Eine wachsende Zahl klimaneutraler Produkte konzentriert sich darauf, bei der Produktion Rücksicht auf das Weltklima zu nehmen und CO2-Emissionen zu kompensieren. Eine neue Generation von umweltneutralen Produkten geht jetzt den nächsten logischen Schritt.
Produkte herzustellen hat zwangsläufig Einfluss auf Umwelt und Klima. Das ist auch bei Kosmetikprodukten und Hygieneartikeln der Fall, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Ob Duschgel, Toilettenpapier oder Gesichtscreme: Sie alle benötigen Materialien zur Herstellung, verbrauchen also Ressourcen, und natürlich wendet man bei der Produktion zusätzlich Energie und Wasser auf. Sowohl zwischen Produktionsstätten als auch beim Ausliefern an den stationären Handel fallen CO2-Emissionen und damit Klimaauswirkungen an.
Anschließend stehen die Produkte zum Verkauf bereit: Mit einer Verpackung, um die Ware zu schützen und um zum Beispiel flüssige Produkte überhaupt dauerhaft verwenden zu können. Zuletzt wirken sich auch die Benutzung, Entsorgung und Wiederverwertung auf die Ökobilanz von Produkten aus.
Dabei geht es auch anders. Längst ist es möglich, die Auswirkungen auf das Klima immer weiter zu reduzieren. Einige Unternehmen tun das auch; sie sprechen dann von klimaneutralen Produkten, da sie die verursachten CO2-Emissionen im Nachgang kompensieren.
Die CO2-Kompensation ist bereits ein richtiger und wichtiger Schritt für eine umweltverträglichere Produkterstellung. Doch Produkte produzieren während ihres Gesamtlebenszyklus nicht nur CO2-Emissionen, sondern auch andere Umweltauswirkungen, sie wirken sich zum Beispiel auf unsere Böden und Gewässer aus.
Das Drogerieunternehmen dm geht deshalb einen Schritt weiter als die Klimaneutralität und stellt als aktuell erstes Unternehmen umweltneutrale* Produkte her, die nicht nur CO2 im Blick haben, sondern gleich vier weitere Umweltauswirkungen. „Seit 2018 arbeiten wir daran, nicht nur ein einzelnes Duschgel, sondern ein neues drogistisches Kernsortiment auf den Markt zu bringen, bei dem wir nicht nur CO2 kompensieren, sondern auch weitere Umweltauswirkungen betrachten“, so Adrian Martin, Bereichsverantwortlicher bei dm.
Als Teil der Initiative „Klima bewusster handeln“ begleitet dm die Produkte von der Herstellung bis zur Entsorgung oder Wiederverwendung – mit dem obersten Ziel: Die Umweltauswirkungen so gut wie möglich zu reduzieren. Erst danach kommt die Kompensation. „Für uns ist es ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit viel Ausprobieren, bei dem wir viel lernen mussten und weiterhin dazulernen“, erklärt Sandra Scalisi, Markenmanagerin der umweltneutralen Produkte bei dm.
Doch was bedeutet umweltneutral dabei genau?
Umweltneutrale Produkte, die auch den Ozonabbau und die Versauerung der Böden kompensieren
Die Umweltneutralität verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Bei den umweltneutralen Produkten werden deshalb neben dem CO2-Ausstoß vier weitere Umweltkategorien analysiert und ausgeglichen. Im Detail sind das: Klimawandel, Eutrophierung, Versauerung, Sommersmog und Ozonabbau.
- Klimawandel: In der Atmosphäre erhöht sich die Menge an natürlich vorkommenden Treibhausgasen. Diese lassen Sonnenwärme weiterhin durch, deren Abstrahlung zurück in den Weltraum behindern sie jedoch. Dadurch wird der Treibhauseffekt und die Klimaerwärmung verstärkt.
- Eutrophierung: Ein Überangebot von Nährstoffen, z.B. Stickstoff und Phosphor, führt in Gewässern zu einem erhöhten Algen- und Wasserpflanzenwachstum. Diese entziehen anderen Pflanzenarten und Lebewesen die Lebensgrundlage.
- Versauerung: Böden oder Gewässer versauern durch sauren Regen oder die Emissionen säurebildender Substanzen und schädigen die Ökosysteme.
- Sommersmog: Bei warmem Wetter ist die Ozonkonzentration und andere Photooxidantien – und damit die Schadstoffbelastung – in der Luft direkt über dem Boden sehr hoch. Bodennahes Ozon greift die Atmungsorgane an und schädigt Pflanzen und Tiere.
- Ozonabbau: Durch den Abbau der stratosphärischen Ozonschicht gelangt UV-B- und UV-C-Strahlung ungehindert auf die Erde und schädigt unsere Haut.
Um die Umweltauswirkungen eines Produkts reduzieren und kompensieren zu können, muss man aber zunächst einmal herausfinden, wie stark die Auswirkungen in den einzelnen Bereichen überhaupt sind.
Mehr erfahren – Klimaschutz bei dm
Umweltneutrale Gesichtscreme, Shampoo und Toilettenpapier – von der Herstellung bis zur Kompensation
Um die Umweltbelastung für jedes einzelne Produkt exakt messen zu können, holte das Drogerieunternehmen dm die Technische Universität Berlin ins Boot. Die TU Berlin erstellt seit 2019 unter der Leitung von Prof. Dr. Matthias Finkbeiner unabhängige Ökobilanzen: Dabei wird der gesamte Lebenszyklus eines Produkts erfasst und bewertet – von der Herstellung über die Benutzung bis zur Entsorgung.
1. Ökobilanz für jedes Produkt erstellen
„Wir sehen uns alle Phasen des Produktlebenszyklus an und fragen: Wo kommen die einzelnen Inhaltsstoffe her, wo die Rohstoffe für die Inhaltsstoffe?“, erklärt Prof. Dr. Finkbeiner. „Wir erfassen alle Stoffe und Energien, die verwendet werden. Wir betrachten die Nutzungsphase und rechnen ein, welche Produkte z.B. mit Warmwasser verwendet werden, etwa Shampoo oder Spülmittel. Bei einem Deo werden z.B. die freigesetzten Gase bei der Benutzung eingerechnet. Und am Lebensende eines Produktes schauen wir darauf, wie es entsorgt oder recycelt wird, wie die Verpackung abgebaut wird und ob sie wiederverwendet werden kann.“ Die Auswirkungen in den jeweiligen Kategorien werden dann als Summe ermittelt.
„Mit den Herstellpartnern von dm haben wir die Daten zu den Inhaltsstoffen, der Herstellung der Grundstoffe, den Transportentfernungen usw. erhoben“, so der Experte der TU Berlin weiter. Die Datenerhebung bedeutete einen enormen Aufwand, zumal diese Betrachtungen mehrfach angestellt werden mussten, also „iterativ“ mit bereits verbesserten, aber noch nicht finalen Produkten.
Doch der Aufwand lohnt sich, denn auch die Wissenschaft kann hier dazulernen. „Bei manchen Stoffen kannte unser Institut die Ökobilanz bereits, bei einer Reihe anderer Stoffe noch nicht“, sagt Finkbeiner. „Das aufwendigste Beispiel war das Sonnenschutzmittel von SUNDANCE: Von den über 30 Inhaltsstoffen waren uns 29 bis dato unbekannt und wir mussten sie neu bilanzieren.“
2. Umweltauswirkungen bei der Herstellung reduzieren
Auf Basis der Ökobilanzierungen sucht dm im zweiten Schritt gemeinsam mit Expert:innen und seinen Herstellpartner:innen nach Optimierungsmöglichkeiten in allen Produktlebensphasen. Die Umweltbelastungen der umweltneutralen Produkte sollen damit auf ein Minimum reduziert werden.
In der Praxis heißt das: tüfteln, ausprobieren, erneut bilanzieren und prüfen – bei manchen Produkten brauchte es drei oder mehr Iterationen, bis die Ökobilanz besser war als beim ursprünglichen Produkt. Bei Produkten wie Toilettenpapier, das schon sehr lange in Massen hergestellt wird und damit bereits mehrmals optimiert wurde, schienen weitere Verbesserungen zunächst beinahe unmöglich. Und doch konnten der Materialeinsatz verringert und in der Produktion 100 Prozent erneuerbare Energie genutzt werden.
Bei der alverde NATURKOSMETIK Pro Climate 24h Gesichtspflege lautet das Ergebnis: Weniger Verpackung, weil die Faltschachtel weggelassen wird; eine recyclingfähige Tube, die zu 50 Prozent aus recyceltem Material besteht und weniger Inhaltsstoffe, da man zum Beispiel auf bestimmte Extrakte verzichtet. Ein Glastiegel wurde auch ausprobiert und bilanziert – die recycelbare Kunststofftube mit dem hohen Rezyklatanteil punktete in diesem Fall aber mit einer besseren Ökobilanz.
Beim umweltneutralen alverde NATURKOSMETIK Pro Climate Shampoo Konzentrat hat man sich von der Kunststoffflasche verabschiedet, künftig wird es in konzentrierter Rezeptur in einem Kunststoffbeutel verkauft. Das spart im Vergleich zur 200-Milliliter-Flasche etwa 70 Prozent Material ein. Da es oft auf Details ankommt, wurde auch der Verschluss verkleinert.
Die alverde NATURKOSMETIK Pro Climate Mundspülung hatte bereits eine vergleichsweise gute Ökobilanz, eine Verbesserung schien kaum vorstellbar. „Die Aromastoffe mussten wir im Produkt lassen, denn die Kunden wünschen sich bei der Anwendung einen Frischegeschmack“, erklärt Sandra Scalisi. Das Team konzentrierte sich deshalb auf möglichst umweltfreundliche Rohstoffe und auf die Verpackung. „Die Flasche ist jetzt bis auf den Verschluss zu 100 Prozent aus Recycling-Material und wir konnten die Füllmenge erhöhen, ohne die Flasche zu vergrößern.“
dm ging bei den individuellen Optimierungen bewusst radikal vor. Die Herausforderung bleibt laut eigener Aussage aber stets, die umweltneutralen Drogerieprodukte dennoch erschwinglich zu halten.
3. Verbleibende Auswirkungen verursachungsgerecht kompensieren
Trotz der Reduktion von Verpackungen und Inhaltsstoffen bleiben unvermeidbare Umweltauswirkungen übrig. Hier kommt der zweite Projektpartner von dm ins Spiel: Die HeimatERBE GmbH mit ihrem Geschäftsführenden Gesellschafter Dr. Dirk C. Gratzel. Gemeinsam mit dem Unternehmen kompensiert dm die noch verbleibenden Umweltauswirkungen seiner Produkte verursachungsgerecht.
Dazu werden die Umweltauswirkungen in allen fünf Kategorien berechnet und je Produkt eins zu eins in Umweltkosten umgerechnet. Die Berechnungsmethode folgt unter anderem dem etablierten und strengen Methodenstandard des Umweltbundesamtes zur Ermittlung von Umweltkosten.
Der errechnete Geldbetrag fließt in die ökologische Aufwertung degradierter Flächen in Deutschland wie ehemalige Bergbau- und Montanindustriegebiete. Dabei werden Flächen renaturiert und nach intensiver Planung ökologisch bestmöglich aufgewertet, d.h. HeimatERBE fördert zum Beispiel neue nährstoffarme Offenlandschaften und bewirtschaftungsfreie Naturwälder. Langfristig entstehen dadurch neue, ökologisch wertvolle Biotope, die Biodiversität fördern und – etwa mit ihren Pufferfunktionen für das Mikroklima – auch zu unserer Gesundheit beitragen.
„Die Aufwertung der Flächen ist vielschichtig, denn nicht alle Flächen haben die gleichen Probleme oder Altlasten“, erklärt Dr. Dirk C. Gratzel. „Wir schaffen auf den Gebieten Offenlandschaften, Wälder, Streuobstwiesen und andere Biotope. Und das auf lange Sicht. Denn bis die Biotope ihr volles ökologisches Potenzial erreichen, können bis zu 150 Jahre vergehen.“
Dabei ist es ökologisch weder möglich noch sinnvoll, für die fünf definierten Wirkungskategorien einen unmittelbaren stofflichen Ausgleich für die Umweltschäden vorzunehmen. Der Eins-zu-eins-Ausgleich entsteht durch die verursachungsgerechte Umrechnung der Umweltschäden in Umweltkosten und deren zielgerichtete Investitionen.
Die Versauerung zum Beispiel verändert den ph-Wert in den Böden und Gewässern und kann vor allem in empfindlichen Biotopen zu massiven Schäden führen. „Ich kann aber deshalb nicht sagen: Ich habe fünf Tonnen Schwefeldioxid emittiert und verteile jetzt also das Äquivalent Kalk in entsprechender Menge in der Natur und gleiche mich auf diese Weise aus. Ökologisch wäre das Unfug“, weiß Gratzel. „Deswegen mussten wir uns für einen anderen Ansatz entscheiden, also nicht den stofflichen Austausch bei jeder Wirkungskategorie versuchen, sondern die Wirkungen ganzheitlich betrachten, monetarisieren und in Umweltkosten umrechnen.“
Auf der einen Seite stehen damit die Umweltauswirkungen der Produkte, auf der anderen Seite in gleicher Qualität und Quantität der ökologische Mehrwert auf den renaturierten Flächen. Damit wird zum ersten Mal umfassend und ursachengerecht kompensiert.
„Dieser ganzheitliche Ansatz ist einzigartig, umfassend und für ein Unternehmen deutlich teurer als die reine CO2-Kompensation“, erklärt Gratzel. „Zum ersten Mal überhaupt lösen wir damit ein mehrdimensionales Umweltproblem auch mehrdimensional: Wir haben auf diese Weise beim Kauf eines umweltneutralen Produkts die entstandenen Umweltschäden bereits ausgeglichen – und lassen nicht erst spätere Generationen den Preis für die Umweltkosten bezahlen.“ Auch das ifeu (Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH) habe diesen Ansatz begutachtet und gelobt.
13 umweltneutrale Produkte – und noch große Ziele
Zum Verkaufsstart Anfang April kommen 13 umweltneutrale Produkte der dm-Marken in die Märkte. Mit dabei: Die alverde NATURKOSMETIK Pro Climate 24h Gesichtspflege, das SUNDANCE Pro Climate Sonnenfluid, Sanft & Sicher Pro Climate Toilettenpapier und das Denkmit Pro Climate Colorwaschmittel Konzentrat.
Wenn diese Produkte bei den Kund:innen erfolgreich sind, sollen noch weitere folgen. „Mit dem Launch im April ist das Projekt keinesfalls abgeschlossen“, so Adrian Martin. „Wir verstehen es vielmehr als ein nie endendes Vorhaben und haben das auch von Anfang an so kommuniziert. Wir wollen hier auch weiterhin in den Dialog mit Experten und unseren Kunden treten, denn wir verstehen das Projekt auch als eine Art Bildungsauftrag hin zu klima- und umweltfreundlicherem Handeln.“
Hier geht’s zu den umweltneutralen Produkten von dm
*Kompensation von CO2-Emissionen, Eutrophierung, Versauerung, Sommersmog, Ozonabbau
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