2000 „Baum-Worte“ haben Forstwissenschaftler*innen bisher dokumentiert. Bäume plaudern, lautlos und unsichtbar. Sie tauschen Nährstoffe aus und warnen sich gegenseitig vor Schädlingsangriffen, Trockenheit und Krankheiten. In seinem neuesten Album als DJ Pantha du Prince stellt sich Hendrik Weber vor, wie das klingen könnte. Wie es sich anhört, wenn Bäume organische Moleküle freigeben, die der Wind im Wald verteilt, um sich auf eine Plage einzustellen. Oder wenn hauchdünne Pilzfäden, sogenannte „Hyphen“, unterirdische Signale zwischen den Baumwurzeln übertragen. Tonaufnahmen aus dem Wald, Klänge handgefertigter Instrumente und elektronische Beats vermitteln in „Conference of Trees “, was der Mensch nicht wahrnehmen kann und erst seit Kurzem sicher weiß: Gesunde Wälder gleichen riesigen sozialen Netzwerken. „Das eigentliche Leben findet hier statt“, sagt Hendrik Weber in einer ARD-Dokumentation , während er im Wald steht. „Und wenn wir das nicht schützen, dann werden wir uns einfach vernichten.“
Beats wie Herzklopfen
Hendrik Weber alias Pantha du Prince ist einer der erfolgreichsten deutschen Techno-DJs. Außerdem ist er Kulturwissenschaftler und gelernter Tischler. Selbst versteht er sich als Klangforscher, der das, was in der Natur passiert, auf eine philosophisch-musikalische Weise zugänglich macht. Mit „Conference of Trees“ zelebriert er das große Ganze, spricht sich aus gegen das „mechanistische Zerteilen der Welt in stoffliche Einheiten”, in Kategorien wie „‚Das sehe ich. Das kann ich nachprüfen, das kann ich schmecken’“. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zusammenleben der Bäume und andere Formen von Kooperation in der Natur – all das sollte beispielgebend sein für ein sozialeres Miteinander.
Impulse gegen die Ellenbogengesellschaft und für mehr Naturverbundenheit geben auch Dominik Eulberg und Robin Perkins alias El Búho. Ihr internationaler Erfolg zeigt, dass sie ihnen gelingt: die Symbiose von künstlich erzeugten Geräuschen aus dem Computer mit Urtönen wie Vogelgesang, Flügelschlagen, Blätterrascheln oder Wassertropfen. Aber wie passt das zusammen – Synthetisches und Organisches, Techno und Natur? Und inwiefern kann wortkarge Tanzmusik aktivistische Botschaften vermitteln?
Techno sei nicht gebunden an etwas Materielles, meint Hendrik Weber. Er begreift seine Musik daher als einen großen kreativen Freiraum, einen „unendlichen Ozean von Möglichkeiten“. Robin Perkins sieht das ähnlich: Elektronische Musik sei universell und erreiche daher ein diverses Publikum. Jede*r könne sie sofort verstehen, gerade weil sie ohne Texte funktioniere. Dominik Eulberg vergleicht Technobeats mit dem ersten natürlichen Geräusch, das ein Mensch hört: den Herzschlag der Mutter. Naturschutz heute , dem Magazin der NGO Naturschutzbund Deutschland (NABU), sagte er: „Techno ist ein sehr ursprünglicher und triebhafter Musikstil, der vom Rhythmus bestimmt ist. Solche Musikformen gibt es in vielen alten Kulturen. Am bekanntesten sind vielleicht die Trommeln in afrikanischen Stämmen.” Eulberg ist nicht nur ein global gefeierter DJ, der bei großen Festivals wie Tomorrowland auflegte, sondern Biologe, EU-Botschafter für die „UN-Dekade der Biodiversität“ und Fledermausbotschafter vom NABU. Sich selbst bezeichnet er als „Natur-Sensibilisierer“, der eines nicht akzeptieren kann: Dass viele Menschen durch den Wald liefen und nichts hörten.
NGOs richten sich immer an die gleichen Menschen, im gleichen Tonfall und in der gleichen Sprache. DJs sprechen ein viel diverseres Publikum an. (Robin Perkins)
Techno und Naturschutz: DJ El Búho
Robin Perkins alias El Búho geht mit seinem Ansatz noch einen Schritt weiter. Er möchte dazu beitragen, dass es dort langfristig etwas zu hören gibt. DJ El Búho (spanisch für „die Eule“) ist Aktivist. Erst bei Greenpeace als „Senior Campaigner“, heute als Musikproduzent in Vollzeit. Neun Jahre setzte er sich bei Greenpeace gegen die Kurzlebigkeit, Umweltverschmutzung und den Überkonsum elektronischer Geräte ein – heute produziert er elektronische Tracks für den Artenschutz. „Bei Greenpeace wird viel über die Bedeutung von kulturellem Wandel gesprochen“, sagt er. „Solche Organisationen verstehen es, große Aktionen zu planen und Konzerne zum Umdenken zu zwingen.“ Entscheidend sei aber auch: „Wie änderst du das Mindset und Verhalten von Individuen?“ Elektronische Musik erreiche viele Menschen auf eine Weise, wie es Nonprofit-Organisationen nicht könnten. „NGOs richten sich immer an die gleichen Menschen, im gleichen Tonfall und in der gleichen Sprache.“ DJs sprächen aber nicht nur ein diverses Publikum an. „Sie können wichtige Botschaften auf eine deutlich inspirierendere, packendere Art und Weise senden.“ Und zwar mit dem Konzept, das sich hinter einem Musikalbum verbirgt. Dabei kann etwa das wundersame Zusammenleben der Bäume im Fokus stehen oder dessen Bewohner*innen: bedrohte Vogelarten, die in den Regenwäldern dieser Welt um ihr Leben singen.
„A Guide to the Birdsong of Central America, Mexico & the Caribbean“ heißt das zweite Album einer Crowdfunding-Kampagne, die Robin Perkins’ Musiklabel Shika Shika im Sommer 2020 veröffentlichte. In jedem der zehn Tracks ist die Stimme eines anderen Vogels Mittelamerikas zu hören, dessen Überleben aufgrund von menschlichen Umwelteinflüssen wie Abholzung, Erderhitzung und Bergbau akut gefährdet ist. Wie schon „A Guide to the Birdsong of South America“ aus dem Jahr 2015 ist das Projekt wieder in Zusammenarbeit mit bekannten DJs aus den Heimatregionen der Vögel entstanden. Die erste Kampagne generierte umgerechnet rund 13.000 Euro, die das Label an lokale Programme zur Rettung, Rehabilitation und Brutpflege der betroffenen Vogelarten spendete.
Ornithologische Raver*innen
Woher rührt sie, diese Faszination für die Ornithologie? Im digitalen Interview sitzt Robin Perkins in seinem Arbeitszimmer in Paris, während er gedanklich durch seine Heimat streift: dem „Peak District National Park“ im Nordwesten Englands. Als Kind zog es ihn in die pittoreske Hügellandschaft, um Vögel zu beobachten. Später nahm er Gezwitscher und Waldrauschen auf, um daraus Tanzmusik zu machen. Bei „A Guide to the Birdsong“ geht es aber um mehr. „Die ausgewählten Vogelarten stehen symbolisch für ein viel größeres Problem, nämlich unseren destruktiven Einfluss auf die Natur und wie wir mit ihr umgehen”, sagt der Brite, der lange in Mexiko lebte. „Vögel sind sensible Wesen, die schnell auf Umweltveränderungen reagieren. Ihr sukzessives Verschwinden reflektiert, was gerade passiert: das sechste Massensterben.“
Menschen für den Artenschutz gewinnen, klar machen: Wir brauchen die Natur mehr als sie uns. Das ist auch Dominik Eulbergs Mission. Seine ornithologischen Klangreisen fliegen Hörer*innen allerdings nicht in tropische Regenwälder, sondern fahren sie ins deutsche Mittelgebirge. Wer zu Eulbergs Musik tanzt, denkt nicht unbedingt an den Westerwald, bewegt sich aber in dessen Klangkosmos. Seine Tracks erzählen vom Flug des Rotmilans, der Metamorphose des zweibrütigen Scheckenfalters und dem Leben des Elfenbein-Flechtenbärchens. In einem Radiointerview mit dem Hessischen Rundfunk sagt der Westerwälder: „Das bringt etwas zum Schwingen: In jedem von uns steckt ein natürliches, kindliches Erstaunen darüber, was verschüttet wurde durch den Kapitalismus, durch die Technik, durch Handy und was weiß ich nicht alles. Das möchte ich wieder reaktivieren.“
Titelbild: Robin Perkins alias El Búho verbindet elektronische Beats mit organischen Tönen, vor allem von Vögeln. Aufgewachsen ist er in den Wäldern des „Peak District National Park“ im Nordwesten Englands
Text: Miriam Petzold
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