Die USA haben die Mondlandung im Filmstudio vorgetäuscht, die Stadt Bielefeld existiert nicht und das Corona-Virus wurde entwickelt, um die Menschheit zu unterdrücken: Verschwörungstheorien haben mal wieder Hochkonjunktur – aber was ist eigentlich der gemeinsame Faktor?
Der Aluhut ist zum Symbol für Verschwörungstheoretiker geworden: Man trägt die Leichtmetallmütze, um das eigene Gehirn zu schützen (ursprünglich gegen „Telepathie“ – in einer Science-Fiction-Story von 1927). Nur wenige Menschen tragen heute ernsthaft einen Aluhut – doch der Begriff wurde zu Metapher für Verschwörungstheoretiker.
Eigentlich ist das eine freundliche, fast liebevolle Bezeichnung, denn keineswegs alle Verschwörungstheorien sind harmlos und immer öfter wird heute mit Paranoia auch Politik gemacht. Doch Weltverbesserer sollten an eine bessere Welt glauben – nicht daran, dass irgendwo eine Gruppe Weltverschlechterer alles kaputtmachen will.
Daher haben wir mal versucht, herauszufinden, woran man Verschwörungstheorien erkennen kann. Einfach ist es nicht!
Indiz 1: Verschwörungstheorien widersprechen gängigem Glauben
Verschwörungstheorien schwimmen meist gegen den Strom und widersprechen dem „Mainstream“. Beispiel: Die Terroranschläge vom 11. September 2001. Die Täter sind identifiziert und der Ablauf ist geklärt – doch Verschwörungstheoretiker bieten etwas ihrer Meinung nach besseres: „alternative“ Erklärungen. Demnach habe
- die US-Regierung die Anschläge zugelassen
- oder die Regierung habe sogar (und das mit Hilfe der CIA) die Anschläge auf das eigene Volk selbst verübt
- und überhaupt seien die Gebäude nicht wegen der darin einschlagenden Flugzeugen eingestürzt, sondern (je nach V-Theorie) durch Energiewaffen oder kleine Atombomben …
Warum erinnern wir uns an die ganz besonderen Menschen, Dinge und Ereignisse besser als an die durchschnittlichen, die normalen, die alltäglichen? Weil sie aus der Masse herausstechen, ungewöhnlich sind und gegen den Strom schwimmen.
Dies ist auch ein Indiz für Verschwörungstheorien: Sie bieten eine verblüffende, ja geradezu unglaubliche andere Sicht auf die Dinge – und einige finden sie nur deshalb besonders glaubwürdig. Sie bleiben einfach besser im Kopf haften.
Ein starkes Indiz – doch eines mit Haken: Denn als offene Gesellschaft müssen wir auch Dinge in Frage stellen dürfen. Beispielsweise hat sich vieles, was Physiker und Ärzte vergangener Jahrhunderte glaubten, später als „falsch“ erwiesen. Ja, aber deswegen war noch lange keine Verschwörung am Werk! Thesen zu prüfen gehört eben zum Wesen aufgeklärter Wissenschaft.
Beim Corona-Virus halten es einige Aluhüte für verdächtig, dass Virus-Experten, die heute streng vor Lockerungen warnen, Corona noch vor Wochen als kleineres Problem betrachtet hatten. Ist das ein Zeichen für eine Verschwörung, dass sie heute anderer Meinung sind – oder einfach dafür, dass man heute mehr weiß als Anfang des Jahres? Die jeweils aktuelle Welterklärung ist eben nur so lange gültig, bis eine bessere vorhanden ist. So ist zum Beispiel die großartige Physik eines Isaac Newton an etlichen Stellen genau genommen „falsch“. Und dennoch lernen wir sie in der Schule vor der „richtigeren“ Physik Einsteins, einfach, weil sie erheblich simpler zu handhaben ist – und für viele Zwecke ausreicht.
Indiz 2: Verschwörungstheorien bieten einfache Erklärungen
Unser Gehirn ist ein System, das in allem Muster zu erkennen versucht. Zwei Punkte und ein Strich darunter – wir erkennen ein Smiley. Zwei Bilder in einem Comic – unser Gehirn füllt die Lücke dazwischen. So sind wir eben, und im Alltag ist das eine zumeist nützliche Fähigkeit. Wir sind darauf trainiert, Dinge, die wir nicht wissen, mit Spekulationen zu füllen auf Basis dessen, was wir wissen.
Willkommen, ist daher alles, was uns eine Erklärung liefert: “Streifen am Himmel sind dann plötzlich „Chemtrails“ – statt eines von vielen komplizierten Wetterphänomenen, die man verstehen würde, wenn man eben Meteorologe wäre. Corona ist dann ein gezielter Angriff auf unsere Freiheit – und nicht ein Virus wie viele davor, die es eben in verschiedenen Bedrohlichkeiten gibt (Masern, Röteln, HIV, Ebola) und die zu allem Leben auf Erden gehören, was man verstehen würde, wenn man eben Virologe wäre.
Indiz 3: Verschwörungstheorien definieren Feindbilder
Die Freimaurer. Die Illuminaten. Die Russen. Die Chinesen. Die Amerikaner. Die Banker. Die Konzerne. Die Ärzte. Die Journalisten, vor allem in den „Mainstream-Medien“. Und natürlich die Politiker. Es gibt immer Verschwörer, die klar zu identifizieren sind – und es sind immer „die anderen“.
Auch das ist ein klares Indiz für eine Verschwörungstheorie: Sie geht von einer Gruppe von Verschwörern aus, die Interessen durchsetzen will, die denen der Gesellschaft zuwiderlaufen (naja: meist vor allem jener Kreise, der sich die Verschwörungstheoretiker zugehörig fühlen).
Schon im 14. Jahrhundert gab es das sogenannte Pestpogrom, bei dem parallel zur Ausbreitung der Pest vor allem die Juden angefeindet und ermordet wurden. Man warf ihnen vor, Brunnen zu vergiften, um die Pest zu verbreiten. Doch teils fanden die Pogrome statt, bevor überhaupt die jeweilige Region von der Pest heimgesucht wurde – das erinnert an die Pegida, die vor allem in jenen Ländern stark ist, die nur geringe Migration aufweisen.
Heute ist der feindselige Verschwörer vor allem daran zu erkennen, dass er mächtig ist: Die andere Supermacht, die eigene Regierung, die Konzerne, der Vatikan – oder einfach: „die da oben“. Deswegen gehen so viele Verschwörungen angeblich von der Supermacht USA aus – der Zwergstaat Tuvalu wurde in Sachen Verschwörung dagegen noch nie auffällig.
Menschen glauben offenbar lieber daran, dass im Hintergrund eine geheime Macht die Fäden zieht. Sie wollen nicht glauben, dass überhaupt keine Fäden gezogen werden und dass große Ereignisse zwar vielfältige Ursachen haben – aber selten Verschwörer dahinterstecken. Und doch steckt auch ein Körnchen Wahrheit in manchem Verdacht, denn natürlich haben die Geheimdienste aller mächtigen Nationen stets auch in die Geschicke der Welt eingegriffen.
Indiz 4: Verschwörungstheorien ignorieren Experten
Eine Studie der Kent-Universität untersuchte die Unterschiede zwischen Menschen, die Verschwörungstheorien anhängen, und solchen, die sie ablehnen. Demnach haben Verschwörungstheoretiker eine gewisse Neigung, die „offizielle Version“ in Frage zu stellen. Da die offizielle Version ja meist die ist, die von Autoritäten (Staat, Medien, Experten) verbreitet wird, liegt es in der Natur der Verschwörungstheorie, sie alle zu ignorieren.
Bei Corona wie beim Klima gibt es daher etliche Stimmen, die scheinbar dem Mainstream widersprechen – dass sie bei genauem Hinsehen aber keine Experten sind, stört Verschwörungstheoretiker selten. Auch hat kein einziger Astronaut je die Mondlandung in Frage gestellt (noch nicht einmal russische Kosmonauten) – dennoch zweifeln viele daran, dass je ein Mensch den Mond betrat. Buzz Aldrin, nach Neil Armstrong der zweite Mensch auf dem Mond, riss deshalb 2002 sogar der Geduldsfaden und er haute einem Verschwörungstheoretiker eine rein. Das ist zwar nicht unbedingt der Umgang, der wir in der offenen Gesellschaft pflegen sollten, aber es ist eben auch etwas, was typisch ist für Verschwörungstheoretiker: Argumenten sind sie kaum noch zugänglich.
Indiz 5: Verschwörungstheorien sind unterhaltsam
Die Flat Earth Society vertritt seit über 50 Jahren ernsthaft die Meinung, die Erde sei flach – und eine weltweite Verschwörung würde uns anderen den „Erdball“ nur einreden. Einer anderen Theorie zufolge sollen die Nazis mit Hilfe sogenannter „Reichsflugscheiben“ zum Mond ausgewandert sein – wieder andere glauben, sie wohnen inmitten der Erde, denn die sei hohl.
Als wäre das nicht genug, ist Angela Merkel angeblich Hitlers Tochter, und ihre zur „Merkel-Raute“ gefalteten Hände sind (übrigens wie bei Popstar Beyoncé!) ein Hinweis auf die Illuminaten, einen geheimen Orden, der angeblich seit Jahrhunderten im Hintergrund die Fäden zieht … ja, googelt das ruhig mal, ihr werdet überrascht sein!
Diesen ganzen Quatsch muss nicht jeder unterhaltsam finden. Doch der Unglaublich-aber-wahr-Faktor macht aus solchem Unfug eben schon prima Geschichten zum Weitererzählen. Entsprechend gibt es Hunderte von Büchern zu Verschwörungstheorien, kritische und unkritische, plus Serien und Filme …
Indiz 6: Verschwörungstheorien akzeptieren keinen Gegenbeweis
Wissenschaft funktioniert so: Einer stellt eine These auf, nämlich dass alle Dinge gleich schnell zu Boden fallen. Dass wir das im Alltag anders erleben, etwa bei einer Feder und einem Hammer und hat natürlich Gründe (der Luftwiderstand). Diese These kann man prüfen: Man schaltet den Störfaktor „Luftwiderstand“ aus und lässt im Vakuum (!) Hammer und Feder gleichzeitig fallen. Und wie die meisten im Schulunterricht selbst erlebt haben dürften, fallen beide Gegenstände dann tatsächlich gleich schnell zu Boden. Übrigens wurde dies 1971 auch nochmal auf dem Mond überprüft, auf dem angeblich keiner gelandet ist …
Hätte ein Physiker beobachtet, dass auch im Vakuum die Feder langsam fällt, hätte er die entsprechenden Naturgesetze umformuliert. Denn das ist ja der ganze Sinn von Wissenschaft: Die Welt so zu beschreiben, wie sie ist. Nur dann kann man aus Naturgesetzen Vorhersagen ableiten oder auf andere Weise praktisch in den Lauf der Welt eingreifen.
Verschwörungstheoretiker aber beharren auf ihrem Glauben, egal, wie sehr man ihnen widerspricht. Die Frage an sie müsste daher lauten: Was muss eigentlich passieren, damit du nicht mehr an deine Verschwörung glaubst? (Die Frage kann übrigens auch jeder mal an sich selbst stellen!) Heißt die Antwort: Egal, was passiert, es ist nur weiterer Beleg für die Verschwörung selbst!, dann haben wir gerade einen Aluhut auf.
Beispiel Mondlandung: Wenn mindestens Aldrin oder Armstrong sowie auch die Russen sagen würden, die Mondlandung war ein Fake, dann war sie es wohl auch. Aber eine solch klare Erwartungshaltung äußern Verschwörungstheoretiker selten. Und was müsste geschehen, damit keiner mehr glaubt, was Donald Trump gerade verbreitet, nämlich dass das Corona-Virus irgendwie aus einem chinesischen Labor kommt? Leider kann da nichts geschehen … denn ein „Beweis“, dass der Virus aus der Natur kommt, ist so schwer zu führen, dass es ihn nicht geben wird.
Indiz 7: Verschwörungstheorien mutmaßen immensen Aufwand
Verschwörungstheorien gehen meist davon aus, dass die Verschwörer über schier unbegrenzte Mittel verfügen. Nehmen wir mal die Theorie, wonach jemand mit dem Corona-Virus die Freiheit demokratischer Staaten einschränken wollen würde und stelle sich den Aufwand vor.
So einen Virus braut man ja nicht im Hinterzimmer, dafür braucht man Labore, Geld, viele Mitarbeiter, gebildete Experten. Die müssten hinter dem Projekt stehen – gemeinhin haben gebildetere Menschen aber nur selten den Wunsch, einen anderen Teil der Welt kaputt zu machen. Und selbst wenn, dann wird es immer auch Unzufriedene geben (schlechte Bezahlung, üble Laborkantine, miese Vorgesetzte), die irgendwas durchsickern lassen … kurzum: Je aufwändiger ein Projekt, desto schwieriger ist es, dieses geheim zu halten.
Filmtipp dazu: „Unternehmen Capricorn“ von 1978, in dem NASA-Raumfahrer so tun müssen, als wären sie auf dem Mars gelandet – sind sie aber nicht. Der Film will aber keineswegs die Mondlandungsverschwörungstheorie stützen. Er zeigt vielmehr auf, wie schwierig es wäre, ein solches Geheimnis dann auch dauerhaft zu wahren.
Noch ein Indiz: Mit Verschwörungstheorien kann man Geld verdienen
Das Credo vieler Verschwörungstheoretiker lautet: Cui bono – wem nützt es? So begründen sie die These, die CIA oder die US-Waffenindustrie hätten die Twin Towers einstürzen lassen, um mit dem Krieg im Irak und in Afghanistan Geld zu verdienen.
Man darf zurückfragen: Wem nützen all die Verschwörungstheorien? Vor allem doch den Verschwörungstheoretikern selbst, denn man kann mit all den Behauptungen auch Geld verdienen, Bücher verkaufen, Webseiten mit Werbung betreiben, Vorträge halten, YouTube-Channel vollreden und vieles mehr, neuerdings eben auch populistische Politik machen.
Besonders krasses Beispiel: Laut einer Verschwörungstheorie geht von Barcodes, also den Strichcodes auf vielen Produkten, eine große Gefahr aus. Wie genau die Gefahr aussieht bleibt stets vage verschwurbelt, aber „negative Energien“ sind im Spiel …
Abhilfe schafft: Der Barcode muss durchgestrichen werden! Und zwar mit einem speziellen „Barcode-Entstörstift“ – für um die 10 Euro. Unnötig zu erwähnen, dass jeder andere Stift (oder ein Aluhut) die gleiche Wirkung hätte – nämlich gar keine.
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