Damit das Auto öfter stehen bleibt, braucht es eine gute Radinfrastruktur – auch auf dem Land. Was können andere Städte von „Deutschlands fahrradfreundlichster Gemeinde“ Wettringen im Münsterland lernen? Utopia hat den Bürgermeister gefragt.
Die Gemeinde Wettringen im Münsterland wurde seit 2020 dreimal deutscher Gesamtsieger beim ADFC-Fahrradklimatest. 2022 kam der Sonderpreis in der Kategorie „Radfahren im ländlichen Raum“ dazu. Wir haben mit dem Bürgermeister der gut 8.000 Einwohner:innen zählenden Gemeinde, Berthold Bültgerds (CDU), gesprochen. Er erklärt, wie Wettringen das geschafft hat.
„Den Radverkehr mitgedacht“
Utopia: Fahren Sie gerne Rad?
Berthold Bültgerds: Ich fahre schon seit meiner Kindheit sehr gerne Rad, sowohl beruflich als auch privat. Ich komme aus Wettringen und habe nur eine Strecke von etwa 1,5 Kilometern zu meinem Arbeitsplatz im Rathaus zurückzulegen – da fahre ich natürlich so oft wie möglich mit dem Rad. In der Freizeit macht mir das Radfahren zudem viel Spaß, es ist ein hervorragender Ausgleich zu meinem Arbeitsalltag.
Sie sind 2015 erstmals zum Bürgermeister von Wettringen gewählt worden. Wie war damals die Situation für Radfahrende in Ihrer Gemeinde?
Ehrlich gesagt habe ich eine sehr komfortable Situation vorgefunden. Wettringen ist schon seit vielen Jahren bestrebt, den Radverkehr nach vorne zu bringen, bereits 2004 wurde der Radwegenetzplan erarbeitet, der zwischenzeitlich zwei- bis dreimal angepasst worden ist. Besonders hervorzuheben ist, dass schon damals bei bestehenden Bauten, aber auch bei neuen Bauvorhaben der Radverkehr mitgedacht worden ist. So kann man zum Beispiel von den Wohnsiedlungen zu den Schul- und Sportstätten durchgängig sehr gut und sicher mit dem Rad fahren, was auch für Kinder und Jugendliche eine gute Sache ist. Ich habe seit meinem Amtsantritt versucht, diese Arbeit weiterzuentwickeln, was mir hoffentlich gelungen ist.
Oft gibt es gerade auf dem Land viel Gegenwind, wenn es mehr Platz für Radfahrende geben soll, besonders, wenn dafür Autofahrerinnen und -fahrer Platz abtreten müssen – wie war und ist das in Wettringen?
Wir haben versucht, möglichst viele bei der Planung von neuen Radwegen und Co. von Anfang an mitzunehmen. Wir haben erklärt, was wir vorhaben und warum – so gab es während meiner bisherigen Amtszeit, soweit ich mich erinnere, bei keiner einzigen Maßnahme zur Ausweitung des Radverkehrs negative Reaktionen oder Widerstände. Wenn dann Eltern sehen, wie sicher und selbstständig ihre Kinder dank der gut ausgebauten Radwege mit dem Rad beispielsweise zur Schule und zu den Sportstätten fahren können, dann überzeugt sie das. So stehen Sie einem weiteren Ausbau der Radinfrastruktur von vornherein positiv gegenüber.
Wenn Sie ein Highlight nennen müssten, das Sie für besseren Radverkehr umgesetzt haben – welches wäre das?
Da würde ich mich für den Triangel-Radweg entscheiden – eine Maßnahme des Kreises Steinfurt. Er verbindet Wettringen mit einigen Nachbarkommunen, denn auch die Anbindung nach außen ist wichtig, sonst nützt mir die beste Radinfrastruktur im Ort wenig. Der Radweg führt überwiegend entlang einer stillgelegten Bahntrasse und hat eine Gesamtlänge von 62 Kilometern. Er wurde mit Mitteln der nationalen Klimaschutzinitiative gefördert, die Finanzierung solcher Projekte ist ja oft ein Knackpunkt.
Der Triangel-Radweg ist ein klassisches Leuchtturmprojekt, das von allen sehr gut angenommen wird. Auch hier haben die Gemeinden und der Kreis Steinfurt sehr gut zusammengearbeitet, sonst ließen sich solche Projekte gar nicht umsetzen. Von Wettringen aus gibt es zudem zu allen weiteren Nachbarkommunen durchgehende und sichere Radverbindungen, das erhöht die Akzeptanz für das Fahrrad.
„Weniger Konkurrenz zwischen Auto und Fahrrad“
Haben Sie Daten, ob und wie sich die Zahl der Radfahrenden seit 2015 erhöht hat?
Wir haben zwar keine Radzählstellen wie in einigen größeren Städten, aber insbesondere seit dem Ausbau des Triangel-Radwegs sind deutlich mehr Menschen auf dem Rad oder E-Bike unterwegs. Auch die vielen Rückmeldungen, die ich erhalte, sind durchweg positiv. Was sicherlich auch zu dem für eine ländliche Gemeinde hohen Anteil an Radfahrenden von über 30 Prozent beigetragen hat, war eine Umgehungsstraße, die wir im Jahr 2013 bekommen haben. So wird ein großer Teil des Autoverkehrs um Wettringen herum geleitet und es herrscht im Ort weniger Konkurrenz zwischen Auto und Fahrrad. Trotzdem muss man in einer ländlichen Region wie bei uns die Mobilität mit dem Auto nach wie vor mitdenken.
Welche zusätzlichen Maßnahmen haben Sie innerorts umgesetzt, um das Radfahren attraktiver und sicherer zu machen?
In allen Siedlungsbereichen und innerorts an vielen Stellen haben wir mindestens Tempo 30, wenn nicht sogar verkehrsberuhigte Zonen, in denen Autofahrer im Schritttempo unterwegs sein müssen. Zudem haben wir vor wenigen Jahren unseren Zentralen Busbahnhof erneuert, um so auch die Verbindung des Radverkehrs zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbessern. Am Triangel-Radweg haben wir auf einer längeren Strecke ein adaptives Beleuchtungssystem installiert, das heller leuchtet, wenn es Radfahrende wahrnimmt.
Die Akzeptanz der Wettringer für den Radwegeausbau erkennt man übrigens auch daran, wie engagiert sie sich selbst einbringen: Wir haben entlang der beliebten Radwege rund 20 Rastplätze oder Hütten, in denen Radfahrer gut Pause machen oder sich unterstellen können. Diese sind ganz überwiegend von örtlichen Vereinen, Nachbarschaften und Gruppen errichtet worden.
Die Wettringer und die Bürger der Nachbargemeinden wollen also ihren Teil dazu beitragen, dass man bei uns gut Radfahren kann, das ist vielleicht auch ein kleines Geheimnis unseres Erfolges.
Welchen Rat würden sie anderen ländlichen Gemeinden mit ähnlicher topographischer Struktur geben, um das Radfahren für die Menschen attraktiver zu machen?
Am wichtigsten finde ich es, bei der Umsetzung neuer Radverkehrsprojekte offen von Anfang an mit den Beteiligten zu kommunizieren, sich auch deren Bedenken anzuhören und diese ernst zu nehmen.Ich habe gemerkt, dass dann die Akzeptanz dieser Maßnahmen steigt, viele sich sogar einbringen und so das Projekt gemeinsam umsetzen wollen.
Nordrhein-Westfalen hat im Gegensatz zu Wettringen und dem Münsterland im aktuellen ADFC-Fahrradklimatest mit einer Durchschnittsnote von 3,9 schlecht abgeschnitten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach und wie können sich auch Gemeinden außerhalb des Münsterlandes verbessern?
Natürlich haben nicht alle Gemeinden und Städte die gleichen Bedingungen um den Radverkehr zu verbessern – sei es finanzieller Art oder aufgrund topographischer Herausforderungen. In einem Ballungsort, wie dem Ruhrgebiet etwa, ist es ungleich schwieriger solche Projekte umzusetzen, viel mehr Menschen müssen sich knappen Raum teilen. Auch in hügeligen Gegenden ist es schwieriger Projekte umzusetzen und so die Menschen dazu zu motivieren mehr mit dem Rad zu fahren, da haben wir in Wettringen und Umgebung bessere Voraussetzungen. Trotzdem finde ich, dass in den letzten Jahren in ganz Deutschland das Thema Mobilitätswende an Bedeutung gewonnen hat und viele Städte und Gemeinden immer mehr fahrradfreundliche Maßnahmen auf den Weg bringen.
Welches radfreundliche Projekt möchten Sie in Wettringen denn in nächster Zeit unbedingt umsetzen?
Wir werden erstmals eine Fahrradstraße anlegen, mit der wir eine Siedlung besser mit dem Ort verbinden. Insgesamt finde ich es wichtig, dass wir kontinuierlich am Thema Rad dranbleiben und uns immer wieder bewusst machen, wo wir weitere Verbesserungen hinbekommen können. Denn nur so wird es uns gelingen, den Anteil der Radfahrenden zu erhöhen und den der Autofahrenden zu senken.
Zur Person: Berthold Bültgerds (CDU), 61, ist seit 2015 Bürgermeister der Gemeinde Wettringen im Münsterland. Die Verbesserung der Radinfrastruktur in und um Wettringen ist ihm ein zentrales Anliegen. Wettringen wurde in den vergangenen Jahren mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Gesamtsieg (Note 2,0) beim ADFC-Fahrradklimatest 2022.
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