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Warum es gefährlich ist, von „Jahrhunderthochwasser“ zu sprechen

Unwetter in Deutschland
Foto: Felix Hörhager/dpa

Unwetter und Starkregen haben vor allem im Süden Deutschlands heftige Überschwemmungen ausgelöst. Es ist nicht das erste Mal – genau deshalb ist es gefährlich, jetzt von einem Jahrhunderthochwasser zu sprechen. Ein Kommentar.

Es sind Bilder, die Fassungslosigkeit auslösen – und auch tiefstes Mitgefühl: Zahlreiche Aufnahmen von Städten, deren Straßen längst von Flüssen geflutet wurden, gehen aktuell durch die Medien. Menschen, die durchs Wasser waten, Schlauchboote dort, wo sonst Autos fahren. Über den Bildern prangt oft ein bestimmter Begriff: „Jahrhunderthochwasser“.

Das Wort beschreibt laut dem Duden einen Wasserstand, der rein statistisch gesehen im Mittel nur einmal im Jahrhundert erreicht oder überschritten wird – aber ist das noch zeitgemäß? Denn genau dies ist am vergangenen Wochenende an verschiedenen Orten in Deutschland geschehen und zwar nicht zum ersten Mal in diesem Jahrhundert. Der Begriff ist irreführend, denn er suggeriert eine gewisse Normalität. Als komme es nunmal vor, dass das Wetter verrückt spielt, als wäre das normal. Doch das ist es nicht. Flutkatastrophen wie die aktuelle sind längst kein Phänomen mehr, mit dem wir nur einmal im Jahrhundert zu rechnen haben. Es so zu behandeln, wäre gefährlich.

Hochwasserjahrhundert statt Jahrhunderthochwasser

Wir schreiben das Jahr 2024, haben also noch nicht einmal ein Viertel des aktuellen Jahrhunderts erlebt. Trotzdem spuckt Google sofort fünf Vorschläge aus, wenn man „Jahrhunderthochwasser 20“ in die Suchleiste tippt: 2002, 2013, 2016, 2021, 2023 – und nun auch 2024. Sechs so gewaltige Flutkatastrophen, dass sie normalerweise nur einmal im Jahrhundert vorkommen sollten. Sechs Flutkatastrophen, die zeigen, dass es ein „normalerweise“ nicht mehr gibt, aus einem Jahrhunderthochwasser ein Hochwasserjahrhundert geworden ist.

Per Definition können solche Ereignisse zwar auch mehrmals in einem Jahrhundert vorkommen und wegen verschiedener statistischer Verfahren ist man sich auch nicht immer einig, wann es sich um ein Jahrhunderthochwasser handelt. Doch die Definition bezieht sich auf die Situation vor der globalen Erwärmung. Mittlerweile ist die Lage eine ganz andere.

Ein Grund dafür ist die Klimakrise. Forscher:innen haben längst bestätigt, dass starke Unwetter durch die Erderwärmung künftig deutlich zunehmen werden. In den Wintermonaten soll es dadurch häufiger regnen – und in den Sommermonaten viel intensiver. Einem Sonderbericht des Weltklimarats über die Ozeane und Kryosphäre von 2019 zufolge könnten Hochwasser wie das aktuelle in Küstengebieten in niedrigen Breitengraden im kommenden Jahrhundert jährlich auftreten.

Auswirkungen der Klimakrise, nicht Jahrhunderthochwasser

Natürlich soll nicht verharmlost werden, was aktuell in Süddeutschland passiert: Zahlreiche Menschen verlieren ihr Zuhause, es gab sogar bereits Todesfälle und Vermisste. Aber genau darum geht es ja: Die aktuelle Flutkatastrophe ist nicht normal, keine der sechs in diesem Jahrhundert war das. Wir müssen uns endlich eingestehen, dass die Auswirkungen der Klimakrise auch in Deutschland längst spürbar sind. Es betrifft nicht mehr nur Brasilien oder die Gletscher in der Antarktis – nein, die Klimakrise ist bei uns angekommen.

Anstatt von einem Jahrhunderthochwasser zu sprechen, sollten wir die Katastrophen also nach dem benennen, was sie sind: Auswirkungen der Klimakrise. Trotzdem werden sie noch zu oft ignoriert. Just heute meldet die Deutsche Presse-Agentur: Der Expertenrat für Klimafragen geht fest davon aus, dass Deutschland sein Klimaziel für 2030 verfehlen wird. Der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen sollte bis dahin um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Wenn Klimaschutz weiter zweitrangig ist, werden die Auswirkungen innerhalb kürzester Zeit noch deutlich spürbarer werden.

Die Hochwasser sind eine der Konsequenzen der Klimakrise, denen Deutschland im Laufe der kommenden Jahrzehnte begegnen muss. Allerdings haben wir jetzt noch die Möglichkeit, die Folgen einzudämmen. Wir können uns der Klimakrise in den Weg stellen, verhindern, dass solche Unwetter sich immer mehr häufen werden.

Der wichtigste Hebel dafür sind politische Veränderungen. Mit der bevorstehenden Europawahl hat jeder von uns die Möglichkeit, mitzuentscheiden. Wählen wir lieber eine Partei, welche die Klimakrise ernst nimmt und mit konkreten Maßnahmen bekämpfen will? Oder wählen wir eine, die nicht einmal anerkennt, dass wir in einer Krise stecken? Es liegt an uns zu verhindern, dass regelmäßige Katastrophen zur Normalität werden. Es liegt an uns, diesem Hochwasserjahrhundert ein Ende zu bereiten.

Verwendete Quellen: Deutsche Presse Agentur, Duden, Wikipedia, IPCC

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