Bicycle Mayor: Was kann das ungewöhnliche Ehrenamt tatsächlich bewirken?

Gabriele Fröhlich: ehrenamtliche Fahrradbeauftragte und Bicycle Mayor der Stadt Mannheim
Foto: Stadt Mannheim

Radfahren ist gesund und klimafreundlich. In vielen Städten allerdings ist es auch gefährlich. Sogenannte Bicycle Mayors, Fahrradbürgermeister:innen, sollen den Radverkehr sicherer und sichtbarer machen. Utopia.de hat bei der Fahrradbürgermeisterin von Mannheim nachgefragt, wie.

Mangelhafte Radwege, unübersichtliche Kreuzungen, fehlende Parkplätze – der Fahrradverkehr hat in vielen deutschen Städten mit Hindernissen zu kämpfen. Können Bicycle Mayors daran etwas ändern?

Bicycle Mayor: Was tun Fahrradbürgermeister:innen?

Ein sogenannter Bicycle Mayor (auf Deutsch: Fahrradbürgermeister:in) ist ein Ehrenamt – und kein offizielles Amt der Stadtverwaltung. Die Idee der Fahrradbürgermeister:innen wurde in den Niederlanden von den sogenannten Night Mayors (Nachtbürgermeister:innen) inspiriert, die sich um alle Belange des Nachtlebens einer Stadt kümmern.

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Der erste Bicycle Mayor trat sein Amt 2016 in Amsterdam an. Ernannt wurde er vom Bicycle Mayor Network (BYCS). Das Netzwerk hat seinen Sitz in Amsterdam und ist eine weltweit vertretene NGO, die die Entwicklung des Radfahrens in Städten beschleunigen will.

Weltweit gibt es mehr als hundert Bicycle Mayors in über hundert Städten und 34 Ländern, zum Beispiel in Buenos Aires, Kapstadt und Neu Delhi. In Deutschland haben genau vier Personen das Amt inne – in Köln, Mannheim, München und Witten. Laut BYCS werden Bicycle Mayor für eine Amtszeit von zwei Jahren ernannt, mit der Möglichkeit auf eine erneute Ernennung.

Wie Mannheims Bicycle Mayor das Radfahren sicherer machen will

In Mannheim trat Gabriele Fröhlich ihren Posten als Fahrradbürgermeisterin im Frühjahr 2025 an. Die passionierte Radfahrerin ist seit 2024 auch die erste ehrenamtliche Fahrradbeauftragte der Stadt. Utopia.de hat bei ihr nachgefragt, was sie als Bicycle Mayor bislang erreichen konnte, welche Ziele sie hat und wo ihr Ehrenamt an Grenzen stößt.

Utopia.de: Frau Fröhlich, seit wann fahren Sie regelmäßig Fahrrad?

Gabriele Fröhlich: Seit ich ein kleines Mädchen war, wobei ich zuerst – wie damals üblich – einen Puky Roller gefahren bin. Seitdem fahre ich immer und überall Fahrrad. Ich liebe es, eine neue Stadt auf dem Rad zu erkunden und habe das schon in Kopenhagen, Paris und Abu Dhabi ausprobiert.

Bicycle Mayor Gabriele Fröhlich bei einer Plakataktion für Fahrradstraßen
Foto: © Stadt Mannheim

Gabriele Fröhlich

leitete die Führungskräftefortbildung für Beamt:innen des Landes Baden-Württemberg. Als frisch gebackene Rentnerin wurde sie zur ersten ehrenamtlichen Fahrradbeauftragten der Stadt Mannheim benannt und kurz darauf Bicycle Mayor von Mannheim. Die begeisterte Radfahrerin hat viele Pläne, um den Radverkehr in der Stadt sicherer zu gestalten.

Wie sind Sie zur ersten Fahrradbeauftragte der Stadt Mannheim geworden?

Ich ging in Rente und mir fiel die Ausschreibung der ehrenamtlichen Fahrradbeauftragten in die Hände. Ich dachte: Wow, Fahrrad fahre ich super gerne und mich ehrenamtlich zu engagieren finde ich sehr gut. Deshalb habe ich mich beworben und wurde letztlich durch den Gemeinderat ernannt.

Später wünschte sich die Stadt Mannheim von Ihnen, dass Sie dem Bicycle Mayor Netzwerk beitreten und sich als Bicycle Mayor bewerben?

Ja. Die Bewerbung hatte es in sich! Ich brauchte unter anderem drei Empfehlungen, die mich für dieses Amt vorschlagen. Das Bicycle Mayor Netzwerk hat Interviews mit mir geführt, um mir auf den Zahn zu fühlen, ob ich wirklich unabhängig arbeite.

Fällt es Ihnen schwer, dem doppelten Ehrenamt von Fahrradbürgermeisterin und Fahrradbeauftragter gerecht zu werden?

Ich bin als ehrenamtliche Fahrradbeauftragte der Stadt Mannheim nicht weisungsgebunden, komme aber schnell in die Kanäle der Stadt, wenn ich etwas recherchieren möchte. Als Bicycle Mayor komme ich gleichzeitig an Infos aus dem großen Netzwerk, beispielsweise gibt es einen monatlichen Call für Europa. In der Doppelrolle kann ich von beiden Seiten profitieren.

Einsatz für Radsicherheit, Fahrradkurse und Reparaturwerkstatt

Was sind die wichtigsten Aufgaben im Amt der Fahrradbürgermeisterin?

Das Hauptthema ist, sich für die Sicherheit im Radverkehr einzusetzen. Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit alle fahrradaktiven Gruppen angeschrieben und angeboten mich bei einem Treffen vor Ort vorzustellen. Das habe ich auch konsequent umgesetzt. Neue Initiativen in jungen und älteren Stadtteilen schreiben mich an und laden mich zu vor Ort Terminen ein, um mich auf besondere Problemstellen hinzuweisen. Mit den Radplanern suche ich dann nach Lösungsmöglichkeiten. Ein großer Teil meiner Arbeit sind die Anfragen von Radfahrenden und die Suche nach Lösungen und Verbesserungen. Kommunikation ist in jedem Fall ein Schwerpunkt meiner Arbeit.

Haben Sie konkrete Projekte geplant?

Es gibt immer mehr Ideen, als man umsetzen kann! Wir haben bereits einen stark nachgefragten zweiwöchigen Fahrradkurs für migrantische Radfahrerinnen, der zweimal im Jahr sehr günstig angeboten wird. Vom Bicycle Mayor in Witten möchte ich mir zusätzlich gerne die Idee abschauen, dass jedes Kind ein Fahrrad haben soll. Wenn Kinder neue Fahrräder bekommen, sammelt er die ausgemusterten Räder ein und verteilt sie weiter.

Saarbrücken hat eine Fahrradwerkstatt, in der Kinder lernen, ihre Fahrräder selbst zu reparieren. Und eine Einrichtung in Gent beschäftigt Menschen, die in der Stadt zurückgelassene Räder aufmöbeln und weiterverkaufen. Dazu bin ich bereits mit einer Organisation in Mannheim im Austausch. Da ich in meinem Ehrenamt alleine bin, muss ich schauen, wo man Dinge und Energien zusammenbringen kann und wo wir in Mannheim bereits Strukturen haben, die wir nutzen können.

Bicycle Mayor: im Ehrenamt öffentlichen Druck ausüben

Wie viel kann das Ehrenamt Bicycle Mayor tatsächlich bewirken? Sie können ja zum Beispiel nicht einfach eine Fahrradstraße einrichten?

Auch wenn es ein symbolisches Amt ist, kann man eine Öffentlichkeit für Themen schaffen und öffentlichen Druck ausüben. Bei schwindenden Haushaltsmitteln der Kommunen ist das ohnehin die größte Chance, die wir haben. Meine Bicycle Mayor-Kollegin in Köln nutzt zum Beispiel auch viel Instagram, um auf Aktivitäten aufmerksam zu machen.

Werden Sie als ehrenamtliche Fahrrad-Bürgermeisterin ernst genommen?

Ich traf in Mannheim auf eine große Fahrrad-Community und auf eine bereits existierende Struktur: Dreimal im Jahr trifft sich der Runde Tisch Radverkehr, an dem Gemeinderatsmitglieder, Bürgermeister, der Fachbereich Radplanung, die Fahrradaktiven und der ADFC [Anm.d.Red.: Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club] sitzen. Oft verhandeln dort 20 Personen verschiedenste Themen. Ich habe die wunderbare Aufgabe, diesen Runden Tisch zu moderieren.

Was ist Ihr bislang größter Erfolg?

Mannheim ist eine Stadt mit einem hohen Migrationsanteil und vielen Menschen, die ohne Fahrrad aufgewachsen sind. Wir starteten deshalb eine Plakataktion, um die Regeln in den Fahrradstraßen zu erklären. Wir hängten gedruckte Plakate in verschiedenen Fahrradstraßen auf. Die Aktion schaffte es sogar ins Fernsehprogramm des SWR und wird jetzt gemeinsam mit dem ADFC und der Stadtverwaltung fortgesetzt.

Außerdem schreiben wir Artikelserien, die das Thema Sicherheit im Straßenverkehr thematisieren. Dort geht es um den holländischen Griff und andere sicherheitsrelevante Themen. Diese Artikel veröffentlichen wir im Wochenblatt und senden sie an Zeitungen, in der Hoffnung, dass sie dort veröffentlicht werden.

„Ich habe mir fest vorgenommen, das Bewusstsein für einen sicheren Radverkehr zu steigern“

Im aktuellen ADFC-Fahrradklima-Test belegt Mannheim nur einen mittleren Platz und konnte sich im Vergleich zu 2022 nicht verbessern. Wie schätzen Sie die Fahrradinfrastruktur ein?

Mannheim erfüllt viele Voraussetzungen für eine Fahrradstadt: Es ist eben und hat keine großen Hügel. Doch die Stadt wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Autostadt konzipiert und man hat das Fahrrad an den Rand gedrängt. Deshalb gibt es noch viele Sünden aus dieser Zeit wie schmale Radwege, die mit einer zwei Zentimeter hohen Kante vom Fußweg getrennt sind und eine Gefahr für Radfahrer darstellen.

Es gibt noch viel zu tun, und doch wurde auch schon sehr viel umgesetzt. Ich lebe seit 1975 in Mannheim und konnte sehen, wie viel Positives verändert wurde. Dass wir uns beim Fahrradklima-Test nicht verbessern konnten, führe ich auch darauf zurück, dass es mit mehr Radfahrern mehr Probleme wie Platzmangel und fehlende Aufstellflächen gibt. Zu Recht wurde aber bemängelt, dass die Stadt es zu wenig verfolgt, wenn Autos auf den Radwegen parken.

Das ist auch in anderen Städten ein Problem. Warum kontrolliert die Stadtverwaltung falsch parkende Autos nicht stärker und verteilt Bußgelder?

Die Kollegen versicherten mir, dass sie verfolgen, was personell für sie möglich ist. Es gibt bereits punktuelle Verbesserungen. Als ich angefangen habe, kritisierten Radfahrerinnen und Radfahrer, dass Baustellenumleitungen für Radfahrer unzureichend seien. Da stand dann ein Schild und irgendwann landeten die Radfahrer im Nichts. Inzwischen funktioniert die Beschilderung deutlich besser, das Bewusstsein für solche Themen wächst,

Wenn Sie in Richtung Frühjahr 2027 blicken, wo Ihre Amtszeit als Bicycle Mayor endet, was möchten Sie bis dahin erreicht haben?

Quantifizierbarere Ziele finde ich in diesem Bereich schwierig, aber ich habe mir fest vorgenommen, das Bewusstsein für einen sicheren Radverkehr zu steigern. Und ich wünsche mir, dass ich eine der genannten Aktionen wie die Fahrradreparaturwerkstatt umsetzen kann. Man muss Gelegenheiten beim Schopf packen.

Sicherer Radverkehr: „Runder Tisch“ als großer Erfolg

Hat Mannheim bereits etwas erreicht, das sich andere Städte abschauen können?

Das Miteinander aller Beteiligten am Runden Tisch. In den ersten Sitzungen habe ich mehr parteipolitische Statements wahrgenommen, jetzt empfinde ich die Termine als lösungsorientierte gemeinsame Aussprache, bei der alle Beteiligten – auch beinharte Kritiker – überlegen, was wir rechtssicher und mit den gegebenen Mitteln umsetzen können. In den Zeiten, die auf uns zukommen, ist das konstruktive Miteinander von hohem Wert. Da ich den Runden Tisch seit anderthalb Jahren moderiere, habe ich meinen Teil dazu beigetragen.

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