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Mit dem Nachtzug von Asien bis nach Deutschland – so habe ich die Reise erlebt

Doğu Ekspresi: Ingwar Perowanowitsch und Liz Steinwandel vor dem Nachtzug nach Ankara
Foto: Ingwar Perowanowitsch

Vier Monate lang fuhr Ingwar Perowanowitsch mit dem Fahrrad von Freiburg aus zur 29. Weltklimakonferenz in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku. Zurück ging es mit dem Nachtzug – ein Verkehrsmittel, das in den letzten Jahren eine beeindruckende Renaissance erlebte. Doch taugt die nächtliche Fahrt auf Schienen wirklich als Alternative zum Flugzeug und was gibt es bei einer Reise mit dem Nachtzug zu beachten? Ein Erfahrungsbericht.

Abends in den Zug steigen, einschlafen und morgens ausgeruht am Zielort aufwachen: Mit diesem Versprechen wirbt der Nachtzug seit nunmehr 186 Jahren. War er zu Beginn einer privilegierten Oberschicht vorbehalten, entwickelte sich der Nachtzug in den Nachkriegsjahren zu einem Massentransportmittel, das den europäischen Kontinent zusammenführte und ihn mit Asien verband. Mit dem Süd-Express konnte man auf direktem Weg nach Portugal reisen, mit dem Hellas-Express bis nach Griechenland und mit dem berühmten Orient-Express sogar bis in die Türkei.

Der Nachtzug wurde in Literaturklassikern wie „Nachtzug nach Lissabon“ oder „Mord im Orient-Express“ verewigt. Über Jahrzehnte gehörte er zum Kulturgut europäischer Geschichte.

Der Nachtzug – ein lange vergessenes Verkehrsmittel

Diese Zeiten sind lange vorbei. Hochgeschwindigkeitszüge und der Aufstieg der Billigflieger machten dem Nachtzug seit den 1990er Jahren zunehmend Konkurrenz. Strecken wurden stillgelegt, das Angebot ausgedünnt und die Modernisierung vernachlässigt. 2016 stellte die Deutsche Bahn wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit ihre Nachtzugsparte komplett ein. Ein ehemals stolzes Verkehrsmittel geriet im wahrsten Sinne des Wortes aufs Abstellgleis.

Nachtzüge erleben Revival

Doch in den letzten Jahren geschah etwas Ungewöhnliches: Der Nachtzug feiert eine Renaissance. Jedes Jahr gehen neue Verbindungen ans Netz und alte Strecken werden reaktiviert. Die Branche verzeichnet Passagierrekorde und die Österreichische Bundesbahn (ÖBB), Marktführer in Sachen Nachtzüge, investiert wieder kräftig in den Ausbau und ihre Flotte. Unterstützt wird sie dabei von der EU-Kommission, die den Nachtzug als klimafreundliche Lösung im Fernverkehr erkannt hat. Ein ausrangiertes Verkehrsmittel bekommt in Zeiten der Klimakrise eine neue Daseinsberechtigung.

Doch haben Nachtzüge wirklich das Potenzial, dem Flugzeug wieder Konkurrenz zu machen? Und ist das Erlebnis tatsächlich so romantisch und erholsam, wie oft behauptet, oder wird es im Rückblick verklärt? Und wie gelangt man überhaupt an die Tickets? Vor diesen Fragen stand ich, als ich meine Rückreise von der Weltklimakonferenz in Baku nach Freiburg plante, zu der ich mehrere Monate mit dem Fahrrad gefahren war.

Per Nachtzug von Baku nach Zürich: Nicht durchgängig möglich

Vorweg: Die Strecke Aserbaidschan – Deutschland lässt sich derzeit nicht in durchgehend mit dem Zug zurücklegen. Die Verbindung Baku – Tiflis ist unterbrochen, da Aserbaidschan seine Landesgrenzen für den Personenverkehr seit über vier Jahren geschlossen ha. Zwischen der ostanatolischen Stadt Kars und dem georgischen Batumi am Schwarzen Meer klafft zudem eine Lücke von rund dreihundert Kilometern. Zwar sind die Gleise für eine malerische Bahnstrecke durch das georgische und türkische Hochland zwischen Baku und Kars bereits verlegt, wann diese Verbindung jedoch eingeweiht wird, ist derzeit noch offen. 

Deshalb musste ich mich erstmal mit Regionalzügen und Bussen von Baku bis ins ostanatolische Erzurum durchschlagen, um in den ersten von insgesamt vier Nachtzügen auf meinem Heimweg nach Freiburg zu steigen.

Nachtzug Nummer 1: Der Doğu Ekspresi (Ost-Express)

Aus dem fernen Osten der Türkei schlängelt sich über knapp 1.400 Kilometer ein wirklich beeindruckender Nachtzug. Er startet früh morgens in Kars, hält unter anderem in den Städten Erzurum, Erzincan, Sivas und Kayseri und erreicht 26 Stunden später die türkische Hauptstadt Ankara, von wo aus er am selben Abend wieder zurückfährt.

Ein Nachtzug fährt durch Winterlandschaft
Der Nachtzug fährt durch eine Winterlandschaft (Foto: Ingwar Perowanowitsch)

Am besten kauft man die Tickets entweder spontan an türkischen Bahnhöfen oder im Voraus über die App der Türkischen Bahn (TCDD Taşımacılık Eybis). Sie ist im Gegensatz zur Website verlässlicher und teilweise in englischer Sprache verfügbar.

Für einen Platz im Liegewagen empfiehlt es sich, einige Tage im Voraus zu buchen, da die Betten auch in der Nebensaison schnell ausgebucht sind. Tickets für die ganze Strecke gibt es bereits für 14 Euro (Sitzplatz) und für 23 Euro (Liegeplatz) – ein absolutes Schnäppchen angesichts Dauer, Länge und Aussicht entlang der Strecke.

Fahrt durch Winterlandschaft und ruhige Nacht im Liegewagen

Ich hätte keinen besseren Zeitpunkt erwischen können. Ende November ist Ostanatolien in eine dicke Schneedecke gehüllt. Durch eine atemberaubende Winterlandschaft bahnt sich der Zug seinen Weg durch wilde Bergketten. Ich erlebte eine beeindruckende Abenddämmerung, während ich gemütlich im Bordbistro türkischen Tee und Kaffee trank.

Sonnenuntergang im Nachtzug auf dem Weg zurück nach Europa
Sonnenuntergang im Nachtzug auf dem Weg zurück nach Europa (Foto: Liz Steinwandel)

Die Nacht im 4er-Liegeabteil verlief ruhig. Ohropax und eine Schlafmaske für geräusch- und lichtempfindliche Menschen sind aber auf jeden Fall zu empfehlen. Für Menschen, die größer als 1,90 Meter sind, könnten die Betten etwas zu kurz sein. Das gleichmäßige Ruckeln des Zuges war für mich eine Einschlafhilfe. Morgens, gegen 8.30 Uhr, wachte ich tatsächlich einigermaßen erholt von meiner ersten Nachtzugfahrt auf.

Nachtzug Nummer 2: Der Bosporus-Express

Meine zweite Nachtzugfahrt würde mich eigentlich im Bosporus-Express von Istanbul nach Bukarest führen. Leider ist diese Verbindung mit dem Beginn der Nebensaison ab dem 9. Oktober unterbrochen. Reisende nach Bukarest müssen daher auf den Nachtzug Richtung Sofia ausweichen und ab 5 Uhr morgens in den bulgarischen Städten Dimitrovgrad und Russe umsteigen.

Den Sonnenaufgang kann man vom Zug aus bewundern.
Den Sonnenaufgang kann man vom Zug aus bewundern. (Foto: Liz Steinwandel)

Für die 635 Kilometer braucht der Zug geschlagene 23 Stunden und auch sonst ist die Fahrt nicht wirklich angenehm. Der Zug ist alt, hält gefühlt alle paar Minuten mitten in der Landschaft an und besitzt kein Bordbistro, weshalb man notgedrungen die meiste Zeit in der 4er-Liegekabine verbringen muss. Glücklicherweise teilte ich mir das „Zimmer“ mit anderen netten Reisenden aus Kanada, Japan und Tschechien. Wir berichteten uns gegenseitig von unseren Erlebnissen und gingen um 23 Uhr ins Bett.

Passkontrollen und mehrere Umstiege

Doch lange währte der Schlaf nicht: Gegen 3 Uhr morgens wurden wir vom Zugpersonal unsanft geweckt. “Passport Control“ hallte es durch die Gänge. Wir befanden uns an der Grenze zu Bulgarien und mussten den Zug verlassen, um in einem kleinen Hinterzimmer am Bahnhof von einem türkischen Grenzbeamten unseren Ausreisestempel zu bekommen. Über eine Stunde dauerte dieses Prozedere, bis sich der Zug langsam wieder in Bewegung setzte. Auf bulgarischer Seite durften wir zwar liegen bleiben, unsere Pässe wurden jedoch mehrmals von mürrischen Grenzbeamten kontrolliert. An viel Schlaf war nicht zu denken – auch, weil ich kurz darauf aussteigen und im Morgengrauen an einem verlassenen Bahnhof irgendwo in Bulgarien auf meinen Anschlusszug warten musste.

Das spezielle Nachtzugfeeling kommt auf dieser Strecke definitiv nicht auf. Wer eine Zugreise nach Istanbul über Bukarest oder andersherum machen möchte, sollte dies am besten in den Sommermonaten tun. Tickets gibt es auf der rumänischen Bahn-Website oder im Bahnhof. Ich kaufte mir das Ticket am Istanbuler Bahnhof Sirkeci. Preis: 35 Euro im 4er-Liegewagen. Sitzplätze gibt es bereits ab 20 Euro.

Nachtzug Nummer 3: Der EuroNight Ister

In Bukarest angekommen hatte ich nur wenig Zeit für eine Pause. Eine Stunde nach Ankunft ging es im dritten Nachtzug weiter nach Budapest. Schnell kaufte ich mir ein Ticket am Bahnhof und stieg in den bereits wartenden EuroNight Ister, der die rumänische mit der ungarischen Hauptstadt verbindet.

Man kann das Ticket aber auch über die Websites der jeweiligen Eisenbahngesellschaften kaufen. Für 35 Euro gibt es einen Sitzplatz, ab 50 Euro einen Liegeplatz im 4er Abteil. 15 Stunden und 35 Minuten wird als Fahrzeit angegeben. Mit Freude stellte ich fest, dass ich das Abteil die gesamte Fahrt für mich alleine hatte.

Der Zug ist ebenfalls etwas in die Jahre gekommen, aber im Vergleich zur vorausgegangenen Verbindung wesentlich schneller unterwegs – und die Passkontrollen auf rumänischer und ungarischer Seite am frühen Morgen sind weniger zeitaufwendig. So erreichte ich Budapest pünktlich und einigermaßen ausgeschlafen um 08:50 Uhr. Hier hatte ich einen ganzen Tag Aufenthalt, bis es um 19:40 Uhr weiterging.

Nachtzug Nummer 4: Ein bisschen Luxus im ÖBB Nightjet

Meine vierte und letzte Nachtzugfahrt führt mich von Budapest nach Zürich, zum ersten Mal mit einem der neuen Nightjets der ÖBB. Vergangenes Jahr bestellte das Unternehmen 33 neue Nachtzüge, die bis Ende 2025 auf die Schienen gebracht werden sollen. Sie sind schnell, sauber und die Kabinen geräumig. Zudem sind kleine Snacks und ein Getränk nach Wahl im Preis inbegriffen.

Das Ticket kann man auf der Nightjet-Website der ÖBB erwerben. Die Preise beginnen bei 89 Euro für einen Sitzplatz und 104 Euro für einen Liegeplatz. Wer mehr Privatsphäre will, kann eine Einzelkabine buchen, das kostet dann aber rund 260 Euro. Ich buchte mal wieder ein 4er-Abteil, das ich mir mit nur einem weiteren Fahrgast teilte. In der Hauptsaison würde das wohl nicht vorkommen.

Pünktlich und ausgeschlafen fahre ich nach über 12 Stunden Fahrt am Morgen in Zürich ein. Mein kleines Nachtzug-Abenteuer ist vorbei. Von hier aus nehme ich einen ICE nach Freiburg. Um 10:54 Uhr komme ich nach 128 Tagen Reise endlich wieder in meiner Heimat an.

Fazit: Nachtzugreisen sind ein besonderes Abenteuer

Meine Reise von Baku nach Freiburg in vier Nachtzügen war geprägt von spektakulären Landschaften, netten Begegnungen und meist erholsamen Nächten. Ich lernte eine neue spannende Art des Reisens kennen und freue mich bereits auf ein nächstes Mal. Neben den guten Erfahrungen sah ich auch, wo es noch Verbesserungspotential gibt – zum Beispiel bei den vielen Grenzkontrollen zwischen der Türkei und Budapest. Mit der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengenraum ab 2025 nehmen diese vielleicht etwas ab und sollten in weiten Teilen der EU die Ausnahme sein.

In den Sommermonaten sind spontane Nachtzugfahrten nicht einfach. Viele Strecken sind teils Wochen im Voraus ausgebucht. Das belegt zwar die neue Beliebtheit von Nachtzügen, zeigt aber auch, dass die Kapazitäten schnell erschöpft sind. Um die Nachfrage zu bedienen, braucht es einen stetigen Ausbau der Nachtzug-Infrastruktur und zuverlässige politische Unterstützung.

Preislich sind Nachtzugtickets der ÖBB leider oft teurer als Flugtickets für die selbe Strecke. Für eine Fahrt innerhalb Mitteleuropas zahlt man schnell über 100 Euro. In Osteuropa und der Türkei sind die Tickets jedoch billiger (15-30 Euro). Wenn man mehrere Tage unterwegs ist, lohnt sich schnell ein Interrail-Ticket. So habe ich es auch gemacht. Ich kaufte einen Interail-Global Pass für vier Tage innerhalb eines Monats für 283 Euro, da auch die gesamte Türkei im Interrail-Geltungsbereich liegt. So musste ich mir an den Bahnhöfen nur noch eine Reservierung kaufen (bei ÖBB-Nachtzügen über die Website) und konnte direkt einsteigen. Ein tolles Freiheitsgefühl!

Nachtzüge sind ein spezielles und für manche vermutlich gewöhnungsbedürftiges Fortbewegungsmittel. Doch wer sich an der Intimität eines geteilten Zugabteils nicht stört und Abstriche im Komfort ertragen kann, für den bieten sie eine tolle Alternative zum Flugzeug und eine spannende Art des Reisens. Abends einzuschlafen und seinem Ziel näher zu kommen, ist genau das, was den Nachtzug so besonders macht und weshalb er derzeit zu Recht einen Boom erlebt.

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