Der Verkehrs- und der Gebäudesektor hinken ihren Klimazielen hinterher. Ein neuer Bericht zeigt, wie groß die Lücke wirklich ist. Die Deutsche Umwelthilfe will entsprechende Maßnahmen wie etwa ein Tempolimit einklagen.
Der Verkehrsbereich hat nach Angaben des unabhängigen Expertenrats für Klimafragen auch 2023 deutlich mehr Abgase verursacht als gesetzlich erlaubt. Statt der erlaubten 133 Millionen Tonnen CO2 seien im Verkehr im vergangenen Jahr 146 Millionen Tonnen Treibhausgase entstanden, schreiben die Fachleute in ihrem am Montag in Berlin veröffentlichten Prüfbericht zu im März vorgestellten Daten des Umweltbundesamts (UBA). Damit verfehlt der Verkehrssektor sein Klimaziel das dritte Jahr in Folge.
Auch der Gebäudesektor hat sein Ziel nach UBA-Berechnungen knapp verpasst, was der Expertenrat angesichts großer Unsicherheit bei den berechneten Daten aber weder bestätigen noch verwerfen möchte. Dennoch müsse auch hier nun das gesetzlich vorgeschriebene Sofortprogramm zum Nachsteuern vorgelegt werden, so die Fachleute. Dafür haben die zuständigen Minister:innen drei Monate Zeit. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat Wochenend-Fahrverbote angedroht – anders sei das Verkehrsziel nicht zu schaffen. Er will damit Druck machen für eine zügige Reform des Klimaschutzgesetzes, die diese Pflicht abschaffen soll. Das Bundeskabinett hat sie bereits verabschiedet, eine Einigung im Bundestag steht aber noch aus.
Deutsche Umwelthilfe will Klimaschutzmaßnahmen einklagen
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert das mangelnde Engagement der Bundesregierung im Verkehrs- und Gebäudesektor. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lüge mit seiner Behauptung, für die Einhaltung der Ziele seien Fahrverbote nötig, heißt es in einer Pressemitteilung des DUH, die als Reaktion auf den Klimaschutzbericht erschienen ist.
Darin schreibt die Umweltschutzorganisation: „[E]s gibt natürlich sofort wirksame Klimaschutzmaßnahmen, die viel weniger einschneidend sind, die überall auf der Welt bereits laufen und die durch eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung gewollt sind. Wir fordern […] ein Tempolimit 100/80/30 einzuführen, das mehr als 11 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen würde.“
Außerdem fordert die DUH die „Abschaffung klimaschädlicher Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg“ und im Gebäudesektor einen „Sanierungsturbo […], um insbesondere die schlechtesten Gebäude schnellstmöglich zu dämmen“.
„Falls die Regierung dies nicht tut, werden wir sie auf dem Rechtsweg dazu zwingen!“, kündigt die DUH an und verweist dabei auf die von ihr eingereichten Klimaklagen, die am 16. Mai vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verhandelt werden. Darin fordert die DUH „einen Beschluss der Bundesregierung über ein Klimaschutzprogramm nach § 9 Klimaschutzgesetz, das die Einhaltung der im Klimaschutzgesetz für die verschiedenen Sektoren genannten Minderungsziele für Treibhausgasemissionen für die Jahre 2024 bis 2030 und des Klimaschutzziels für das Jahr 2030 (Minderung um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990) sicherstellt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts.
Was außerdem im Klimaschutzbericht steht
Trotz Unsicherheiten bestätigt auch der Expertenrat den starken Rückgang der Emissionen im vergangenen Jahr von rund 10 Prozent gegenüber 2022. Der Ausstoß ist von 750 auf 674 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesunken. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO2 umgerechnet.
Dies sei der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990. Wie schon das UBA und Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) führt aber auch der Expertenrat das nicht auf wirksame Klimaschutzpolitik, sondern die schwächelnde Wirtschaft und das Wetter zurück. „Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen“, sagte der Vorsitzende des Rates, Hans-Martin Henning. Unter anderen Bedingungen wäre das Jahres-Gesamtziel wohl nicht erreicht worden. Mit den steigenden Temperaturen könne es aber sein, dass auf Dauer weniger geheizt werden müsse.
Die umstrittenen Sofortprogramme
Wenn einzelne Bereiche Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien der Bundesregierung mit Sofortprogrammen nachlegen. Die jährlich zulässigen Jahresemissionsmengen für die Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude stehen im Klimaschutzgesetz. Die bisher beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus, betonte der Expertenrat.
Die genauen Klimaziele für einzelne Wirtschaftsbereiche sind der FDP ein Dorn im Auge. Im Grundsatz hat sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP eigentlich auch bereits auf eine Reform geeinigt: Demnach soll es künftig vor allem darauf ankommen, ob Treibhausgas-Sparziele über alle Bereiche hinweg insgesamt eingehalten werden. Die Ampel-Fraktionen im Bundestag können sich bislang jedoch nicht auf die Details einigen, die Grünen fürchten eine Aufweichung.
Fehlt Geld für den Klimaschutz?
Wenn schon die im vergangenen Sommer vorgelegten Klima-Pläne nicht reichten, dann hat sich die Lage seither noch verschlechtert, merken die Expert:innen an. Denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November hatte ein Milliardenloch in die Finanzplanungen des Bundes gerissen. Die danach in der Regierung ausgehandelten Kürzungen betreffen auch den Klima- und Transformationsfonds (KTF), einen wichtigen Topf zur Förderung des klimafreundlichen Umbaus der deutschen Industrie.
„Das KTF-Urteil resultiert in Mittelkürzungen in diesem Jahr und engt den Spielraum für die folgenden Jahre ein. Da fast die Hälfte der Maßnahmen des Klimaschutzprogramms fiskalischer Natur sind, verringert dies die Wahrscheinlichkeit, dass die angenommene Minderungswirkung tatsächlich eintritt“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf, zum erwarteten Treibhausgas-Ausstoß. Zudem werde das Klimaschutzprogramm im Gebäudesektor „weniger ambitioniert“ umgesetzt, so die Fachleute. „Auch im Verkehrssektor ist bei einigen Maßnahmen eine verminderte Wirkung zu erwarten, zudem ist eine Zunahme des Pkw-Verkehrs zu beobachten.“
Der Expertenrat ist ein Wissenschaftler:innen-Gremium. Zu seinen Aufgaben laut Bundesklimaschutzgesetz gehört die jährliche Prüfung der vorläufigen Daten des Umweltbundesamts zum Treibhausgas-Ausstoß des Vorjahres. Endgültige Daten werden aber erst im kommenden Jahr geben.
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, seinen Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als wieder gespeichert werden können.
Weitere Quellen: Deutsche Umwelthilfe, Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
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