Krieg vernichtet nicht nur Leben, sondern auch die langfristige Lebensgrundlage vieler Menschen vor Ort. Wim Zwijnenburg von der NGO Pax untersucht die Umweltrisiken vergangener und bestehender Konflikte.
In Syrien richtet der seit 2011 andauernde Krieg unermessliches Leid an. Zahllose Menschen wurden getötet, vergewaltigt oder vertrieben, in einigen Regionen liegt kein Stein mehr auf dem anderen, Häuser und Infrastruktur sind zerstört. Und schon jetzt ist absehbar, dass die Not nicht enden wird, sollte der Krieg einmal zu Ende gehen. Denn neben den psychologischen Folgen und den Gefahren durch verbleibende Landminen, das haben andere Fälle gezeigt, bedrohen auch die Folgen von Umwelt- und Naturzerstörung die Lebensgrundlage der Menschen – oft noch lange, nachdem wieder Frieden eingekehrt ist. Denn die Überlebenden und Zurückkehrenden brauchen sauberes Wasser zum Trinken und Bewässern, Luft zum Atmen und nährstoffreiche Böden für Landwirtschaft und Viehzucht. Und das ist schwierig in einer Umgebung, in der weite Teile der Umwelt durch Kriegshandlungen verwüstet sind.
„Die Umwelt ist ausschlaggebend für den Erhalt von Menschen und Gesellschaften. Es ist sehr schwierig, in einer zerstörten und verseuchten Umgebung zu leben – und Krieg hat solche Folgen“, sagt Wim Zwijnenburg. Er arbeitet als Projektleiter für humanitäre Abrüstung bei der niederländischen Organisation Pax, eine der wenigen Organisationen, die sich mit den Folgen von Kriegen für Natur und Ökosysteme beschäftigen.
Die schwerwiegendsten Umweltschäden in Konfliktgebieten werden durch die Rückstände chemischer, biologischer oder nuklearer Waffen, durch verunreinigtes Wasser und die Folgen gezielter Angriffe auf Industrieanlagen und Ölfelder verursacht. So gelangen toxische Stoffe aus Munition oder nicht explodierten Fassbomben in Wasser, Luft und Boden und schließlich auch in Nahrungsmittel – mit gefährlichen Langzeitfolgen. Auch herumliegende Abfälle und Giftmüll, deren fachgerechte Entsorgung in Kriegszeiten häufig nicht gewährleistet ist, bergen hohe Gesundheitsrisiken. Denn in den Kriegswirren bricht oft das öffentliche Dienstleistungssystem wie Müllabfuhr und Stadtreinigung zusammen. Asbest, Schwermetalle und Bauschutt aus zerbombten Häusern verschmutzen Luft und Boden, während für Brennholz unkontrolliert Bäume abgeholzt werden.
„Besonders problematisch ist es, wenn Chemiefabriken und Ölfelder angegriffen werden“, sagt Zwijnburg. Das schlimmste Umweltrisiko in Syrien sei derzeit die Ölverschmutzung in den Regionen Hasahak im Nordosten und Deir ez-Zor im Osten des Landes. Durch Luft- und Bodenangriffe von Industrieanlagen, die nicht fachgerechte Ölförderung durch ungelernte Zivilisten – häufig werden auch Kinder für die gefährliche Aufgabe herangezogen – und den Schmuggel des begehrten Rohstoffs treten große Erdölmengen aus und sickern in Böden oder fließen in Gewässer. Außerdem sind in Kriegsgebieten mit Ölvorkommen wie Syrien oder Irak Flächenbrände ein großes Problem: Es kommt immer wieder vor, dass Kämpfer aus kriegstaktischen Gründen Ölfelder anzünden oder diese beispielsweise durch Luftangriffe in Brand geraten. Die Belastungen für Mensch und Umwelt sind enorm.
„Wir wollen herausfinden, wie Umweltverschmutzung und Konflikte zusammen hängen und wie sie sich auf Gesundheit und Wohlergehen der Menschen auswirken“, sagt Wim Zwijnenburg. Die gesundheitlichen Folgen in Kriegsgebieten können aufgrund von Boden-, Wasser- und Luftverschmutzung unter anderem steigende Krebsraten, Missbildungen bei Neugeborenen oder Lungenschäden und Atemwegsprobleme gerade bei Kindern und Älteren sein. „Im Irak war auch Uranmunition, also die DU-Munition von abgereichertem Uran, ein Problem, allerdings ist hier ein Nachweis der Folgeschäden besonders kompliziert. Aktivisten haben versucht, eine Verbindung zu Krebserkrankungen und Geburtsfehlern herzustellen, was wissenschaftlich nicht belegt werden konnte, da fundierte Untersuchungen im Irak fehlten“, sagt Wim Zwijnenburg.
Welches Ausmaß an Umweltschäden und Gesundheitsrisiken in Syrien besteht, können Zwijnenburg und Kollegen nicht wirklich sagen. Eins der Hauptprobleme ihrer Arbeit ist es, dass die betroffenen Konfliktregionen meist schwer zugänglich sind. Entweder toben dort noch Kämpfe, oder nicht explodierte Minen, Bomben und Granaten erschweren Untersuchungen noch lange nach Kriegsende, weshalb Proben von Böden und Wasser praktisch nicht zu bekommen sind. „Ich war im November 2018 in Syrien, um das Ausmaß der Ölverschmutzung mit eigenen Augen zu sehen und Kontakte vor Ort zu knüpfen“, sagt Zwijnenburg. Um die Gesamtsituation beurteilen zu können, seien er und seine Kollegen allerdings auf Satellitenbilder angewiesen – und darauf, was Menschen aus Konfliktregionen an Fotos und Informationen online stellen, beispielsweise auf Blogs oder Social-Media-Portalen.
Die Langzeitfolgen von Konflikten der Vergangenheit sind besser belegt, teilweise hatten sie auch politische Folgen. So ist der von den Vereinten Nationen initiierte völkerrechtliche Vertrag ENMOD („Environmental Modification Convention“) von 1977 eine direkte Konsequenz des Vietnamkriegs. Die Konvention verbietet Kriegsformen, welche die Umweltzerstörung gezielt als Mittel des Krieges einsetzen oder Ökosysteme nachhaltig schädigen, und ist geltendes Völkerrecht. In den betroffenen Regionen kommt es durch den damaligen Kampfeinsatz von Entlaubungsmitteln wie „Agent Orange“ bis heute zu einem stark erhöhten Auftreten von Krebserkrankungen, Immundefekten sowie schweren Fehlbildungen bei Kindern.
Die christliche Friedensorganisation Pax hat während des Irakkriegs 2003 die Dramatik von Umweltschäden durch Kriege erkannt und beschäftigt sich seitdem mit dem Thema. Das Ökosystem wurde damals so stark zerstört, dass sich das Land bis heute nicht davon erholt hat. Laut Zwiijnenburg hatte die irakische Regierung die Kosten, um die zerstörte Umwelt wiederherzustellen, auf 5,5 Milliarden Dollar geschätzt – und darin waren die Schäden bei der Wasserversorgung und Landwirtschaft noch nicht einmal eingerechnet.
Auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP ist im Irak aktiv und bietet unter anderem Workshops für Experten des irakischen Umweltministeriums an, um sie in der Begutachtung ölverseuchter Gebiete zu schulen. Denn um Probleme lösen zu können, muss man sie zunächst identifizieren – auch in Syrien wird das so sein. „Auf Basis der UN-Untersuchungen von Umweltschäden im Irak, sowohl nach 2003 wie auch nach 2017, haben wir eine ganz gute Vorstellung davon, was die Probleme in Syrien sein werden“, so Zwiijnenburg. „Das ganze Ausmaß ist allerdings noch unklar, da es in Syrien bisher nicht möglich war, Untersuchungen am Boden durchzuführen“, so Zwijnenburg.
Um wirklich sagen zu können, welche Dimension die Umweltzerstörung in Syrien hat, sei eine ausführliche und flächendeckende Untersuchung der betroffenen Regionen notwendig – und diese sei eben wieder erst zu Friedenszeiten möglich. Wann das soweit sein wird, ist aufgrund der unübersichtlichen Konfliktlage noch immer völlig ungewiss.
GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Nora Kusche
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