Die EU hat Insekten als Nahrungsmittel zugelassen, die eine Alternative zu Fleisch sein sollen. Was aber bringt eine Massenzucht der Krabbeltiere mit sich? Insekten-Experte Mark Benecke erklärt im Utopia-Interview, warum es „biologisch falsch“ sei, die Tiere zu essen.
Mark Benecke gehört zu den bekanntesten Kriminalbiologen, Insekten sind seine Arbeit – und Leidenschaft. Sie für Nahrungsmittel zu züchten, hält er für äußerst problematisch. Das hängt mit ihrer Rolle im Netz der Natur zusammen, sowie dem möglichen Einsatz von Giftstoffen. Die EU lässt Insekten inzwischen als Nahrungsmittel zu. Utopia berichtete und hat dazu Insekten-Experte Benecke befragt.
Utopia: Wie schlimm steht es Ihrer Meinung nach um die Biodiversität?
Mark Benecke: Wir leben in der Zeit des größten – also je gemessenen – Artensterbens seit es Menschen gibt. Mehr Aussterben geht nicht.
Biologe Benecke erklärt, warum Insektenessen keine gute Idee ist
Welche Rolle spielen Insekten in der biologischen Vielfalt, die nun stirbt?
Sie sind ein Teil des flirrenden, brummenden, herumjuckelnden Lebenskreislaufs. Darin wird alle biologische Energie — Fette, Eiweiße, Kohlenhydrate, auch Wasser, Eisen und so weiter — immer neu verteilt. Es gibt keine unnötigen Teile in diesem Netzwerk. Das ist wie ein Netz für Mandarinen: Je mehr Knoten, in diesem Fall Tierarten, fehlen, desto eher reißt es.
Das klingt bedrohlich.
Ist es auch. Insekten sind deshalb so interessant, weil sie die eigentlichen Bewohner der Erde sind. Zusammen mit Spinnen, Asseln, Krebsen und Milben: von ihnen gibt es am meisten. Menschen spielen biologisch betrachtet überhaupt keine Rolle.
So kommt es auch, dass Gliedertiere eine enorme Vielfalt hatten. Es werden auch laufend neue Arten entdeckt. Leider sterben aber viel mehr aus, weil ihre Lebensräume von Menschen bebaut oder als industrielle Äcker unbrauchbar gemacht werden.
„Jede Art der Massenzucht endet darin, dass Medikamente und Gifte eingesetzt werden“
Ist es dann eine gute Idee, dass die EU sukzessiv Insekten als Nahrungsmittel zulässt?
Jede Art der Massenzucht endet darin, dass Medikamente und Gifte gegen Keime und Krabbler eingesetzt werden müssen. Außer vielleicht bei Larven der Schmeißfliege. Die Folge: Die Umwelt drumherum stirbt ab.
Können Sie das genauer erklären? In Ihrer Keynote auf der Insecta 2021 sprachen Sie auch davon, dass es problematisch sei, nur ganz bestimmte Insekten als Nahrungsmittel zu züchten.
Alles, was wir aus dem Kreislauf des Lebens nehmen — einem Netz, bei dem alle Knoten miteinander über andere Knoten verbunden sind — ist biologisch einsam und geht ohne Kunstgriffe ein. Wenn ich nur einzelne Insekten züchte, werden diese beispielsweise blitzschnell krank, weil sich Erreger wie Käfer in einer Wald-Monokultur sofort ausbreiten. Gegen die Krankheiten brauche ich Gifte. Und die sind wieder industriell hergestellt.
Ist denn schon absehbar, welche Mittel in der industriellen Insektenhaltung besonders wirksam sind?
Welche Gifte genau bei der Insektenzucht besonders wirksam, also tödlich für alles außer Insekten, sein werden, muss sich zeigen. Nur ein Beispiel: Gegen Milben, die in Insektenzuchten massenhaft auftreten dürften, wirkt es, die Zuchträume regelmäßig leerzuräumen und beispielsweise mit Nikotin auszuwaschen.
Welche Rolle spielt die Moral?
Inwiefern ist bei der groß angelegten Insektenzucht das Futtermittel für die Insekten problematisch? Heimchen, wie sie neuerdings als Nahrungsmittel in der EU zugelassen wurden, oder Mehlkäfer ernähren sich tierisch. Hier könnte es Tiere für die Tiere brauchen.
Sehr gute Anmerkung. Das zeigt doch: Die ganze Idee der Insekten-Massenzucht ist hilflos, und lenkt von den tatsächlichen Schwierigkeiten der zehntausendfach wissenschaftlich beschriebenen Natur-Netz-Zerstörung ab. Im Kinofilm Blade Runner 2049 ist das schön dargestellt: Da leben die Menschen dann wirklich von Larven, weil sie die Landflächen verbraucht und die Nahrungsnetze zerstört haben.
Und was ist mit dem Tierwohl? Insekten sind auch Tiere, haben aber kein differenziertes zentrales Nervensystem wie etwa Schweine oder Rinder. Eine Ableitung daraus ist: Sie können vermutlich keinen Schmerz empfinden.
Ist das so? Meine Fauchschaben haben ganz schön viel auf dem Kasten. Wir Menschen denken oft, dass Insekten irgendetwas nicht „können“, weil sie sich einfach nicht für die Aufgabe interessieren oder sie gar nicht wahrnehmen. Ich würde die meisten „Intelligenz“-Tests von Insekten wohl auch nicht bestehen. Beispielsweise kann ich weder polarisiertes Licht, noch UV-Licht sehen. Selbst wenn Insekten weniger schlau wären und selbst wenn das irgendeine Bedeutung hätte: Im Kreislauf des Lebens und in den Nahrungsnetzen, in denen wir Menschen als mit Abstand unbedeutendste Art dranhängen, sind die Insekten entscheidende Schnittstellen des Nährstoffaustausches. Das sollten auch Menschen verstehen, die sich nur für sich selbst interessieren. Denn alleine überlebt niemand.
Sie selbst ernähren sich vegan und engagieren sich unter anderem mit Peta für mehr Tierrechte. Ist es moralisch genauso verwerflich eine Wanderheuschrecke zu essen wie ein Schnitzel?
Moral interessiert mich nicht. Es ist biologisch falsch, Tiere zu „verwenden“. Außer, ich befinde mich in irgendwelchen Not-Situationen.
Insektenessen als Chance für ärmere Länder?
In ärmeren und/oder bevölkerungsstarken Ländern werden Speiseinsekten als Chance zur Sicherung der zum Teil prekären Nahrungsmittelversorgung gesehen. Sind hier die ökologischen und tierethischen Aspekte genauso angebracht?
Dort haben die Menschen ohnehin schon oft Insekten gegessen. Ich habe einen netten Stapel Bücher mit Insekten-Rezept-Büchern aus den letzten 25 Jahren. Das war immer nur eine Nahrungsergänzung. Gerade in dicht besiedelten und armen Gebieten sollte auf dem Land, das noch vorhanden ist, das Sparsamste und Gesündeste angebaut werden: Pflanzliche Nahrung. Alles andere ist wirtschaftlich, biologisch und für die Gesundheit irgendwie dumm, oder?
Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit die Biodiversität gerettet werden kann, falls dies überhaupt noch möglich ist?
Schritt 1 – Land- und Wasserverbrauch beenden: Durch pflanzliche Ernährung locker die Hälfte, vermutlich sogar drei Viertel, der Land- und Wasser-Flächen freigeben. Über die weiteren Schritte können wir reden, wenn das endlich mal passiert ist. Es ist kinderleicht, sofort möglich und steht in Einklang mit allen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Studien, die ich in den letzten drei Jahren gelesen habe.
Hinweis: Der Artikel erschient erstmals im Februar 2023.
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