Insekten zu essen klingt für viele nach einer spätpubertären Mutprobe. Dabei sind sie dazu geeignet, Superfood und Eiweißquelle Nummer Eins der Zukunft zu werden. Unproblematisch und ressourcenschonend in der Aufzucht sind sie außerdem.
Nussig-rauchig sollen sie schmecken. Manche fühlen sich auch an Speck oder gebratene Pilze erinnert. Die Rede ist von Mehlwürmern, dem Eiweiß der Zukunft. Frei von Antibiotika, gefüttert mit Essensresten oder Gemüse, gezüchtet in der heimischen Wohnung und nach dem Schockfrieren so gut wie essfertig. Geht gar nicht, meinen viele. Aber Hühner in 33 Tagen schlachtreif züchten ist kein Problem? Wer den Planeten so rücksichstlos ausbeutet wie der Mensch, sollte sich langsam Gedanken darüber machen, welche ressourcenschonenden Möglichkeiten der Proteinbeschaffung er zur Verfügung hat.
Insekten sind besser als Fleisch
Insekten essen klingt für viele nach einer spätpubertären Mutprobe. Tatsächlich sind in den Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen, nicht selten auch Krabbeltiere verarbeitet: In jedem Glas Orangensaft findet sich durchschnittlich eine Larve, ebenso in Schokolade und verarbeitetem Gemüse. In der Schweiz hat man den Ekel abgelegt und ist schon einen Schritt weiter: Ab Mai werden Mehlwurm, Grille und Europäische Wanderheuschrecke als Lebensmittel verkauft. Wer die Zubereitung scheut: Der Schweizer Großhändler Coop lanciert zeitgerecht Produkte auf Insekten-Basis, etwa Burger oder Hackbällchen.
Die Vorteile im Verzehr von Insekten gegenüber Fleisch sind klar: Der Eiweiß-Gehalt von Mehlwürmern ist deutlich höher als der von Fleisch, gleichzeitig haben Insekten aber einen geringeren Fettanteil. Neben Eiweiß sind die Krabbeltiere reich an ungesättigten Fettsäuren und enthalten Ballast- und Mineralstoffe sowie Vitamin B1, B2, B12, Zink, Eisen und Magnesium.
Das ökologische und ökonomische Plus: Der Weg vom lebendigen Rind bis zu einem Stück Rindersteak auf unseren Tellern verbraucht circa 4.000 Liter Wasser. Im Gegensatz dazu brauchen Insekten nur einen Bruchteil davon, man rechnet mit einem Liter Wasser pro Kilo Insektenmasse. Für Tierfreunde besonders wichtig: Zu Mehlwürmern baut man einen vergleichsweise geringen persönlichen Bezug auf, und deren Tötung erfolgt kurz und schmerzlos durch Schockfrieren.
Kein Bezug zu Lebensmitteln
Als Katharina Unger das erste Mal in Hongkong auf einem Markt unterwegs war, staunte sie über die Unmengen an Obst, Gemüse und Fleisch. Sie blickte nach oben und sah die Wolkenkratzer der Megastadt. Unger fragte ihre Freunde vor Ort, woher all das Essen käme; sie konnten ihr keine Antwort geben. Aufgewachsen auf einem kleinen Bauernhof im Burgenland war es für Katharina Unger selbstverständlich zu wissen, welchen Weg die Lebensmittel zurückgelegt hatten, bevor sie auf ihrem Esstisch landeten.
In der urbanen Gesellschaft sind die Orte, an denen Nahrung produziert wird, jedoch weit weg vom Konsumenten. Vielen fehlt auch eine Vorstellung davon, wie tiefgreifend die Auswirkungen der industrialisierten Landwirtschaft sind: Ein Drittel der weltweiten Anbaufläche wird genutzt, um Futtermittel für die Agrarindustrie herzustellen. 80 Prozent der Antibiotika, die wir herstellen, gehen denselben Weg: in die Tierfabriken. Damit wir noch mehr Hühner, Schweine und Kühe auf noch weniger Raum halten können und sie sich gegenseitig nicht krank machen. Um den Hunger der (vermögenden) Welt zu stillen und billiges Fleisch für alle zu produzieren.
Die Tiere aus ihrem natürlichen Umfeld entfernt und in Ställe gepfercht zu haben, rächt sich an der Natur: Luftaufnahmen von industrieller Landwirtschaft in Amerika und deren Verschmutzung der umliegenden Landschaft machten den Schaden für viele erstmals sichtbar. Unger hatte Industriedesign studiert und wollte etwas gegen den Raubbau an der Natur unternehmen. Sie wollte es den Menschen möglich machen, unabhängig von der Industrie Nahrungsmittel zuhause zu produzieren, auf kleinstem Raum. Livin Farms war geboren.
Wenn es zum Abendessen mal schnell gehen muss: Mehlwurm-Salat
Wie sieht das Insektenhotel mit Mehrwert für den Besitzer aus? In der obersten Etage befindet sich das „Käfer-Liebesnest“, wo sich die Tiere fortpflanzen und Eier ablegen. In jeder weiteren Lade darunter lebt ein weiteres Entwicklungsstadium der Mehlwürmer. Einmal pro Woche wird die Ernte durch das Drücken eines Knopfes in Gang gesetzt: Die „fertigen“ Würmer fallen in die unterste, die Ernte-Lade. 500 Gramm Insekten pro Woche können geerntet werden. Wer sich immer noch nicht vorstellen kann, wie die Aufzucht und Haltung eines Mehlwurms in der eigenen Küche vonstatten gehen soll, kann sich ein Video dazu ansehen.
Dennoch scheuen sich viel Menschen der westlichen Welt davor, Mehlwürmer oder Heuschrecken zu verspeisen. Das, was Insekten also nach Ansicht von Katarina Unger wirklich bräuchten, wäre ein „Rebranding“, eine Kampagne für ein positives Image, so wie sie viele Lebensmittel bereits durchlaufen haben: Kartoffeln waren einst das Essen der Armen, Sushi für die Arbeiterklasse in Japan, und Hummer waren die „Kakerlaken der Meere“.
Katharina Unger wünscht sich eine Zukunft, in der eine Ernährungs-Revolution nicht in irgendeinem Labor stattfindet, sondern direkt in der eigenen Küche. Warum es nicht einfach mal versuchen? Ungers Tipp, wenn es abends nach der Arbeit schnell gehen muss: ein Salat, reich an Proteinen und ungesättigten Fettsäuren. Nach Belieben gehackte Zwiebeln, Koriander, Feta, Avocado, Kichererbsen, Olivenöl und Limettensaft vermengen. Eine halbe Tasse gefrorener Mehlwürmer kurz aufkochen lassen, abtropfen und danach in der Pfanne anrösten. Die Mehlwürmer mit Salz und Pfeffer abschmecken, dem Salat unterheben. Mahlzeit!
GASTBEITRAG aus enorm.
TEXT: Maria Steinwender
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