt dar, wie sich der Strommarkt in dem Jahr nach dem Atomausstieg entwickelt hat. Im Fokus stehen dabei Faktoren wie die nationale Versorgungssicherheit, der Strompreis und die durch Stromerzeugung verursachten CO2-Emissionen. Das Ergebnis der Studie zeigt ein durchweg positives Bild.
Sinkende Strompreise, weniger CO2
Laut der Studie ist der Börsenstrompreis vom 16. April 2023 bis 15. März 2024 im Vergleich zu Vorjahreszeitraum deutlich gesunken: von 228 €/ Megawattstunde (MWh) im Zeitraum 2022/23 auf 83 €/MWh im Zeitraum 2023/24. Das deckt sich ungefähr mit den Daten der Bundesnetzagentur, die zu Jahresbeginn eine Entwicklung von 235 €/MWh auf 95 €/MWh verkündete. Die Unterschiede lassen sich auf den um etwa dreieinhalb Monate verschobenen Betrachtungszeitraum zurückführen.
Die Sorge, der Atomausstieg würde den Strompreis noch weiter in die Höhe treiben, erweist sich somit als unbegründet. Allerdings lag der Preis mit 235 €/MWh 2022 ohnehin auf einem absoluten Ausnahmehoch, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der die Gaspreise in die Höhe befördert hatte. Unabhängig vom Atomausstieg war durch die seitdem gesunkenen Gaspreise deshalb abzusehen, dass der Strompreis wieder fallen würde. Als weitere Gründe nennt die Enervis-Studie jedoch auch die höhere Verfügbarkeit von Wasserkraft in Europa und Atomkraft in Frankreich.
In der Studie heißt es zudem, basierend auf Daten vom Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E), dass die Nettostromerzeugung von Deutschland seit dem Atomausstieg um etwa ein Zehntel gesunken sei – statt 426 Terrawattstunden (TWh) wurden nur noch 403 TWh erzeugt. Das liege allerdings nicht nur am Atomausstieg, sondern auch an einer reduzierten Erzeugung von Kohlestrom. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern sei hingegen gestiegen und erreichte einen Anteil von 60 Prozent am Gesamtstrom.
Diese Entwicklung habe die CO2-Emissionen der deutschen Stromerzeugung um etwa 24 Prozent gesenkt. Die Denkfabrik Agora Energiewende schätzt den Rückgang auf 21 Prozent, allerdings wurden hier die Kalenderjahre 2022 und 2023 verglichen, also ein etwas anderer Zeitraum analysiert.
Mehr Strom importiert als exportiert – ist das schlecht?
Aufgrund der geringeren Stromerzeugung habe Deutschland seit dem Atomausstieg mehr Strom importiert als exportiert, insgesamt gab es laut der Studie einen Importüberschuss in Höhe von 20,6 TWh. Etwa die Hälfte des importierten Stroms stamme aus erneuerbaren Energien, jeweils rund ein Viertel aus fossilen Energien und Atomstrom.
Die Stromimporte seien jedoch vor allem auf die Verfügbarkeit preisgünstigen Stroms in den Nachbarländern zurückzuführen und kein Anzeichen für eine Abhängigkeit Deutschlands von anderen Ländern, betonen die Autor:innen. Die Analyse zeige schließlich, dass zu jedem Zeitpunkt ausreichend Gaskraftwerke zur Verfügung gestanden hätten, um den nationalen Strombedarf eigenständig zu decken.
Und wie geht es weiter?
Die Studie rechnet mit einem deutlich höheren Strombedarf in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der „zunehmenden Elektrifizierung des Wärme- und Mobilitätssektors“. Bis 2045 werde sich die Nachfrage fast verdoppeln. Allerdings prognostiziert Enervis bis dahin auch eine Steigerung der Stromerzeugung um fast 130 Prozent, also weit mehr als eine Verdopplung. Der starke Ausbau erneuerbarer Energien werde die Strompreise weiter sinken lassen und Deutschland langfristig wieder zu einem Nettostromexporteur machen.
Zwar werde der Strompreis in Deutschland voraussichtlich nicht mit anderen Ländern wie Dänemark, Norwegen und Schweden mithalten können, die bereits einen hohen Anteil erneuerbarer Energien haben. Doch in Belgien, Frankreich und der Niederlande rechnen die Autor:innen auf lange Sicht mit höheren Strompreisen als in der Bundesrepublik. Ob die Prognosen eintreffen, ist aber maßgeblich davon abhängig, welche energiepolitischen Entscheidungen in Deutschland getroffen werden, und ob erneuerbare Energien tatsächlich in dem von der Studie erwarteten Ausmaß gefördert werden.
Verwendete Quellen: Greenpeace, Bundesnetzagentur, Agora Energiewende
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