Die beste Szene von „Avatar 2“ muss uns endlich wachrütteln! Von Benjamin Hecht Kategorien: Gesellschaft Stand: 27. Januar 2023, 13:40 Uhr Foto: © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved. „Avatar: The Way of Water“ ist wie sein Vorgänger eine Anklage gegen Umweltzerstörung und Kolonialismus. Viel verändert hat sich gegenüber Teil 1 nicht. Aber: Die beste Szene des Blockbusters weist eindrucksvoll auf einen brutalen Missstand hin. Eine Filmkritik von Benjamin Hecht. Auch wenn das Umweltbewusstsein aufgrund der Klimakrise zuletzt deutlich gestiegen ist, haben brennende Urwälder und kapitalistischer Raubbau im Blockbuster-Kino Seltenheitswert. Nicht so bei James Cameron: Der Regisseur von „Terminator 2“ und „Titanic“ hat mit „Avatar“ 2009 ein bildgewaltiges Plädoyer für einen nachhaltigeren Umgang mit der Natur ins Kino gebracht und damit den bis heute erfolgreichsten Film aller Zeiten geschaffen. 13 Jahre lang hat es gedauert, bis die Fortsetzung fertig wurde: „Avatar 2: The Way of Water“ läuft seit vergangenem Dezember in den deutschen Kinos. Wie von Visionär Cameron zu erwarten, ist der über drei Stunden lange Sci-Fi-Epos ein weiterer technischer Meilenstein. Thematisch und inhaltlich hingegen tritt „Avatar 2“ auf der Stelle. Dennoch liefert das Weltraumspektakel zumindest einen Denkanstoß, der uns endlich mal wachrütteln sollte. Wichtiger Hinweis vorab: Ein vielfach geteilter Boykottaufruf in den Sozialen Medien, der von einer indigenen Nordamerikanerin verfasst wurde, beschuldigt „Avatar 2“ des Rassismus und der kulturellen Aneignung. Sicher steckt dahinter keine böse Absicht der Filmemacher:innen, doch die Vorwürfe sind durchaus nachvollziehbar. In der folgenden Kritik werden die Anschuldigungen nicht thematisiert, für eine umfassendere Einschätzung des Films sollten sie aber mit berücksichtigt werden. Darum geht’s in „Avatar: The Way of Water“ Die Geschichte von „Avatar 2“ folgt erneut dem einstigen Menschen Jake Sully (Sam Worthington), dessen Bewusstsein im ersten Teil in den Körper eines Na’vi, eines Ureinwohners des Mondes Pandora, übertragen wurde. Er sollte die Eingeborenen davon überzeugen, ihre Heimat aufzugeben, sodass die Menschen ihren Rohstoff plündern konnten. Doch Jake verliebte sich in die Na’vi Neytiri (Zoe Saldana), wechselte die Fronten und besiegte die Invasor:innen. Etwa eineinhalb Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Jake und Neytiri lebten nach dem Sieg über die Menschen in Frieden, gründeten eine Familie, zeugten drei Kinder und nahmen eine Adoptivtochter auf. Doch als die Kolonisator:innen zurückkehren und Pandora erneut in Flammen aufgeht, flüchten die Sullys zu einer fernen Inselgruppe und finden Zuflucht bei einem Wasserstamm der Na’vi. Nun gilt es, deren Bräuche zu lernen und sich im neuen Umfeld zurechtzufinden. Doch der fiese Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang), der lange besiegt schien, hat nun seinen eigenen Avatar-Körper und lässt nicht locker, bis er Jake Sully erledigt hat. „Avatar 2“: Dieses Sci-Fi-Abenteuer muss man im Kino sehen! Eines sollte klar sein: „Avatar: The Way of Water“ ist ein Film, der für die große Leinwand gemacht wurde. Er lädt dazu ein, sich in seiner gigantischen, fantastisch gestalteten Welt zu verlieren und die technischen Errungenschaften zu bestaunen, die mit einem geschätzten Budget von 350 bis 400 Millionen US-Dollar und über einem Jahrzehnt Arbeit entstanden sind. Jede Einstellung von „Avatar: The Way of Water“ ist ein Augenschmauß. (Foto: © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.) James Cameron beweist zudem erneut, dass er einer der wenigen Regisseure ist, der mit 3D umzugehen weiß. Anders als bei vielen seiner Nachahmer:innen sorgt die dritte Dimension hier tatsächlich für eine immersivere Erfahrung. Wer das Sci-Fi-Epos sehen will, sollte also nicht auf den Heimkino- oder Streaming-Release warten. „Avatar 2“ entfaltet nur im Kino und in 3D seine volle Macht. Audiovisuell erwartet euch eines der größten Spektakel der Filmgeschichte. Schwächelndes Drehbuch Erzählerisch hingegen ist „Avatar: The Way of Water“ eher Mittelmaß. Vieles erinnert an den Vorgänger: So war es einst der Mensch Jake Sully, der von den Na’vi im Wald aufgenommen wurde und sich dort deren Art zu leben aneignete. Nun ist es die gesamte Familie, die bei einem neuen Stamm das gleiche Prozedere durchmacht. Der Bösewicht hat zwar einen neuen Körper, ist aber derselbe. Thematisch heißt es immer noch Mensch gegen Na’vi, Technik gegen Natur, Ausbeutung gegen Symbiose. Dass solche Themen durch die „Avatar“-Filme im Blockbuster-Kino eine Plattform finden, ist großartig. Allerdings scheint James Cameron seine Ideen von 2009 zumindest inhaltlich nicht weiterentwickelt zu haben. Die Welt des Hollywood-Visionärs wird noch immer von einem allzu krassen Schwarz-Weiß-Denken beherrscht. Die Menschen in „Avatar 2“ sind schlichtweg böse, deren Motivationen nie greifbar. Fast schon Umwelt-Propaganda Die Regie von „Avatar 2“ lenkt unsere Emotionen sehr gezielt und erstickt mit der Macht spektakulärer Actionsequenzen und Bilderwelten fast jeglichen Freiraum für eigene Gedanken. Cameron übernimmt teilweise sogar die Ästhetik und Figurenschablonen patriotischer US-Kriegsfilme, kehrt aber die Perspektive um und legt seinen Schwerpunkt auf die Unterdrückten. Das kann man als smarten Kniff bezeichnen, lässt „Avatar 2“ aber genauso plump und oberflächlich wirken. Miles Quaritch, der Schurke von „Avatar 2“, ist ein militaristischer Hurra-Patriotist. Ein Stereotyp, den man sie aus vielen US-Kriegsfilmen kennt. (Foto: © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.) Zwar gibt es sie: diese Menschen, deren Profitgier keinerlei moralische Grenzen kennt – man sehe sich nur mal an, was unter der Regierung von Jair Bolsonaro mit dem Amazonas-Regenwald gemacht wurde –, doch die allzu einfache Gut-Böse-Einteilung entmündigt das Kinopublikum und hält es davon ab, sich sein eigenes Urteil über die jeweiligen Akteur:innen zu bilden. Filme, die ähnliche Konflikte deutlich nuancierter behandeln, sind etwa „Planet der Affen: Revolution“ oder „Prinzessin Mononoke“. Bei beiden entwickelt sich ebenfalls eine Gewaltspirale, die im Krieg mündet. Da es jedoch auf beiden Seiten jeweils produktive und destruktive Kräfte gibt, ist das Geschehen umso mitreißender und vielschichtiger. Die beste Szene in „Avatar: The Way of Water“ Es gibt eine kleine Nebenfigur in „Avatar: 2“, die den eben genannten Kritikpunkt etwas aufweicht: Dr. Ian Garvin (Jemaine Clement) ist Biologe und dient als wissenschaftlicher Berater eines skrupellosen Walfängers. In seinem Gesicht und seinen Dialogen zeigt sich, dass er sich selbst für seinen Job verabscheut. Er ist fasziniert von den Wesen, an deren brutaler Tötung er aber aktiv mitwirkt. Seine Motivation ist unklar, doch die Tatsache, dass sich seine Werte und seine Taten offensichtlich widersprechen, sorgt für ein intensives Spannungsfeld und für die einzigen Momente, in denen „Avatar: The Way of Water“ seine Zuschauer:innen zum Nachdenken anregt. Besonders stark ist die Szene (Vorsicht, leichter Spoiler), in der Dr. Garvin erklärt, dass die Tulkun (so der Name der walähnlichen Spezies auf Pandora) intelligenter sind als Menschen und sogar über komplexere Emotionen verfügen. Während er seine Bewunderung vor den majestätischen Wesen äußert, wird gerade auf sehr widerliche Weise die Hirnflüssigkeit eines toten Tulkuns extrahiert, bei dessen Erlegung er gerade erst mitgeholfen hat. In einem Film voller reizüberflutendem Bombast ist es ausgerechnet diese kleine, weil so widersprüchliche Szene, die den größten Effekt erzielt. „Avatar 2“ veranschaulicht den menschlichen Terror an Tieren Denn hier wird die perverse Paradoxität der menschlichen Natur zum Ausdruck gebracht: Einerseits sind wir vernunftbegabte Wesen mit der Fähigkeit, moralische Entscheidungen zu treffen. Andererseits zeigen unsere Taten, dass wir oft nicht in der Lage sind, moralisch vernünftig zu handeln – gerade dann, wenn es um andere Spezies geht. Das Schicksal der Tulkun dient deshalb nicht nur als Walfang-Parabel, sondern weißt auf ein viel tiefer liegendes Problem hin: Die Wissenschaft hat bei vielen Tieren längst festgestellt, dass sie zu einer großen Bandbreite an Emotionen fähig sind und in sozial komplexen Strukturen leben – und trotzdem beuten wir sie aus. Die walähnlichen Tulkun in „Avatar 2“ sind einfühlsame, intelligente und pazifistische Riesen. (Foto: © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.) Schweine in etwa haben ähnliche kognitive Fähigkeiten wie kleine Kinder, sie besitzen ein Selbstbewusstsein, entwickeln Vorlieben und Abneigungen, lieben kreatives Spielen und zeigen Empathie (Quelle). Doch wie gehen wir mit ihnen um? Wir zwängen Sie millionenfach in enge, kalte Fabrikhallen, lassen sie in ihrem eigenen Kot und Urin dahinsiechen, schlachten sie brutal ab und danach landen sie auf unseren Tellern. Fleischkonsum an sich ist bereits mehr als fragwürdig, wenn das eigene Überleben nicht davon abhängt. Doch ein Großteil der weltweit produzierten Schlachtprodukte kommt auch noch aus widerwärtiger Massentierhaltung, die wirklich mit nichts auf der Welt zu rechtfertigen ist. Es wird Zeit, dass dieser Wahnsinn endlich aufhört! „Avatar 2“ zeigt, dass wir Menschen wohl selbst dann noch eine Art ausbeuten würden, wenn wir wüssten, dass deren emotionale Fähigkeiten höher sind als unsere eigenen, und weist somit auf einen der größten Missstände der realen Welt hin. Deshalb, aber vor allem wegen den atemberaubenden Aufnahmen, die so echt wirken, als wäre James Cameron persönlich nach Pandora geflogen, um sie aufzunehmen, ist das Sci-Fi-Abenteuer einer der besseren Blockbuster des Kinojahres – auch wenn er seine Kernthemen teils zu oberflächlich behandelt. ** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos. 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