Die Deutsche Bahn ist für Verspätungen berüchtigt. Was muss sich ändern, damit Züge pünktlicher werden? Ein Mitglied des Fahrgastverbandes Pro Bahn stellt verschiedene Maßnahmen vor.
Im öffentlichen Fern- und Nahverkehr ist oft mit Verspätungen zu rechnen. 2022 war zum Beispiel fast jeder zehnte Regionalzug verspätet, darüber hatte unter anderem die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Dabei galten Züge mit weniger als 6 Minuten Verzögerung in der Auswertung noch als pünktlich, Zugausfälle wurden nicht berücksichtigt.
Was muss sich ändern, um Verspätungen und Zugausfälle im Nah- und Fernverkehr zu vermeiden? Utopia hat beim Fahrgastverband Pro Bahn nachgefragt. Dieser setzt sich für die Interessen von Fahrgästen des Öffentlichen Fern- und Nahverkehr ein. Auch die Deutsche Bahn äußert sich zu geplanten Maßnahmen.
Deutsche Bahn: Die wichtigsten Gründe für Verspätungen im Nahverkehr – und Maßnahmen dagegen
Wieso kommt es im öffentlichen Nahverkehr so oft zu Verspätungen? Laut Detlef Neuß, Bundesvorsitzender bei Pro Bahn, gibt es zwei wichtige Gründe: das sanierungsbedürftige Schienennetz und den Personalmangel, der bei hohem Krankenstand häufig zu Zugausfällen führt.
Wie dagegen vorgehen? Der Experte stimmt zu, dass Strategien wie frühzeitige Bau- und Sanierungsmaßnahmen helfen können, Problemen auf den Strecken vorzubeugen. Auch können mehr Investitionen sinnvoll sein – unter anderem für Modernisierungsmaßnahmen. Zudem wären Umleitungsrouten im Ernstfall sehr sinnvoll, befindet Neuß.
Umleitungsrouten oder Überholgleise wurden dem Experten zufolge in den letzten Jahrzehnten aber zurückgebaut oder stillgelegt, unter anderem, um Sanierungskosten zu sparen. Teilweise könnten bestehende Strecken nicht für Umleitungen genutzt werden, weil es an der notwendigen Elektrifizierung fehle. „Umleitungsrouten sind also vielfach gar nicht vorhanden“, stellt er klar.
Deutsche Bahn plant große Sanierung des Streckennetzes
Die Deutsche Bahn könnte also an vielen Punkten ansetzen, um Verspätungen und Zugausfälle zu verhindern. Dass es Probleme gibt, räumt auch ein Sprecher der Deutschen Bahn gegenüber Utopia ein. Er weist zum Beispiel auf die alte und störanfällige Infrastruktur hin, auch gebe es aufgestaute Investitionen. Aktuell sei das Schienennetz „den stetig wachsenden Verkehrsmengen auf vielen Strecken nicht gewachsen“. Deshalb plane die Bahn, das Schienennetz zu erneuern und zu modernisieren.
Die Generalsanierung soll laut aktuellen Plänen rund 40 Streckenabschnitte mit 4200 Streckenkilometer betreffen. Auf diesen verkehren sowohl Nah- als auch Fernverkehrszüge. Dabei wolle man laut Sprecher Maßnahmen bündeln, damit Strecken nur einmal gesperrt werden müssen – danach sollen sie leistungsfähiger und „für Jahre frei von Baustellen“ sein. Auch Umleitungsstrecken würden ertüchtigt, zum Beispiel auf der Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim. Der Fahrgastverein Pro Bahn begrüßt die Generalsanierung, welche „längst überfällig“ war – allerdings nicht vor 2030 abgeschlossen sein wird.
Die Deutsche Bahn plant außerdem, 2023 rund 25.000 Beschäftigte neu einzustellen. Schon 2022 hat der Konzern rund 28.000 neue Angestellte gewonnen. Allerdings gingen auch viele Beschäftigte in den Ruhestand oder verließen das Unternehmen – laut Wirtschaftswoche wuchs die Zahl der Mitarbeiter:innen im Vergleich zum Vorjahr nur um rund 5.000.
Ausbildung vereinfachen? Wetterchaos vorbeugen? Wo die Bahn noch nachbessern kann
Wie kann man mehr Fachkräfte für den Nah- und Fernverkehr gewinnen? Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen forderte vor kurzem, die Ausbildung für Fahrer:innen zu vereinfachen, darüber hatte Zeit Online berichtet. Dies sieht Neuß kritisch: „Fahrzeug-, Strecken- und Tarifkenntnisse müssen lückenlos vorhanden sein“, mahnt er.
Der Experte sieht anderweitig Potenzial. Früher gab es im Fall von Beeinträchtigungen durch Schnee zum Beispiel mehr Räumfahrzeuge. „Da sollte man wieder mehr Kapazität schaffen“, findet Neuß.
Noch häufiger werde der Bahnverkehr durch Stürme beeinträchtigt. Ein Bahnsprecher verweist darauf, dass die Bahn seit 2018 die Vegetation entlang der Gleise besser kontrolliere, dadurch seien sturmbedingte Schäden an Gleisen und Oberleitungen um ein Viertel zurückgegangen.
Tatsächlich hat die Bahn 2021 eine Resilienz-Strategie entwickelt, mit der sie sich auf künftige Witterungsextreme vorbereiten will. Zum Beispiel sollen Stellwerkstechnik und Energieanlagen klimafest werden und Sensoren sollen Anlagentemperaturen und Umgebungsbedingungen erfassen. Die Maßnahmen basieren auf einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
Neuß von Pro Bahn weist darauf hin, dass es entlang der Bahnstrecken viele kommunale und private Grundstücke gibt. Hier könne die Bahn keinen direkten Einfluss auf den Grünschnitt nehmen, dieser müsse von Eigentümern zur Verkehrssicherung vorgenommen werden. Die DB Netz AG könne Besitzer:innen nur dazu auffordern oder klagen. Dies zu ändern, sei Aufgabe des Gesetzgebers.
Neue Züge für mehr Pünktlichkeit?
Die Deutsche Bahn investiert derzeit stark in neue Züge. Bis 2029 sollen beispielsweise zehn Milliarden Euro in neue Fernverkehrszüge investiert werden. „Neue Züge sind komfortabler, weniger störanfällig und pünktlicher“, erklärt ein Bahnsprecher. Ältere Modelle dagegen seien schwerer instand zu halten.
Pro-Bahn-Experte Neuß ist der Meinung, dass neuere Züge nur bedingt dazu beitragen können, Verspätungen und Zugausfällen vorzubeugen. Wichtiger sei die regelmäßige Wartung der Fahrzeuge. „Ein ausreichender Fahrzeugpool zum Ausgleich bei Fahrzeugstörungen könnte viele Verspätungen und vor allem Zugausfälle verhindern“, so der Experte.
Im Nahverkehr ist nicht die Deutsche Bahn dafür zuständig, dass genügend Fahrzeuge zur Verfügung stehen, sondern kommunale Aufgabenträger. Zu diesen zählen Verkehrsverbünde, in denen sich Kommunen zusammengeschlossen haben – beispielsweise der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (kurz VRR, in Nordrhein-Westfalen) und der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (kurz MVV in Bayern). Teilweise würden die Verbünde nicht genügend Fahrzeuge bestellen, kritisiert Neuß. Die Wartung bestehender Züge sei teuer und liege nicht bei den Verbünden, sondern bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen.
Im Nahverkehr kann auch die Aufgabe, Züge zu fahren oder Strecken zu betreiben an andere Unternehmen als die Deutsche Bahn übertragen werden. Zu anderen Anbietern zählt unter anderem die NordWestBahn, welche Haupt- und Nebenstrecken in Nordwest- und Westdeutschland betreibt. Neuß schlägt einen gemeinsamen, von den Aufgabenträgern finanzierten Fahrzeugpool vor, den unterschiedliche Eisenbahnverkehrsunternehmen nutzen können. So stünden bei Ausfällen mehr Fahrzeuge zur Verfügung. Auch die Wartung solle bei den Verkehrsverbünden liegen, um die Eisenbahnverkehrsunternehmen zu entlasten.
Diese Lösung wird zum Beispiel schon in Nordrhein-Westfalen umgesetzt: Die Fahrzeuge des Rhein-Ruhr-Xpress (RRX) gehören den Aufgabenträgern, darunter der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Die Verkehrsunternehmen stellen nur das Personal.
Fernverkehr: Lässt sich kritische Infrastruktur besser schützen?
Auch der Fernverkehr ist anfällig für Verspätungen. 2022 kamen beispielsweise laut Aussage der Deutschen Bahn nur zwei Drittel aller ICE- und IC-Züge pünktlich an ihr Ziel – jeder dritte Zug war also verspätet. Störungen können verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel Baustellen oder eine alte Infrastruktur. Im Oktober 2022 wurde eine besonders weitreichende Störung dadurch ausgelöst, dass Unbekannte wichtige Glasfaserkabel durchtrennten. Der Zugverkehr in Norddeutschland wurde dadurch stundenlang lahmgelegt. Ließe sich kritische Infrastruktur besser schützen?
Die Deutsche Bahn betont, dass sie ihr vorhandenes Streckenschutzkonzept kontinuierlich weiterentwickle. Gemeinsam mit der Bundespolizei arbeite man verstärkt an technischen Lösungen, um die Sicherheit weiter zu erhöhen. Doch: „Das Streckennetz der DB ist insgesamt 34.000 Kilometer lang und lässt sich mit seinen 2.600 Stellwerken und mehr als 65.000 Weichen nicht flächendeckend und lückenlos überwachen.“
Experte Neuß stimmt zu, das Streckennetz komplett zu sichern wäre „nicht leistbar“. Eine verbesserte Zugangssicherung zu Stellwerken und Gebäuden, die systemrelevante Technik enthalten, wäre aber möglich und „sollte daher auch erfolgen“. Um die Pünktlichkeit im Fernverkehr zu verbessern, sieht er an ähnlichen Stellen Handlungsbedarf wie beim Nahverkehr: nämlich bei der Personalaufstockung, der Pflege und Instandhaltung sowie dem Ausbau der Schieneninfrastruktur und dem Vorantreiben der Digitalisierung des Schienenverkehrs.
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