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Umweltexperte Grießhammer: „Wir können nur hoffen, wenn wir handeln“

Changemaker Podcast Rainer Grießhammer
Foto © Rainer Grießhammer / mt

Dr. Rainer Grießhammer setzt sich seit Jahrzehnten als Wissenschaftler für Umwelt- und Klimaschutz ein. In seinem neuen Buch entwirft er für das Jahr 2037 eine Zukunft zwischen Realität und Hoffnung. Utopia hat mit ihm im Changemaker Podcast gesprochen.

Utopia: „Alles wird gut, nur anders“. Der Titel Ihres Buchs klingt hoffnungsvoll …

Dr. Rainer Grießhammer: Ja, ich hab mir einfach noch erlaubt, Utopien zu haben, mir schönere Zeiten vorzustellen. Das Buch handelt von den großen Themen Klimaschutz, Energiewende, Digitalisierung und soziale Gerechtigkeit. Aber auch vom Alltag, heute und im Jahr 2037. Und vor allem darum, wie man das jeweils beeinflussen kann, die Politik, den Alltag und das eigene Handeln.
 
2037 liegt in der Zukunft, aber nicht sehr weit. Warum haben Sie dieses Jahr für Ihr Buch gewählt?

Die meisten Klimaszenarien erstrecken sich bis zum Jahr 2050. Da wir uns derzeit im Jahr 2024 befinden, liegt das Jahr 2037 genau in der Mitte dieses Zeitraums. In Anbetracht dessen habe ich versucht, die Ereignisse für diesen Zeitraum halbwegs plausibel vorherzusagen. Dazu habe ich umfangreich recherchiert und basierend auf meinen eigenen Erfahrungen in den Bereichen Technologie, Politik und Konsum versucht einzuschätzen, ob diese Entwicklungen eintreten werden.

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„Wir hätten bereits vor zehn oder zwanzig Jahren mehr tun können und müssen“

Sie scheinen Geduld für gesellschaftliche Veränderungen entwickelt zu haben. Wie passt das mit den wissenschaftlich gestützten Befunden zusammen, dass wir aktuell nur noch ein sehr kleines Zeitfenster haben, um die negativen Folgen der Klimaerwärmung möglichst kleinzuhalten?

Das passt erst mal gar nicht zusammen. Das Hauptproblem beim Klimaschutz liegt darin, dass wir bereits vor zehn oder zwanzig Jahren mehr hätten tun können und müssen. Deshalb erleben wir bereits eine deutliche Erwärmung des Klimas. Diese wird bereits jetzt oder in den kommenden Jahren Auswirkungen haben, gegen die wir nichts mehr tun können.

Es drohen bedeutende Wendepunkte, wie das Abschmelzen des Grönlandgletschers oder das Stillstehen des Golfstroms. Um dies zu verhindern, müssen wir weiterhin gegen jeden Zehntelgrad Erwärmung kämpfen.

In meinem Buch habe ich immer wieder beschrieben, wie erfolgreich wir in vielen Bereichen waren, wenn wir tatsächlich gehandelt haben. Wir können nur hoffen, wenn wir handeln.

Was hat Sie dazu gebracht, sich für Umwelt- und Klimaschutz zu engagieren? Gab es einen entscheidenden Moment?

Ja, schon als Schüler hatte ich ein großes Interesse an Naturwissenschaften. Später habe ich dann Chemie studiert. Aber der eigentliche Auslöser war ein Erlebnis aus meiner Kindheit. Ich habe immer im Wald gespielt und plötzlich wurde dort ein Wohngebiet errichtet. Das hat mich damals sehr empört.

Später, als ich in einem Vorort von Lörrach aufgewachsen bin, gab es dort eine sehr schlechte Verkehrsverbindung. Aus diesem Grund haben wir eine Bürgerinitiative gegründet. So hat sich mein Engagement langsam entwickelt.

Sie haben auch die Energiewende über Jahrzehnte aktiv mitgestaltet. Ist sie heute ein Erfolgsmodell?

Die Energiewende ist heute noch nicht das Erfolgsmodell, das sie sein könnte, aber sie ist auf dem Weg dahin. Vor 30 Jahren behaupteten Energieversorger, dass erneuerbare Energien nie mehr als 4 Prozent zur Stromerzeugung beitragen könnten. Gleichzeitig wurde davon abgeraten, die Atomkraft aufzugeben. Heute haben wir Atomkraft hinter uns gelassen und erneuerbare Energien machen mehr als 50 Prozent aus. Und es wird auch weitergehen.

„Die heutige und zukünftige Generation hat ein doppeltes Problem“

Sie behandeln im Buch auch den Generationenkonflikt in Bezug auf die Umwelt- und Klimakrise. Wie hat dieser sich über die Jahre verändert?

Früher war die Umweltbelastung akut spürbar. Man konnte sie sehen, riechen und schmecken. Deshalb war es damals relativ einfach, Menschen mit Büchern zu motivieren, ihr Verhalten zu ändern. In den 1980er-Jahren gab es eine große Veränderung in der Bevölkerung

Heute erleben wir eine schleichende Großkrise mit dem Klimawandel und der Klimaerhitzung. In den letzten Jahren haben wir wie schon gesagt bereits erste Auswirkungen wie Dürren und Überschwemmungen gespürt. Die schwerwiegenden Folgen werden jedoch erst eintreten, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Die heutige und zukünftige Generation hat daher ein doppeltes Problem. Sie wird eine viel heftigere Zukunft erleben, kann diese aber nicht so plastisch vermitteln wie damals. Prognosen über die kommenden Jahre sind schwer zu kommunizieren, aber sie werden leider eintreten.

Deshalb gibt es im Buch einen großen Generationenkonflikt und Auseinandersetzungen. Die jüngere Generation fragt, warum die Älteren damals nicht mehr getan haben. Die Älteren sagen, dass sie damals viel getan haben, aber aufgrund großer Widerstände nicht mehr tun konnten. Im Buch gründet der Protagonist Paul ein Klimatribunal, in dem Energieversorger, Politik und Verbraucher angeklagt werden, weil sie sich falsch verhalten haben und Energieversorger sogar gezielt Fake News verbreitet haben.

Wer trägt die Verantwortung für das Erreichen oder Nicht-Erreichen der Klimaziele? In letzter Zeit wird vermehrt gefordert, dass vor allem Strukturen und Gesetze geändert werden müssen. Gleichzeitig wird der Versuch, individuelles Verhalten zu ändern, abgewertet. Der Weltklimarat sagt ebenfalls, dass individuelle Verhaltensänderungen allein nicht ausreichen, um den Klimawandel einzudämmen, es sei denn, sie sind in einen strukturellen und kulturellen Wandel eingebettet

Es ist kurios, dass seit 40, 50 Jahren immer wieder diskutiert wird, ob man das Verhalten oder die Verhältnisse ändern sollte. Im Buch wird deutlich, dass beides notwendig ist.

In den 1980er-Jahren gab es viele Umweltgesetze, weil die Umweltbewegung stark war und sich anders verhalten wollte. Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach besseren Radwegen in der Stadt. Wenn viele Menschen Rad fahren wollen, werden Politiker eher bereit sein, die Infrastruktur zu verbessern.

Die Bürger haben verschiedene Rollen: Sie sind Konsumenten, aber auch Wähler und sie können sich in Initiativen oder Vereinen engagieren. Es ist wichtig, dass sich die Verhältnisse ändern, wenn viele Menschen ihr Verhalten ändern wollen. Umgekehrt wird es leichter sein, das Verhalten zu ändern, wenn es bessere Gesetze gibt. Es wird jedoch oft unterschätzt, dass Einzelne direkte Einflussmöglichkeiten haben.

Die Politik gibt vor, dass es in Zukunft nur noch Elektroautos geben wird, aber nicht, wie groß sie sein dürfen oder wie viel man fahren darf. Beim Thema Sanierung von Häusern gibt die Politik vor, dass es gemacht werden muss, aber nicht, wie groß die Wohnungen sein dürfen. Glücklicherweise greift die Politik in solche persönlichen Entscheidungen nicht ein.

In „Alles wird gut – nur anders“
blickt Rainer Grießhammer zurück auf die Veränderungen, die er mit deinem Engagement für Umwelt- und Klimaschutz selbst mit angestoßen hat. In einer originellen Mischung aus Fiktion und Realität wirft der Autor auch einen Blick nach vorn und fragt, welche Zukunft wir eigentlich wollen und wie wir uns dafür engagieren können.

Dr. Rainer Grießhammer hat das Öko-Institut in Freiburg über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren geprägt. Sein Buch „Der Öko-Knigge“ wurde in den 1980ern zum Bestseller.

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