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Migräne: Viel mehr als nur Kopfschmerzen

TK Weltverbesserer Migräne
Foto: ArtBackground / stock.adobe.com

Vorurteile gegen Migräne halten sich hartnäckig. Neben enormen Beschwerden müssen sich Betroffene immer noch viel zu häufig mit Sprüchen wie „Ach, der hat Migräne“ oder „Frauen, die Migräne haben, haben nur keine Lust auf Sex“ herumplagen. Anlässlich des Europäischen Kopfschmerz- und Migränetag am 12.09. sprechen wir mit Buchautorin Bianca Leppert über das Leben als Betroffene und wie man lernt mit Migräne umzugehen und zu leben.

Jeder kennt das: Man wacht morgens auf und der Schädel dröhnt. Manchmal schleichen sich die Schmerzen aber auch erst über den Tag ein: Migräne. Zwei von drei Erwachsenen (66 Millionen insgesamt) leiden in Deutschland zeitweilig unter Kopfschmerzen. Von diesen 47 Millionen Menschen sind wiederum knapp 18 Millionen Menschen von Migräne betroffen. 25 Millionen Menschen leiden unter Kopfschmerzen des Spannungstyps, der Rest ist unter anderem von Cluster-Kopfschmerzen und anderen Formen betroffen. Auch Kinder und Jugendliche sind in steigender Form von Kopfschmerzen und Migräne betroffen.

Kopfschmerzen und Migräne gehören zu den häufigsten Erkrankungen weltweit. Mittlerweile unterscheiden Fachleute zwischen mehr als 367 Arten von Kopfschmerzen. Migräne ist eine besonders schwere Form davon und mit alltäglichen Kopfschmerzen nicht zu vergleichen.

Auslöser für Migräne können viele Dinge sein, die Veranlagung dazu liegt jedoch in unseren Genen. Je nach Ausprägung wird Migräne nur durch bestimmte, sehr individuelle Umstände, ausgelöst. Neben Einflüssen durch das Wetter wie grelles Sonnenlicht oder starke Wetterschwankungen oder -umschwünge tragen auch hormonelle Veränderungen wie der weibliche Zyklus oder die Einnahme von Hormonpräparaten dazu bei. Auch Stress, starke seelische oder körperliche Anstrengung und abrupte Änderungen im Tagesablauf oder Lebensrhythmus können ebenso zu einem Migräneausbruch führen wie das Auslassen von Mahlzeiten, bestimmte Nahrung, Alkohol oder auch einige Medikamente oder zu wenig Schlaf.

Lies dazu auch: Depression: viel mehr als schlechte Laune

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Journalistin und Autorin Bianca Leppert. (Foto: Sebastian-Krawczyk)

Migräne – das solltest du darüber wissen

Anlässlich des Europäischen Kopfschmerz- und Migränetages am 12.09. haben wir uns mit der Journalistin und Autorin Bianca Leppert unterhalten, die in ihrem Buch „Ich hab´ Migräne! Und was ist deine Superkraft?“ ein Leben als Betroffene schildert und die Migräne aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt. Wir sprechen mit der Autorin darüber, was Migräne wirklich ist, wie man als Betroffene:r mit Migräne lebt und was man tun kann, um sein Leben beispielsweise durch die Verwendung der TK-Migräne-App an ein Leben mit Migräne anzupassen.

Was ist Migräne?

Bianca Leppert: Migräne ist eine neurologische Erkrankung. Das wissen aber leider nur wenige Menschen. Oft wird Migräne mit Kopfschmerzen gleichgesetzt. Dabei gehören viel mehr Symptome als der oft einseitige, pulsierende Kopfschmerz dazu. Es können etwa Übelkeit, Erbrechen, Licht-, Lärm-, und Geruchsempfindlichkeit oder im Falle einer Aura etwa Sehstörungen oder Lähmungserscheinungen auftreten.

Wenn ich anderen Menschen erkläre, wie sich Migräne anfühlt, sage ich gerne: Stell dir vor, dir ist so übel wie mit einer Magen-Darm-Grippe, du fühlst dich so schwach wie bei einer Grippe mit hohem Fieber und du hast die schlimmsten Kopfschmerzen deines Lebens. Und das alles für bis zu drei Tage.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass heutzutage einer von sieben Menschen weltweit an Migräne leidet. Man geht in Deutschland von rund 18 Millionen Betroffenen aus. Migräne zählt laut WHO auch zu der am schwersten behindernden Erkrankung bei Menschen im Alter unter 50 Jahren. Besonders in der chronischen Form mit über 15 Schmerztagen im Monat. Bei weniger Schmerztagen spricht man von einer episodischen Form.

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Wie ist der Stand der Forschung und der Medizin dazu?

Bianca Leppert: Migräne ist weiterverbreitet als Asthma, Epilepsie und Diabetes zusammen! Trotzdem fließt nicht annähernd so viel Geld in die Erforschung der Migräne als in die der Epilepsie.

Was dieses Thema betrifft, gibt es also viel Nachholbedarf. Noch immer gibt es nur Vermutungen und Theorien, was die Entzündungsmechanismen bei einer Migräne-Attacke im Hirn auslösen könnte. Die Ursachen und Prozesse geben den Wissenschaftlern nach wie vor Rätsel auf. Deshalb ist Migräne auch nicht heilbar. Man kann aber lernen, besser damit zu leben.

Zudem hat sich in den vergangenen Jahren viel bei den Medikamenten getan. Für Menschen mit chronischer Migräne sind vor allem die neuen CGRP-Antikörper eine große Hoffnung – manche kennen sie vielleicht als „Migräne-Spritze“.  Sie wurde eigens zur Therapie von Migräne entwickelt – im Gegensatz zu den gängigen anderen vorbeugenden Medikamenten wie Betablocker und Co., die ursprünglich für andere Erkrankungen gedacht waren. Die CGRP-Antikörper werden regelmäßig gespritzt und sollen als Vorbeugung der Attacken die Migränetage um 50 Prozent oder mehr senken.

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Mit gängigen Schmerzmitteln kommt man leider nicht gegen eine Migräne an. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Justin Schuler)

Wie ist die gesellschaftliche Anerkennung bei Migräne? Viele verwechseln Kopfschmerzen mit Migräne und sagen „Ach, die hat wieder Kopfschmerzen“

Bianca Leppert: Diesen Spruch kenne ich nur zu gut. Leider wird man mit Migräne oft als wehleidig abgestempelt, weil andere sich wegen ein bisschen Kopfschmerzen ja auch nicht so anstellen. Deshalb ist es so wichtig, dass mehr Aufklärung betrieben wird, was Migräne eigentlich ist. Der Spruch „Dann nimm halt eine Tablette“ kommt sehr häufig. Aber mit gängigen Schmerztabletten ist es oft nicht getan. Und die so genannte 10/20-Regel setzt noch mehr unter Druck. Denn man sollte maximal an 10 Tagen im Monat Schmerzmedikamente nehmen, an mindestens 20 Tagen keine. Das ist oft ein ständiges Abwägen.

Es ist auch ein Mythos, dass es eine bestimmte Migräne-Persönlichkeit gibt. Menschen mit Migräne sind nicht schuld an ihrer Erkrankung. Das ist eine wichtige Botschaft. Das Gehirn ist einfach sensibler und reizempfindlicher und daran muss man sich in seiner Lebensweise anpassen. Von außen erntet man aber oft Unverständnis, wenn man erklärt, dass Migräne nicht heilbar ist. Nur helfen ungefragte Ratschläge à la „Probier doch mal eine Diät aus“ oder „Mach dir weniger Stress“ den Betroffenen nicht weiter.

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Zur Vorbeugung von Migräne haben sich nichtmedikamentöse Prophylaxen als sehr wirksam gezeigt. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Kelly Sikkema)

Was kann man als Betroffene:r tun?

Bianca Leppert: Migräne ist zwar nicht heilbar, aber man kann selbst viel dazu beitragen, sie etwas zu lindern und besser damit zu leben. Dafür muss ich meine Erkrankung aber auch kennen. Sprich: Mir so viel Wissen möglich dazu aneignen. Das kann man über Podcasts, Bücher oder etwa Instagram machen – wenn es denn seriöse und wissenschaftlich fundierte Quellen sind.

In der Akutphase helfen meist nur Rückzug und Medikamente, die man mit dem oder der behandelnden Arzt oder Ärztin besprechen sollte. Zur Vorbeugung haben sich nichtmedikamentöse Prophylaxen als sehr wirksam gezeigt. Etwa Ausdauersport, Entspannungstechniken wie Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson und vor allem Regelmäßigkeit im Alltag. Also keine Mahlzeiten auslassen, ein konstanter Schlaf-Wach-Rhythmus etc.

Wie ist das gesellschaftliche Leben mit Migräne?

Bianca Leppert: Man fühlt sich oft belächelt, wenn man von Migräne erzählt. Als wäre man ein nicht funktionierendes Teilchen in der Gesellschaft. Dabei ist es ja eine ernstzunehmende neurologische Erkrankung. Weil ich das Wort Migräne selbst teilweise nicht mehr hören kann, habe ich meiner einen Namen gegeben: Erna. Damit fällt mir zumindest die Kommunikation mit Freund:innen und der Familie leichter. Ich sage dann: Erna ist zu Besuch.

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Zu dem Thema Migräne sollte es wesentlich mehr Aufklärung geben. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Diego Ph)

Wird man mit Migräne gesellschaftlich ausgegrenzt?

Bianca Leppert: Das variiert, je nachdem, auf wen man trifft. Definitiv ist es eine Behinderung, wenn man nie weiß, ob man nun für ein paar Tage ausfällt und Arbeit oder Freizeitaktivitäten aus dem Nichts canceln muss. Ich bin vielen Menschen begegnet, die aufmerksam zuhören und Interesse für Migräne haben. Es gibt aber auch einige, die wollen das gar nicht hören und geben dem oder der Betroffenen die Schuld. Das ist traurig.

Was müssen Migränepatient:innen ändern, damit sie die Migräne unter Kontrolle bringen können?

Bianca Leppert: Es müsste vor allem mehr Aufklärung zu diesem Thema gemacht werden. Das versuche ich zum Beispiel über meinen Instagram-Account @migraene_superhelden und durch mein Buch „Ich hab‘ Migräne – Und was ist deine Superkraft?“, sowie den gleichnamigen Podcast zu erreichen. Sowohl bei Mediziner:innen gibt es noch viel Aufklärungsbedarf, weil noch immer viele Menschen mit Migräne keine korrekte Diagnose bekommen. Oft werden sie zum Orthopäden überwiesen, weil Nackenschmerzen ein Symptom von Migräne sind, aber dies fehlinterpretiert wird. Aber auch in der Gesellschaft müsste ankommen, dass Migräne eben nicht nur Kopfschmerz ist und es keine Ausrede ist.

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Die persönliche Belastung kann unterschiedlich stark sein. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Ashley Batz)

Wie lebt man mit Migräne?

Bianca Leppert: Ich persönlich habe für mich einen guten Weg gefunden, die Migräne zu akzeptieren. Tatsächlich war der Moment, in dem mir mein Neurologe sagte, dass Migräne nicht heilbar ist, eher eine Erleichterung. Weil ich nicht mehr ständig den Fehler bei mir gesucht habe und nicht mehr sämtlichen Therapiemethoden nachgelaufen bin.

Ich lebe ein gutes Leben mit rund ein bis sechs Schmerztagen pro Monat. Natürlich ist die Unvorhersehbarkeit eine Herausforderung in meinem Beruf als Journalistin, aber bisher hat noch alles funktioniert. Ich passe mein Leben eben stark daran an. Gehe meist pünktlich ins Bett, trinke nur wenig Alkohol und achte auf regelmäßige Mahlzeiten. Für Menschen mit chronischer Migräne – also mehr als 15 Schmerztage im Monat – ist die Belastung natürlich weitaus höher.

Gibt es auch positive Seiten an Migräne?

Bianca Leppert: Das werde ich oft gefragt. Und jedes Mal antworte ich: Nein. Zwar sehe ich es als positiv, dass meine Sinne geschärft sind und ich mehr Reize wahrnehme als andere Menschen, aber ich könnte darauf verzichten. Was mir aber am Herzen liegt: Nur weil die Erkrankung so belastend ist, heißt es nicht, dass ich nicht einen positiven Weg finden kann, damit umzugehen. Und das versuche ich Tag für Tag.

Bianca Leppert arbeitet als freie Journalistin, Texterin sowie als Moderatorin. Ihr kürzlich erschienenes Buch „Ich hab Migräne! Und was ist deine Superkraft?“ befasst sich mit dem Leben einer Betroffenen und zeigt, was man tun kann.

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