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Maren Urner: „Wir erzählen uns die falschen Geschichten darüber, was uns wirklich glücklich macht“

Prof. Dr. Maren Urner
Foto: Lea Franke

Anders mit Emotionen umgehen – das ist für Prof. Maren Urner der Schlüssel, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Utopia hat mit der Neurowissenschaftlerin über die Klimakrise, nachhaltigen Konsum und das Tempolimit gesprochen.

Utopia: Du sagst, wir müssen unsere Emotionen in die Politik einbringen, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen. Das widerspricht doch dem gängigen Verständnis, dass in der Politik Rationalität und nicht Emotionalität gefragt ist. Wie meinst du das?

Maren Urner: Häufig behaupten Menschen, Gefühle hätten in der Politik keinen Platz. Das ist falsch. Jede politische Aussage gründet auf Emotionen, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Politik dreht sich immer um Werte und Überzeugungen, die eng mit unseren Gefühlen verknüpft sind. Ignorieren wir diese emotionale Komponente, führen wir scheinbar rationale Debatten und können dabei vor allem eins beobachten: Je lauter die Forderung nach Rationalität desto emotional aufgeladener werden die Debatten. Es fehlt so häufig an emotionaler Reife.

Kannst du das an einem Beispiel verdeutlichen? Wie können wir zum Beispiel die Debatte um das Tempolimit mit den richtigen Emotionen führen?

Beim Tempolimit wird oft mit dem Begriff der Freiheit argumentiert. Aber was bedeutet Freiheit wirklich? Ist es die kurzfristige Bedürfnisbefriedigung, mit hoher Geschwindigkeit über die Autobahn zu rasen? Oder ist es die Freiheit, auch in Zukunft auf einem lebenswerten Planeten leben zu können? Wir müssen endlich begreifen, dass wir Freiheit mittel- und langfristig auf allen Ebenen denken müssen. Radikale Ehrlichkeit ist hier gefragt. Es ist absurd, den kurzfristigen Dopaminkick einiger weniger gegen die Zukunft eines bewohnbaren Planeten einzutauschen.

Dieser Text ist ein überarbeiteter Auszug aus dem Utopia Changemaker Podcast.
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„Es frustriert mich, dass viele sagen, die Politik müsse sich ändern, während sie selbst nichts tun“

Viele Menschen, die sich mit der Klimakrise auseinandersetzen, empfinden Angst und Ohnmacht. Wie kann man mit diesen Emotionen umgehen?

Angst ist ein wichtiges Gefühl, das uns am Leben hält. Chronische Angst und Unsicherheit erhöhen jedoch das Gefühl von Hilflosigkeit und fördern Passivität. Das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann, ist, ihn in einen Zustand der vollständigen Passivität zu versetzen. Darum ist es so wichtig, nicht zu resignieren. Was dabei hilft? Sich auf die Bereiche zu konzentrieren, die uns nicht nur interessieren, sondern in denen wir auch selbst aktiv werden können und Selbstwirksamkeit erleben

Du vertrittst die Auffassung, dass jedes individuelle Handeln politisch ist. Was bringt es denn einer einzelnen Person, beispielsweise fairen Kaffee zu kaufen?

Der Kauf von fairem Kaffee mag zunächst unbedeutend wirken – der Tropfen auf den heißen Stein. Doch dahinter steckt ein bewusstes Handeln. Natürlich verbunden mit dem Privileg, überhaupt darüber nachdenken zu können, was, wie, wann und wo wir essen und trinken. Mit dem Kauf von fair gehandeltem Kaffee setzen wir ein Zeichen gegen die oft menschenunwürdigen Bedingungen in dem – der Logik folgend – unfairem Handel. So ist die Wahl ein Schritt in Richtung Verantwortung und Selbstwirksamkeit.

Viele Menschen möchten mehr gegen die Klimakrise tun. Doch wir alle sind von Krisen erschöpft, und laute Stimmen behaupten, individuelles Engagement bringt wenig – mit Bambuszahnbürste können wir die Welt nicht retten …

Es frustriert mich, dass viele sagen, die Politik müsse sich ändern, während sie selbst nichts tun. Dieses Verhalten bedingt sich durch die falsche Trennung aus „Privatem“ und „Politischem“ und ignoriert, dass jede Handlung immer auch politisch ist. Entsprechende Aussagen sind also falsch und dumm, denn so ändert sich nichts. Im Gegenteil: Es wird alles noch schlimmer, da die Änderungsbereitschaft gegen null geht. Wir zerstören unsere Lebensgrundlage weiter, und die Folgen werden immer sichtbarer. Es ist ein kurzfristiger Schutzmechanismus, zu sagen, man könne nichts tun und die Verantwortung auf andere abzuwälzen.

Mir geht es darum, Wege und Ansätze zu zeigen, wie es besser gehen kann. Das tue ich nicht aus einer „moralischen Überlegenheit“ oder einem „Gutmenschentum“, sondern weil es um unser aller (Über-)Leben geht. Emotionale Reife ist der Kernbegriff, um den sich alles dreht. Diese Reife beginnt bei jedem selbst. Nur wer sich seiner eigenen Werte und Überzeugungen bewusst wird und sie versteht, kann emotional reif und wirklich „frei“ entscheiden und handeln. Dabei spielt die politische und gesellschaftliche Umgebung eine wichtige Rolle.

„Wir müssen Erfolg neu denken“

Und dann?

Nachdem ich diese Frage geklärt habe, kann ich „emotional reif“ die nächste Reife angehen: die kommunikative Reife. Hier müssen wir vor allem zwei Kernbegriffe überdenken: Normalität und Erfolg. Was verstehen wir unter normal und was unter erfolgreich? Diese Definitionen sind politisch und gesellschaftlich geprägt. Kleidung, Religion, Sprache, Essen und Mobilität – all das ist Abbild von dem, was wir als normal und erfolgreich ansehen. Wer davon abweicht, gilt als unnormal, mitunter verrückt oder Verlierer:in.

Ein Beispiel: Als ich vor einigen Wochen mit meinem Fahrrad in einem Hotel ankomme und frage, ob ich es drinnen parken kann, sagt mir der Mitarbeiter an der Rezeption, es gäbe keinen Platz – obwohl die Tiefgarage fast leer sei. Nachdem die Managerin hinzugezogen wurde, durfte ich mein Fahrrad dort parken. Meine Vermutung: In den Köpfen der Mitarbeitenden war ich „die Verrückte“, vielleicht ein wenig Öko-Hippie. Doch was ist wirklich verrückt? Dass wir Autos als normal betrachten, obwohl sie nicht nur Begegnungen vermeiden, sondern unsere Lebensgrundlage negativ beeinträchtigen und zerstören.

Das ist alles nicht neu und langsam begreifen dies mehr Menschen. Doch es gibt auch einen lautstarken Backlash der Menschen, die Macht und Privilegien zu verlieren haben, wenn wir ehrlich darauf schauen. Wichtig ist, zu begreifen, dass das, was wir als normal und unnormal definieren, immer zeitlich und politisch bestimmt ist.

Wie müssen wir Erfolg neu denken?

Ist die erfolgreich, die den dicksten Wagen hat? Oder der, der mit der Bahn oder dem Fahrrad kommt? Luisa Neubauer sagte einmal, sie habe noch nie einen Film gesehen, in dem der:die Superheld:in mit dem Fahrrad kommt – es sei denn, es ist eine Komödie. Wir haben Erfolg falsch definiert. Er besteht nicht aus Geld oder Titeln, sondern aus funktionierenden sozialen Beziehungen.

Jahrzehntelange Studien belegen, dass diese Beziehungen unser Glück und unsere Zufriedenheit am meisten beeinflussen. Wir erzählen uns aber noch immer die falschen Geschichten darüber, was uns wirklich glücklich macht, gemessen an unserer Biologie. Unsere Definition von Erfolg muss sich grundlegend ändern, wenn wir als Gesellschaft überleben wollen.

Zur Person:
Prof. Dr. Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und lehrt derzeit Medienpsychologie an der Media University of Applied Sciences in Köln. Ab September übernimmt sie eine Professur für Nachhaltige Transformation an der FH Münster. 2016 gründete sie das Online-Magazin für konstruktiven Journalismus „Perspective Daily“ und leitete es bis 2019 als Chefredakteurin und Geschäftsführerin. Mit ihren Büchern „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ und „Aus der ewigen Dauerkrise“ wurde sie zur Bestsellerautorin. Ihr aktuelles Buch trägt den Titel „Radikal emotional: Wie Gefühle Politik machen“.

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