Früher fragten Philosophie und Wissenschaft am liebsten: Wo kommen wir her? Heute dagegen fragen wir uns immer öfter: Wo gehen wir hin? Wie sollen wir dem Klimawandel begegnen, wie wollen wir lieben und leben, wie unsere Rollen als Mann oder Frau in der Gesellschaft ausfüllen? Sagen wir „nein“ zu Fleisch und „ja“ zu Urlaub im All? Und wie wollen wir mit der Pandemie umgehen? All das lässt uns hinterfragen, was uns wirklich wichtig ist und wie unser Leben in der Zukunft aussehen könnte. Kurz: Es ist kompliziert. Damit wir zumindest einen verschwommenen Blick in die Zukunft werfen können, definiert das Zukunftsinstitut regelmäßig sogenannte Megatrends – und einer davon nennt sich „Social Cocooning“.
Beim Social Cocooning ziehen wir uns in unser eigenes Zuhause zurück und verpuppen uns in Gemütlichkeit. Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freund fand, dass „die gewollte Vereinsamung“ ein möglicher Weg zum Glück sei. Er glaubte, dass wenn die Welt zu schwierig und unübersichtlich wird, dass wir besser Zuhause bleiben sollten. Und während der Pandemie war genau das der Weg, sich und andere vor einer Infektion zu schützen. Doch Social Cocooning ist mehr als bloß zu Hause zu bleiben: Beim Social Cocooning geht es um den Rückzug in eine private, sehr individuelle Welt. Zugleich drückt sich darin der Wunsch nach Verbindung und Kommunikation aus – die durchaus auch digital ablaufen darf. Und es ist die Freude daran, sich bewusst für die entspanntere Alternative zu entscheiden: Spieleabend Zuhause statt Biertrinken im Club.
Die Geburt des Social Cocooning
Vor allem seit Beginn der Pandemie fühlen sich viele Menschen verunsichert: Die Welt wirkt noch komplexer als sonst, Gesundheit und das zwischenmenschliche Miteinander scheinen nicht mehr selbstverständlich. Social Cocooning schafft das Gefühl von Sicherheit. Für viele ist es die Antwort auf eine sich im Wandel befindende Welt, auf politische, ökonomische und ökologische Umwälzungen. Der Begriff Social Cocooning geht auf die Unternehmerin und Futuristin Faith Popcorn zurück. Ihre kulturellen Trend-Vorhersagen trafen bislang mit einer Trefferquote von 95 Prozent tatsächlich ein. Sie stellte schon in den 1980er fest, dass die Menschen ihr Sozialverhalten änderten und sich teils ins Häusliche zurückzogen. Immer mehr Menschen schirmten sich von der Außenwelt ab und zogen Videos und Kino dem realen Erleben von Abenteuern und Ausflügen vor.
In der Pandemie-Höhle
Doch vor allem durch die Pandemie haben sich viele Menschen mehr und mehr zurückgezogen. Während Social Cocooning früher gemütlich war, mischte sich in den pandemiebedingten Rückzug irgendwann auch der Stress. Denn Homeoffice und Home-Schooling wurden bald zu einer Belastung für alle Beteiligten. Und auch ältere Menschen fühlten sich isoliert und einsam. Ein Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse erfasste, wie sich die Menschen in Deutschland nach einem Jahr Pandemie so fühlten. Die Ergebnisse: Sie waren gestresster bei der Arbeit, fühlten sich einsam und niedergeschlagen. 42 Prozent der Menschen in Deutschland fühlten sich in der Hochphase des zweiten bundesweiten Lockdowns stark oder sehr stark von der Corona-Situation belastet. Im Vergleich sagten das ein Jahr vor der Pandemie nur 35 Prozent von sich. Das entspricht einem Anstieg von 20 Prozent. Am schwersten traf die meisten Befragten die Einschränkungen der sozialen Kontakte, das gaben ganze 89 Prozent an.
Eine andere Studie ergab, dass sich 57 Prozent einsamer fühlten als sonst. Da wundert es kaum, dass die soziale Komponente des Social Cocoonings eine so große Rolle spielt.
Gesund im Kokon?
Auch für unsere Gesundheit war der erzwungene Rückzug eine Herausforderung: Vor allem ältere Menschen haben den Arztbesuch während des pandemiebedingten Cocoonings immer weiter nach hinten geschoben. Die Hälfte der danach befragten älteren Menschen gaben an, dass sie aus Angst vor der Ansteckung mit Corona den Arztbesuch länger als gewohnt verzögerten. Und einer von fünf sagte, dass sie das Haus, während das Lockdowns, gar nicht verlassen würden. Eine wichtige Rolle dabei spielt natürlich der Zugang zu medizinischer und psychologischer Hilfe von Zuhause aus. Auch ohne aus dem Haus zu gehen, können wir digitale Gesundheitsleistungen wie die Videosprechstunde in Anspruch nehmen.
Die Grenzen des Einigelns
Schon lange vor Corona zogen sich Tausende Menschen zurück – vor allem in Japan. In Tokyo leben 15 Millionen Menschen. Die Stadt ist laut, aufregend und überflutet von Reizen. Immer mehr Tokiotern wird das zu viel: Sie verstecken sich zu Hause und gehen teils über Jahrzehnte nicht vor die Tür. Forschende glauben, dass fast eine Million Menschen sich in ihren Wohnungen oder Kinderzimmern einschließen und andere Menschen meiden. Doch auch hierzulande kann sozialer Rückzug das gesunde Maß verlassen. Seit sich die neuesten Filme direkt auf den heimischen Fernseher streamen lassen, Drohnen sogar auf die entlegenste Insel noch Schätze aus dem Internet fliegen, Kleidung und Lebensmittel bequem nach Hause geliefert werden und wir nicht mal für ein Treffen mit den Freunden vom Laptop weggehen müssen, gibt es keine Notwendigkeit mehr, das Haus zu verlassen. Die japanische Politik zeigt sich besorgt über diese Entwicklung, denn diesen Menschen fehlt die Bewegung an der frischen Luft – und sinnstiftende soziale Kontakte. Es zeichnet sich eben auch schnell ein ödes, trostloses Bild einer grauen und viel zu kleinen Wohnung mit einsamen Menschen – von einem gemütlichen Kokon hat das dann wenig.
Warum wir keine Stubenhocker sein sollten
Am vergleichsweisen extremen Beispiel der japanischen Stubenhocker zeichnet sich ab, dass das Einigeln durchaus seine Grenzen haben sollte. Denn weltweit stellen Forschende immer wieder fest: Sich sozial zu sehr zurückzuziehen, kann krank machen. Mangelnde soziale Beziehungen und Einsamkeit gehen Studien zufolge mit einem 29 Prozent erhöhten Risiko für Herzkrankheiten und einem um 32 Prozent erhöhten Risiko für Schlaganfälle einher. Bei Menschen, die sich selbst als einsam beschrieben, wurden häufiger Depressionen, Angstzustände und Suizidgedanken festgestellt.
Daran wird deutlich, dass Cocooning allein keine gute Idee ist. Deshalb sollten wir unseren Kokon ab und zu für liebe Menschen öffnen, mit denen wir gerne Zeit verbringen. Denn Zeit mit guten Freund:innen zu verbringen und ein verlässliches soziales Netzwerk zu pflegen hat viele Vorteile. Nette Menschen reduzieren unseren subjektiv erlebten Stress – und tun uns einfach gut.
Warum sich Social Cocooning gut anfühlt
Seit Faith Popcorn dem Trend einen Namen gab, rufen Lifestyle-Magazine immer wieder den vermeintlich neuen Trend aus: Los Leute, auf zurück ins Private mit euch! Doch während es zu Hause richtig schön gemütlich wird, steigt auch der Wunsch nach einem sozialen Miteinander. Und deshalb verbindet Social Cocooning beide Entwicklungen: Eine neue „Lagerfeuermentalität“ entsteht. Während Popcorns Ansatz noch eher Freuds Idee aufgriff, dass wir uns alleine doch am wohlsten fühlen, gehört heute auch der soziale Nahbereich in unseren Kokon: die besten Freund:innen und zunehmend auch die Nachbar:innen. Es geht also nicht um die Abschottung, sondern um Kontakt in gemütlicher Atmosphäre. So verbindet Social Cocooning den nordischen Hygge-Trend mit inniger Kommunikation.
Wie du es dir in deinem Kokon gemütlich machen kannst
Wenn du Social Cocooning richtig angehst, wird dein Zuhause bald zu einer echten Oase – für dich und für andere. Wir verraten dir ein paar Ideen, mit denen du dir einen solchen Kokon schaffen kannst:
Gesund und zufrieden von Zuhause arbeiten
Das Arbeiten von Zuhause aus scheint erstmal gut zum Social Cocooning zu passen, doch es kann auch zu Stress führen. In unseren modernen Konkons ist Platz für liebe Menschen, die unser Haus erst so richtig gemütlich machen. Doch wenn dein Zuhause auch dein Arbeitsplatz ist, sind klare Grenzen wichtig. Mache Kindern und Lebenspartner:innen klar, wann du konzentriert arbeitest und nicht gestört werden möchtest. Doch auch dir selbst solltest du Grenzen setzen: Schaffe dir einen festen Arbeitsplatz. Solltest du im Wohnzimmer oder der Küche arbeiten, versuche nach Dienstschluss alles wegzuräumen, dass dich an die Arbeit erinnert. So kannst du in den Freizeit- und Erholungsmodus umschalten. Und auch wenn das Pendeln im Homeoffice wegfällt: Du darfst auch im Homeoffice pünktlich Feierabend machen und abschalten.
Lies dazu auch: Vorteile Homeoffice: So arbeitest du Zuhause nachhaltig
Gesund trotz Rückzug beim Social Cocooning
Wer es sich Zuhause richtig gemütlich macht, hat spätestens während der Pandemie auch das Fitnessstudio ins heimische Wohnzimmer verlegt. Yoga gibt es längst als Livestream und taffe Body-Weight-Workouts als gratis Videos. Für ein besonderes Miteinander sorgen gemeinsame Yoga- oder Fitness-Klassen per Video-Chat. Dabei können die Teilnehmenden sich kennenlernen oder digital wiedersehen. So kommt nicht nur Fitness, sondern auch das Miteinander zurück ins Heim-Fitness-Studio.
Kreativ und gesund im eigenen Kokon kochen
Viele Menschen haben während der Pandemie das Kochen wieder für sich entdeckt. Egal ob mit Kochbox, Rezepten aus dem Netz oder kreativen Eigenkreationen: Wer selber kocht, isst meist sehr viel gesünder, als wenn er sich eine Pizza liefern lässt. Über Internetplattformen findest du in größeren Städten Kochevents, bei denen du nette Menschen aus der Nachbarschaft kennenlernen und gemeinsam essen kannst. Und wenn es das in deiner Stadt noch nicht gibt: Biete es einfach selbst an und lade Freund:innen oder Nachbar:innen ein.
So wird die Küche wieder zum Hotspot des eigenen Zuhauses. Schon früher galt: Die besten Partys enden immer in der Küche – und manche beginnen dort. Denn bei kaum etwas lässt es sich so gut angeregt reden wie bei einem guten und ausgedehnten Essen oder bei Kaffee und frischen Zimtschnecken. So kommen wir mit anderen wieder mehr in Kontakt und tun zugleich etwas für unsere Gesundheit. Denn egal ob Dinner-Duelle mit Freund:innen oder mit neuen Bekannten aus deiner Nachbarschaft: Statt zu fettiges und zu salziges Lieferessen alleine vorm Fernseher zu essen, setzen Cocooning-Fans auf kreatives Kochen.
Basteln für einen schönen Kokon
Während der pandemischen Wintermonate boomte der Bastel-Trend in Wohnzimmern. Auf Pinterest und Instagram findest du viele Bastelideen. Oft kannst du sogar aus Abfall richtig schöne Dinge zaubern. Wenn du deine Freund:innen dazu einlädst, schaffst du ein tolles Event – und etwas Schönes für dein Zuhause.
Stricken für mehr Gemütlichkeit beim Social Cocooning
Wenige Hobbys fühlen sich so gemütlich an, wie Stricken. Dabei fertigst du Socken, Schals oder Handschuhe, die dich warm durch den Winter bringen. Natürlich kannst du mit deinen Meisterwerken auch etwas Gutes für dein Umfeld tun: Oft nehmen karitative Einrichtungen selbstgestricktes entgegen und verkaufen es für einen guten Zweck. So kannst du dich entspannen und zugleich noch einen positiven Beitrag für die Gemeinschaft leisten.
Puzzeln und Rätseln als beliebtes Kokon-Hobby
Kaum etwas passt so gut in einen sozialen Kokon wie ein Puzzle. Gerade während der Pandemie erfreut sich das Puzzeln großer Beliebtheit. So verzeichnete der Puzzle-Hersteller Ravensburger einen Anstieg um 20 Prozent in den Puzzle-Verkäufen seit Beginn der Pandemie. Zwischenzeitlich kam es sogar zu Lieferengpässen. Um aus dem Suchen und Finden der passenden Teile ein soziales Miteinander zu machen, kannst du dich für ein Escape-Game-Puzzle entscheiden: Wenn ihr das Puzzle fertig habt, findet ihr kleine Rätsel auf der zusammengesetzten Fläche, die ihr gemeinsam lösen könnt.
Es gibt immer mal wieder Tage, an denen wir uns einfach nur die Decke über den Kopf ziehen und zu Hause einigeln wollen. Das auf Dauer zu machen, ist allerdings wenig gemütlich. Deshalb machst du es dir beim Megatrend des Social Cocoonings Zuhause gemütlich, schaffst dir einen ganz eigenen Wohlfühlort – und teilst diesen mit den Menschen, die du am meisten magst. Denn beim Social Cocooning steht das soziale Miteinander im Mittelpunkt. Das ist gesund und tut vor allem in der dunklen Jahreszeit richtig gut.
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