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Facebook-Werbung: „Ich will gar nicht wissen, was in der Welt wirklich los ist“

Greenpeace Magazin: Keine Anzeige für Facebook
Grafik: © Greenpeace Magazin, Foto: CC0 / Pixabay

Falschmeldungen verbreiten sich über die sozialen Netzwerke wie Lauffeuer. Von der Realität können sich Menschen dort komplett abkoppeln – gerade bei kontroversen Themen wie dem Klimawandel. Das Greenpeace Magazin hat deshalb die aktuelle Facebook-Werbekampagne durch ein neues Motiv ergänzt.

„Zehntausende Wissenschaftler nennen den Klimawandel einen Schwindel“, titelte am 2. September 2016 die US-Website YourNewsWire.com. „Erstaunliche 30.000 Forscher haben bestätigt, dass der menschengemachte Klimawandel eine Falschmeldung ist, die von der Elite aufrechterhalten wird, um Geld zu verdienen.“

Die spektakuläre Neuigkeit wurde bei Facebook bis heute 644.000-mal geteilt. Der kanadische „DeSmogBlog“, der irreführende Informationen zum Klimawandel im Netz aufzuspürt und korrigiert, stellte im November fest, dass die Nachricht in den sechs Monaten zuvor die mit Abstand populärste Meldung zum Thema war – erst mit großem Abstand folgte auf Platz zwei ein Artikel der „Los Angeles Times“ über den Widerstand des kalifornischen Gouverneurs Jerry Brown gegen die Klimapolitik des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump.

Natürlich war die Meldung von den 30.000 Wissenschaftlern falsch. Nur am Rande erwähnte der Autor seine Quelle – eine Erklärung aus dem Jahr 1999 (!), die immer wieder mal im Internet kursiert. Längst ist bekannt, dass die „Oregon Petition“, die damals das Kyoto-Protokoll scharf kritisierte, auf einem fingierten Fachartikel basierte. Die angeblich 31.000 Unterzeichner lassen sich nicht ausreichend verifizieren, nur wenige Dutzend verfügen laut DeSmogBlog über eine relevante klimawissenschaftliche Qualifikation. Zuletzt hatte vor drei Jahren die Klimaskeptiker-Website „Natural News“ einen Artikel über die zweifelhafte Petition gebracht – aus ihm hat der Autor der YourNewsWire-Story weite Teile einfach herauskopiert.

Die „Filterblase“

Doch das Portal, das gern auch mal über Außerirdische berichtet, hatte mit der Nachricht einen Coup gelandet. YourNewsWire ist eine von zahlreichen „alternativen“ Internetseiten in den USA, die mit reißerischen Storys den Nachrichtenmarkt aufmischen. Facebook und andere soziale Netzwerke wirken dabei als Multiplikatoren: Wer sich ausschließlich über sie informiert, für den ist die ursprüngliche Quelle einer Nachricht – wie auch ihr Wahrheitsgehalt – kaum erkennbar und oft auch gar nicht wichtig.

Greenpeace Magazin: Keine Anzeige für Facebook
Keine Anzeige (© Greenpeace Magazin)

Inzwischen steht eine ganze Reihe neuer Vokabeln zur Verfügung, um die verwirrende Entwicklung zu beschreiben: „Postfaktisch“ wurde in Deutschland zum Wort des Jahres 2016 erklärt, „post-truth“ in Großbritannien. Eine Studie in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) beschrieb Anfang vergangenen Jahres, wie sich falsche Informationen und Verschwörungstheorien in den Netzwerken ausbreiten: Während Wissenschaftsnachrichten meist schnell, aber nur kurzzeitig auf Interesse stoßen, sickern Falschnachrichten langsamer durch, kursieren dafür aber länger im Netz. Innerhalb empfänglicher Nutzergruppen verstärkt sich die Wahrnehmung wirklichkeitsferner und unbestätigter Informationen auf diese Weise wie in einer „Echokammer“ oder „Filterblase“.

Fake News

Besonders häufig gibt es gefälschte Nachrichten zu komplizierten und kontroversen Themen wie Migration, Kriminalität – oder dem Klimawandel. Die Folgen hat der ehemalige US-Präsident Barack Obama am Tag nach der Wahlniederlage seiner Partei in einem Interview mit der US-Ausgabe des „Rolling Stone“ beschrieben. Er zeigte sich besorgt über die Entwicklung „weg vom kuratierten Journalismus hin zu Facebook-Seiten, auf denen ein Artikel über den Klimawandel von einem Nobelpreisträger ungefähr genauso glaubwürdig aussieht wie ein Artikel, den irgendein Typ in Unterwäsche in seinem Keller geschrieben hat, oder noch schlimmer: Wie etwas, das die Koch-Brüder geschrieben haben.“ Damit spielte Obama auf die beiden schwerreichen Industriellen an, die in den USA seit Jahrzehnten systematisch Zweifel an der Klimawissenschaft säen. Es sei eine große Herausforderung, erklärte Obama, dass sein Land Informationen inzwischen aus völlig verschiedenen Quellen beziehe. „Die Menschen sprechen nicht mehr miteinander, sie besetzen einfach ihre unterschiedlichen Sphären. Und in einer Internet-Ära, in der wir weiterhin die freie Presse wertschätzen und keine Zensur im Internet wollen, ist es schwierig, dieses Problem zu lösen.“

Spätestens seit dem Wahlsieg Donald Trumps ist der Vormarsch der Fake News eines der meistdiskutierten im Netz – und in der Politik. Der Erfolg des leidenschaftlichen Twitterers wurde offenbar maßgeblich durch tausendfach geteilte Verleumdungen seiner Konkurrentin Hillary Clinton begünstigt. Nun fordern Politiker entschiedene Schritte gegen die Desinformation, Journalisten gründen Initiativen zur Überprüfung von Fakten und einige Menschen abonnieren trotzig Tageszeitungen, um diese zu unterstützen.

Notgedrungen kündigte auch Facebook Gegenmaßnahmen an – wie genau sie aussehen werden und was sie bringen, steht noch nicht fest. Doch bereits im vergangenen Jahr startete der Internetriese mit den zunehmenden Imageproblem eine Kampagne: Nutzer erzählen in Anzeigen und TV-Spots scheinbar freimütig von ihren Sorgen, vor allem hinsichtlich der Sicherheit ihrer Daten – und Facebook präsentiert sich als verantwortungsbewusstes Unternehmen, dass seine Kunden an mögliche Kontrollmaßnahmen erinnert. Im Hintergrund aber sammelt der Internetkonzern weiter fleißig deren Daten, um sie für seine Zwecke zu nutzen.

Laptop und Computer spenden, labdoo, Tastatur
Besonders häufig gibt es gefälschte Nachrichten zu komplizierten und kontroversen Themen wie Migration, Kriminalität – oder dem Klimawandel. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay)

Mit unserer „Keine Anzeige“ nutzen wir vom Greenpeace Magazin nun die Facebook-Kampagne, um auf die unrühmliche Rolle des Netzwerks bei der Verbreitung von Fake News aufmerksam zu machen. Verzerrte Informationen und krude Theorien zum Klimawandel kursieren auch auf Deutsch im Netz – auch wenn sie hierzulande seltener auf fruchtbaren Boden fallen. Wissenschaftler und Journalisten allerdings, die regelmäßig über die globale Erwärmung und ihre Folgen berichten, machen mit sogenannten Klimaskeptikern regelmäßig digitale Bekanntschaft. Viele von ihnen toben sich gern in Kommentarspalten aus.

Fakten und Argumente gegen den Hass

Erst jüngst erwischte es den eher braven TV-Wissenschaftler Harald Lesch. Er hatte es gewagt, in der ZDF-Sendung „Terra X“ die irreführenden Aussagen zum Klimawandel im Wahlprogramm der AfD zu korrigieren. Die rechte Partei dient sich als Sammelbecken für Klimawandelleugner in Deutschland an. Lesch erhielt daraufhin zahlreiche Hassmails – auf die er reagierte, indem er in der nächsten Sendung die Mechanismen der zunehmenden Aggression im Internet zum Thema machte.

Wahrscheinlich ist das die einzige und beste Antwort auf den grassierenden Wahnsinn im Netz: Den Verzerrungen und dem Hass etwas entgegenzusetzen, wenn man die Wahrheit kennt, und zwar nicht mit Schaum vor dem Mund, sondern mit Fakten und guten Argumenten. Dazu rief nach dem Wahlsieg des Klimaskeptikers Donald Trump in einem Kommentar für die Fachzeitschrift „Nature“ auch der britische Klima- und Meeresforscher Phil Williamson seine Kollegen auf: „Nehmt euch die Zeit“, schrieb er, „und korrigiert Fehlinformationen im Netz.“ Das sei zwar oft mühsam, aber trotzdem machbar: „Ich schlage vor, dass wir die kollektive Macht und Reichweite des Internets nutzen, um seine Qualität zu verbessern.“

 

GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Wolfgang Hassenstein

Das Greenpeace Magazin erscheint unabhängig, 100% leserfinanziert, frei von Werbung und ist digital und gedruckt erhältlich. Es widmet sich den Inhalten, die wirklich zählen: Das Thema heißt Zukunft und gesucht wird nach neuen Lösungen, kreativen Auswegen und positiven Signalen. Utopia.de präsentiert ausgewählte Artikel aus dem Greenpeace Magazin.
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