Die Fußball-WM in Katar ist hoch umstritten und wird teils sogar boykottiert. Doch manche Formen des Protests sind effektiver als andere und den Fernseher auszulassen, ergibt meist keinen Sinn, meint unser Redakteur.
Am Sonntag ist die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar gestartet. Normalerweise würde unsere Nation angesichts des gigantischen Sport-Events in einen Ausnahmezustand versinken, Deutschland-Fahnen würden Häuser und Autos an jeder Ecke schmücken und je nach Spielstand würden Jubelschreie oder tiefes Raunen die hiesigen Lokale zum Beben bringen.
Doch dieses Jahr ist alles anders. Es herrschen Unbehagen und Zweifel darüber, ob es moralisch überhaupt in Ordnung ist, sich die Spiele anzusehen, und zahlreiche Kneipenbesitzer haben bereits ihren Boykott verkündet.
„Wir wollen ein Zeichen setzen gegen dieses korrupte System der FIFA […] die Unterdrückung der Frauen, die Diskriminierung von Homosexuellen und die katastrophalen Arbeitsbedingungen“, erklärt etwa Peter Zimmermann, ein Mitinhaber der Kölner Kult-Kneipe „Lotta“ gegenüber der Deutschen Welle. Damit ist er nicht der Einzige. Knapp 200 Kneipen in ganz Deutschland boykottieren die WM und auch der ein oder andere Fan zu Hause wird seinen Fernseher wohl auslassen. Tatsächlich ist letztere Form des Boykotts für sich genommen allerdings völlig wirkungslos – zumindest für den Großteil der Bevölkerung.
Den Fernseher zur Fußball-WM auslassen bringt (meist) nichts
Hinter dem Gedanken, sich die Spiele der Fußball-WM in Katar nicht anzusehen, steckt eine ehrenhafte Idee: Man will ein Signal an die FIFA, Katar und alle Profiteur:innen der WM senden, dass man die Menschenrechtsverletzungen und den Klima-Wahnsinn der Veranstaltung nicht akzeptiert. Dumm nur, wenn das Signal bei niemandem ankommt.
Denn die Einschaltquote wird nur an deutschlandweit rund 5.000 TV-Geräten gemessen. Den Fernseher auszuschalten oder ein anderes Programm anzusehen, hat in den meisten Haushalten nicht den geringsten Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg der WM. Diese Form des Boykotts bringt also nur selten etwas.
Das ist zunächst mal eine gute Nachricht für Fußball-Fans. Zumindest diejenigen, die einfach nur den Sport lieben und auf das Drumherum verzichten können, dürfen also ruhig zu Hause im stillen Kämmerlein sitzen und sich die WM ansehen, ohne damit Katar oder die FIFA zu unterstützen – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass kein Quotenmessgerät am TV hängt.
Anders herum gilt: Wer zu den Haushalten zählt, bei denen die Quote erfasst wird, hat umso mehr Einfluss.
WM-Boykott im Internet & in der Öffentlichkeit ist sinnvoller
Im Internet werden Aufrufe und Klickzahlen hingegen sehr genau gemessen. Jede:r der oder die hier einschaltet, liefert somit das Signal, dass Interesse für die WM herrscht. Dies wiederum motiviert die Content-Produzent:innen dazu, mehr zu dem Thema zu veröffentlichen, sodass mehr Werbeeinnahmen generiert werden und die gesamte wirtschaftliche Maschinerie hinter der WM befeuert wird. Hier ergibt der Boykott also durchaus Sinn.
Auch auf Public Viewing sollte verzichtet werden, wenn man es mit dem Protest ernst meint. Feiernde Fanmassen sind schließlich genau das, was die FIFA sehen will und bestätigen den Verband in der Annahme, dass die Fans die WM-Vergabe nach Katar verzeihen.
Wer WM-Merchandise kauft, unterstützt das System ebenfalls. Ob offizielle Sticker-Sammelalben oder lizenzierte Fußbälle: Darauf zu verzichten, ist ein weiter Hebel, mit dem sich die Profite minimieren lassen, die die FIFA aus ihrer WM-Vergabe an Katar zieht.
Fußball-WM in Katar: Wirkungsvoller Protest muss laut sein
Die oben beschrieben Maßnahmen sind allesamt Formen stillen Protests. Es geht darum, der WM möglichst wenig Aufmerksamkeit und Geld zuzuwerfen. Wichtig ist aber auch, dass der Boykott nicht still bleibt. Die FIFA soll nicht nur weniger an der WM verdienen, sondern muss auch erfahren, warum. Dafür kann sowohl im privaten Umfeld als auch in den Sozialen Medien auf die Missstände in Katar aufmerksam gemacht werden. Nur so wird unmissverständlich klar, aufgrund welcher Probleme die Veranstaltung boykottiert wird.
Die WM im Internet komplett zu umgehen, ist also nicht unbedingt die beste Form des Protests. Sinnvoller kann es sein, die Augen auf das Event zu richten und das Geschehen angemessen zu kommentieren. Wenn der überwiegende gesellschaftliche Diskurs zum Thema Fußball-WM negativ gefärbt ist, sollte das der FIFA zumindest zu denken geben. Wobei wir hier bei einem entscheidenden Problem sind.
Die FIFA hat ein Monopol
Die FIFA hat keine Konkurrenz im Weltfußball. Es gibt keine Alternativ-WM, auf die Fans ausweichen können, wenn einem Katar nicht passt. Deshalb zeigt all der Protest am korrupten Sportverband bisher auch keinerlei Wirkung.
Die Macht der Fans ist deshalb arg begrenzt. Am längeren Hebel sitzen Fußballverbände wie der DFB, Sponsoren wie Adidas und Coca-Cola sowie die Sportler selbst, die mit einem Boykott wirklich ein deutliches Zeichen hätten setzen können. Doch das ist keine Entschuldigung für uns, die Probleme zu ignorieren und die Fußball-WM bedenkenlos zu genießen. Das würde allen Beteiligten nur signalisieren, dass alles so bleiben kann, wie es ist.
Wenn wir wollen, dass die mächtigen Verbände und wirtschaftlich relevanten Partner der FIFA in Zukunft von moralisch verwerflichen Großveranstaltungen wie der Fußball-WM in Katar abspringen, müssen wir als Gesellschaft genau das lautstark einfordern. Vielleicht wird die FIFA dann endlich dazu gezwungen werden, ihre wichtigste Großveranstaltung eben nicht mehr an Unrechtsstaaten zu verkaufen.
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