Ist veganes Leder wirklich nachhaltig? Lederalternativen auf dem Prüfstand

Links eine Ananas, ein roter Apfel und ein grünes Blatt auf einem Holztisch vor beigem Hintergrund. Rechts eine geöffnete braune Ledertasche mit einem zweifarbigen (schwarz und beige) Portemonnaie, einer schwarzen Brille und einem Lippenstift.
Foto: CC0 Public Domain - Unsplash/ Isuru Ranasinha, Pexels/ Pixabay (Symbolbild)

Echtes Leder hat viele Probleme: Tierleid, CO2, Ausbeutung. Ist veganes Leder in allen Punkten besser? Was es mit Kunstleder oder biobasierten Lederalternativen auf sich hat und worauf Käufer:innen achten sollten.

Veganes Leder ist aus der Modeindustrie nicht mehr wegzudenken. Zudem werden ständig neue Varianten erfunden und weiterentwickelt, etwa aus Apfel, Pilz oder anderen Materialien. Doch wieso sollte man überhaupt auf Leder verzichten? Und sind diese Materialien wirklich unbedenklich? Was du wissen musst.

Wieso ist Leder problematisch?

Leder aus Tierhaut hat viele positive Eigenschaften. Es ist widerstandsfähig, wasserabweisend und formstabil. Viele Menschen mögen auch die Haptik, Optik und den typischen Geruch. Mit der richtigen Pflege können Kleidungsstücke aus Leder, wie Schuhe, Taschen und Gürtel, dazu ein lebenslanger Begleiter sein. Doch neben diesen positiven Eigenschaften ist der Herstellungsprozess mit vielen negativen ökologischen und sozialen Eigenschaften behaftet.

Auch wenn oft argumentiert wird, dass Leder ein Nebenprodukt der Fleischindustrie sei, ist die Gewinnung von Leder häufig mit Tierleid verbunden. Auch die Lederarbeiter:innen in den Lieferketten sind Gefahren ausgesetzt.

Um das Material geschmeidig und reißfester zu machen, muss es gegerbt werden. Etwa 85 Prozent des weltweit produzierten Leders wird mit Chrom gegerbt, da pflanzliche Gerbverfahren um ein Vielfaches teurer sind. In Produktionsländern wie Bangladesch, Indien und Pakistan sind Arbeiter:innen damit einer hohen Gefahr ausgesetzt, da sich das eingesetzte Chrom III bei nicht korrekter Anwendung in das hochgiftige Chrom VI verwandeln kann. Neben Chrom werden auch weitere Chemikalien z.B. beim Färben eingesetzt und Menschen in den Lieferketten beklagen sich über Hautkrankheiten, Augenreizungen und Atemwegsprobleme. Zudem gibt es auch immer wieder Hinweise auf Kinderarbeit in den kleinen, informellen Betrieben, die als Unterauftragnehmer der großen Fabriken fungieren. Auch die Umwelt leidet unter Abwasserverunreinigungen durch die Gerbereien und dem extrem hohen Wasserverbrauch.

Die Entwicklung von Lederalternativen aus Kunstleder

Um günstige und leicht herstellbare Alternativen zu Leder zu finden, fanden bereits im 19. Jahrhundert erste Versuche statt, Lederimitate auf Ölbasis zu produzieren. In den 20er Jahren gab es dann erste Kunstleder aus PVC (Polyvinylchlorid), die später unter „Faux Leather“ oder „Vinyl Leather“ bekannt wurden. Der sogenannte „Pressstoff“ wurde in Deutschland während des zweiten Weltkriegs hergestellt und genutzt, als echtes Leder wenig verfügbar war.

Heute bestehen Kunstleder auch häufig aus PU (Polyurethan), einem leichten und flexiblen Material. Diese synthetischen Ledermaterialien sind jedoch nicht atmungsaktiv, wie echtes Leder, und daher schlecht geeignet für Jacken oder ähnliche Kleidungsstücke. Sie werden aber massenweise z.B. für Gürtel oder Taschen eingesetzt. Kunstleder sind, wie andere Kunststoffe, nicht biologisch abbaubar und in der Vergangenheit wurden schon krebserregende Schwermetalle, wie Cadmium und Blei, in Kunstlederwaren gefunden. Öko-Test wies die Stoffe zum Beispiel 2016 in einem Handtaschen-Test nach.

Veganes Leder: Das sind bekannte biobasierte Lederimitate

Mit dem steigenden Bewusstsein über die Umweltbelastung und Klimaschädlichkeit der synthetischen Imitate entstanden immer mehr Versuche von Unternehmen, biobasierte vegane Lederalternativen zu entwickeln.

  • Das wohl bekannteste Lederimitat aus nachwachsenden Rohstoffen ist das Leder aus Fasern der Ananasblätter. Unter dem Namen Piñatex hatte das Ananasleder der Marke Ananas Anam bereits im Jahr 2014 seine kommerzielle Einführung und wird seither international in Modekollektionen z.B. von H&M und Hugo Boss genutzt.
  • In den letzten zehn Jahren sind zahlreiche weitere Materialien dazu gekommen. Teilweise werden biobasierte Lederimitate aus Früchten und ihrer Schale hergestellt, wie etwa Apfelleder und Weinleder.
  • Häufig sind es auch Pflanzenfasern, die ein gutes Ausgangsmaterial für veganes Leder bieten. So entstehen Leder aus Eukalyptusblättern, Bananenstauden, Zuckerrohrpflanzen und den Blättern von Maiskolben.
  • Auch das Kaktusleder des mexikanischen Unternehmens Desserto ist in der Modewelt angekommen und wird von Marken wie Tommy Hilfiger, Adidas und Fossil genutzt.

Sind biobasierte Lederalternativen besser? Vor- und Nachteile

Vorteil dieser veganen Lederalternativen ist, dass die Ausgangsstoffe meistens Nebenprodukte in der Landwirtschaft oder Abfallprodukte bei der Ernte sind. Ein großer Nachteil hingegen ist, dass bei den meisten Anbietern dieser Alternativen PU als Beschichtungsmaterial genutzt wird und somit fossile Rohstoffe zum Einsatz kommen. Dieser Anteil variiert, liegt aber häufig zwischen 30 und 60 Prozent. Aufgrund des synthetischen Anteils ist das vermeintlich biobasierte Produkt also nicht abbaubar oder recycelbar.

Die Anbieter der Lederimitate sind sich der Problematik bewusst und versuchen, die Prozentzahl des Kunststoffanteils zu minimieren, ohne dabei die Langlebigkeit des Produkts zu vermindern.

Das Apfelleder AppleSkin der Marke Frumat ist zu 42 Prozent biobasiert, das Kaktusleder Desserto aus Mexiko zu 65 Prozent – mit dem Bestreben, zukünftig 90 Prozent zu erreichen.

Auch Piñatex® ist nicht zu 100 Prozent biologisch abbaubar, da es zu 20 Prozent aus PLA (Polylactid), einem „Biokunststoff“ aus nachwachsenden Rohstoffen wie Maisstärke, besteht. Unter kontrollierten industriellen Bedingungen ist dieses Material abbaubar – allerdings gibt es derzeit kein Rücknahmesystem, das den fachgerechten Abbau der Produkte sicherstellt.

Dieses vegane Leder kommt ganz ohne Kunststoffe aus

Es gibt jedoch auch Alternativen, die ohne Kunststoffe auskommen und 100 Prozent biobasiert sind.

  • Ein sehr fortschrittliches Material, das ausschließlich aus natürlichen Inhaltsstoffen hergestellt wird, ist das biobasierte vegane Leder Mirum. Es enthält Naturkautschuk, pflanzliche Öle und Holzkohle-Biomasse zum Färben und wird vor allem für Luxus-Handtaschen und für Portemonnaies verwendet. Zu den Labels, die Mirum nutzen, gehören zum Beispiel Stella McCartney (Sie investierte in die Entwicklung der natürlichen Lederalternative) und Melina Bucher. Günstigere Taschen aus Mirum findet man auch bei O My Bag aus Amsterdam.
  • Eine bekannte und weit verbreitete Alternative ist Leder aus Kork. Es gilt als die am längsten verwendete natürliche Lederalternative. Für die Korkgewinnung wird ein Teil der Rinde der Korkeiche geschält. Ist das Trägermaterial nicht synthetisch, sondern z.B. aus Baumwolle, und werden natürliche Klebstoffe verwendet, ist das Produkt 100 Prozent biobasiert. Doch leider wird auch beim Kork noch häufig PU zum Verbinden des Korks mit dem Trägermaterial verwendet.
  • Das Unternehmen MycoWorks bietet eine Lederalternative aus Pilzmyzel und Baumwolle an. Ein Myzel besteht aus fadenförmigen Zellen, die ein dichtes Netzwerk bilden. Mithilfe von Feuchtigkeit und Sägemehl können diese erstaunlich schnell wachsen. Das vegane Leder Reishi besteht aus ca. 40 Prozent Baumwolle und 60 Prozent Myzel, wird in South Carolina angebaut und in Spanien gefärbt und veredelt. Bisher gibt es offenbar nicht viele Bekleidungsartikel aus Reishi, vor allem eine Birkin-Handtasche der Luxusmarke Hermès.
  • Zurzeit wird auch an bakteriellem Zelluloseleder geforscht, das ebenfalls frei von synthetischen Stoffen sein soll. Bakterien produzieren hierbei feine Zellulosefasern, die zu einer lederähnlichen Struktur verwachsen. Das Material ist sehr vielversprechend, aber die Technologie noch nicht marktreif.

Umweltprobleme und Ausbeutung auch bei biobasierten Lederalternativen?

Viele biobasierte Lederalternativen nutzen Nebenprodukte, die in bestehenden Lieferketten anfallen. Ein Blick auf diese Lieferketten lohnt sich:

Häufig werden Bananen, Ananas und Äpfel in Monokulturen auf Plantagen angebaut, was die Umwelt belasten und die Biodiversität beeinträchtigen kann. Auf den Plantagen wird in der Regel eine große Menge an Pestiziden und weiteren Chemikalien wie Düngemittel eingesetzt, die ins Abwasser gelangen können und eine Gefahr für Menschen und Umwelt vor Ort darstellen.

In der Plantagenwirtschaft herrschen außerdem oft prekäre Arbeitsverhältnisse. Auf Ananasplantagen in Costa Rica leisten migrantische Arbeiter:innen häufig viele Überstunden und werden trotzdem unter dem Mindestlohn bezahlt, wie unter anderem eine Befragung durch Oxfam 2016 zeigte.

Ähnlich sieht es auch auf den Philippinen aus; hier arbeiten häufig Zeit- und Leiharbeiter:innen auf den Plantagen für einen sehr geringen Lohn. Da sie keine Gewerkschaftsmitglieder sind, haben sie kaum Möglichkeiten, sich für einen besseren Lohn einzusetzen. Auch die Ananasfasern für Piñatex stammen von den Philippinen. Ob bei der Ernte Leiharbeiter eingesetzt werden, ist unklar. Das Unternehmen Ananas Anam betont aber auf seiner Webseite, direkt mit landwirtschaftlichen Kooperativen zusammenzuarbeiten und diesen eine zusätzliche Einkommensquelle zu bieten.

Auch in der weiteren Verarbeitung der Materialien sind Arbeiter:innen Gefahren ausgesetzt. Das vielfach eingesetzte PU besteht aus Isocyanaten, die giftig sind und während der Herstellung eingeatmet werden können. Eine entsprechende Schutzausrüstung der Arbeiter:innen ist deswegen unerlässlich.

CO2-Bilanz der veganen Lederalternativen

Vegane Lederalternativen sind recht neu und die Studienlage zu ihren Emissionen recht dünn. Von den Herstellern finanzierte Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass Lederalternativen aus Mais, Kaktus, Traube, Apfel und Ananas nur 3,5 bis 7,6 Kilo CO2 pro Quadratmeter in der Produktion ausstoßen, Pilzleder sogar nur 2,7 Kilo CO2 pro Quadratmeter. Echter Leder komme dagegen auf circa 60,1 Kilo CO2. Ob diese Einschätzungen realistisch sind und wie es bei Betrachtung der gesamten Lebenszyklen aussieht, wird sich zeigen.

Veganes Leder: Worauf sollten Verbraucher:innen achten?

Am nachhaltigsten sind die Produkte, die sich bereits in unseren Kleiderschränken befinden. Wer also eine alte Ledertasche in Mutters Garderobe oder eine Lederjacke im Second-Hand-Laden findet, kann diese guten Gewissens tragen. In die Produkte sind wertvolle Ressourcen geflossen und diese sollten möglichst lange genutzt werden.

Produkte aus PU werden häufig als „vegan“ bezeichnet. Auch wenn ein veganer Schuh oder eine vegane Handtasche nicht mit Tierleid verbunden ist, sagt diese Bezeichnung nichts über die ökologischen und sozialen Eigenschaften oder die Recyclingfähigkeit des Produktes aus. Man sollte sich also nicht von Labels blenden lassen und automatisch von einem nachhaltigen Produkt ausgehen.

Wer eine Alternative zu echtem Leder und Lederimitaten aus PU sucht, findet eine große Auswahl an biobasierten veganen Produkten. Ist ein komplett abbaubares und recycelfähiges Produkt gewünscht, muss man aber genau hinsehen. In den Beschreibungen vieler Produkte finden sich Informationen zur Produktzusammensetzung und die prozentuale Aufteilung der verarbeiteten Materialien. Des Weiteren lassen sich auf den Websites der Anbieter von Lederalternativen oft Informationen zur Herkunft und teilweise auch Hinweise zu den Arbeitsbedingungen in der Lieferkette finden.

Utopia meint: Der Markt für biobasierte Lederalternativen existiert erst seit circa zehn Jahren. Es lohnt also, sich regelmäßig über Fortschritte in der Branche zu informieren, denn die Zusammensetzung der Lederalternativen wird stetig optimiert. Auch wenn viele Produkte noch nicht komplett biologisch abbaubar sind, gibt es schon einige gute Ansätze, die darauf abzielen, Tierleid zu reduzieren und klimafreundlichere Alternativen zu schaffen.

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