Wie alles mit der Sabotage englischer Großwild-Jagden begann und mit Ernährungstipps von Beyoncé seinen populärkulturellen Höhepunkt erreicht. Wir betrachten Tierrechtsbewegung und Veganszene zwischen Punk und Pop.
Die Popsängerin Beyoncé ist schön, glamourös und weltweit beliebt. Ihre Melodien sind eingängig und die Songs professionell produziert. Wenn die Queen Bee der Popmusik einem Millionen-Publikum Tipps zu veganer Ernährung gibt, vergisst man leicht, wie die musikalischen Wurzeln der Bewegung aussehen: dreckig, laut, anarchistisch.
In den achtziger Jahren bildeten sich im Dunstkreis der Punk-, Hardcore- und Hausbesetzerszene viele radikale politische Gruppen wie die ALF, die animal liberation front. Die Philosophie dieser militanten Tierrechtskreise: eine klare Abgrenzung zwischen Mensch und Tier und somit auch zwischen Menschen- und Tierrechten ist nicht möglich. Deshalb lehnen sie jede Art der Haltung und Nutzung von Tieren als illegitim ab – auf Tierprodukte zu verzichten ergibt sich als logische Konsequenz, auch wenn vegan als Label damals noch nicht verbreitet war. Bei diesen überzeugten Tierrechtlern stieß gerade das Jagdverhalten des englischen Adels auf Widerstand, wo als Freizeitaktivität Tiere erschossen wurden.
Aristokratische Jagdgesellschaft vs. Punks
„Das kann man sich so vorstellen“, sagt Joachim Hiller, Herausgeber des Ox-Fanzines für Punkrock und Hardcore und der veganen Essenszeitschrift „Kochen ohne Knochen“, „auf der einen Seite die britischen Aristokraten mit ihrer jahrhundertelangen Tradition und auf der anderen Seite das verlumpte Gesocks, das ihnen ihren Spaß nicht gönnt.“ Damit beschreibt Hiller Szenen der Jagd-Sabotage-Bewegung, als Aktivisten aus der Punkszene es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Großwild-Jagden zu stören. „Die haben vor Ort Rabbatz gemacht“, so Hiller im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin.
Den Soundtrack der Zeit lieferten Bands wie „Crass“, die Urkeimzelle des englischen Polit- und Anarcho-Punks. Crass gründete sich 1977 und zeichnete sich durch eine klare Priorität für politische Agitation aus, die sie durch Songtexte, ausfaltbare Plattencover und den sogenannten Graffiti-Krieg in der Londoner Innenstadt propagierten. Sie wendeten sich gegen soziale Ungerechtigkeiten, Tierversuche, Kapitalismus, Sexismus und sogar ihr eigenes Genre, als sie mit dem Song „Punk is dead“ den – in ihren Augen – kommerzialisierten Punk kritisierten.
Tierrechtsbewegung der 80er – Anarcho-Punk liefert den Soundtrack der Zeit
Die Punkband „Conflict“, die ebenfalls tief aus dem anarchistisch-geprägten Milieu kam und sich einige Jahre später bildete, widmete 1983 Tierfreunden eine eigene EP: „To a Nation of Animal Lovers“. Gerade in der ersten Hälfte der achtziger Jahre waren Tierversuche und Schlachtszenen sich wiederholende Motive in den Songs der Punk- und Hardcore-Bands, beispielsweise bei den Crust-Punks von „Electro Hippies“ oder – den heute noch aktiven – „Napalm Death“. „Die Texte kritisierten die Überheblichkeit des Menschen, der meint, er könne Tiere zum eigenen Wohl umbringen und in Laboren foltern lassen – drückten also klassischen Antispeziesismus aus“, so Joachim Hiller.
Schnell, kurz, hart – das klare Bekenntnis des Punk zum Drei-Akkord-Dilettantismus und die aggressiv anmutende Musik stehen im scheinbaren Gegensatz zu den sozialen Fragen und den komplexen gesellschaftlichen Kritikpunkten der Inhalte. „Das war ja keine Blümchen-Hippie-Musik, sondern ging voll auf die zwölf. Das war laut und krachig. Richtig verstehen konnte man die einzelnen Liedzeilen bei dem Schreigesang oft nicht, dafür lagen die Songtexte zum Nachlesen bei“, so Hiller. Auch die Motive der Plattencover, Aufkleber, Patches und Buttons sprachen eine deutliche Sprache. „Die brutale Praxis von Tierversuchen sollte durch Coverbilder, die in Metall eingespannte Schimpansen oder Katzen mit weit aufgerissenen Augen zeigten, angeprangert werden. Das stand für die kranke Gesellschaft, gegen die dann angesungen wurde“, so Hiller.
Gegen Nazis, gegen Tierversuche und für ein selbstbestimmtes Leben
Den Ox-Fanzine-Betreiber überrascht das nicht: „Die Punk-Szene steht doch für Empathie-Fähigkeit und eine hohe Sensibilität für Ungerechtigkeiten. Gegen Nazis, gegen Tierversuche und für ein selbstbestimmtes Leben. Das passt doch“, so Hiller. Auch die Musikjournalistin Britta Helm mag da keinen Widerspruch zwischen Punkmusik und Tierliebe erkennen. „Im Punk geht es traditionell viel um Politik, Gerechtigkeit und soziale Themen. Bestimmend ist hier oft der Gedanke, dass man niemandem schaden will – weder Mensch noch Tier. Und das verknüpft dann automatisch Menschen- mit Tierrechten“, so Helm.
Auf der anderen Seite des Atlantiks, wo sich zur selben Zeit in Washington D.C. die Straight-Edge-Bewegung im Umfeld der Hardcore-Szene bildete, ging es primär um den Verzicht von Alkohol oder Drogen. „Straight Edge bedeutet ja nicht automatisch vegan, das ist eher eine Option“, sagt Hiller. Namensstiftend für die Bewegung war das Lied „Straight Edge“ der Hardcore-Band „Minor Threat“, das mit den Liedzeilen „Don’t drink, don’t smoke, don’t fuck“ die groben Regeln vorgab. Allerdings dürfte man das laut Hiller nicht überinterpretieren: „Das waren Jungs um die Zwanzig mit wenig Lebenserfahrung, da stand noch kein durchdachtes Konzept hinter.“ Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre mischten dann Hardcore-Bands wie „Youth of Today“, „Earth Crisis“ oder „Vegan Reich“ die Szene auf und riefen zu vegetarischer oder veganer Lebensweise auf. Seitdem gehört auch der Verzicht auf Tierprodukte bei vielen Straight-Edgern zur alltäglichen Askese.
Verschwimmende Genre-Grenzen und unpolitische Veganer
„Allerdings verschwimmen die Genres in der Musik immer mehr“, so Britta Helm gegenüber dem Greenpeace Magazin. Veganismus klar mit einer bestimmten Musikrichtung in Verbindung zu bringen, wird dadurch schwieriger. Zudem ist die vegane Szene breiter und somit unübersichtlicher und unpolitischer geworden. Neben Tierrechten fließen auch Wellness- und Gesundheitsaspekte wieder stärker in die Debatte. Vegan lebende Musiker kommunizieren ihre Ernährungsweise heute eher als private Entscheidung, die in Interviews besprochen wird, aber in ihrer Musik keine tragende Rolle spielt. Beispiele dafür gibt es viele. So ist Mille Petrozza, Sänger der Trash-Metal-Band Kreator, überzeugter Veganer, der Elektro-Produzent Moby oder John Joseph von den „Cro-Mags“ sprechen sich in Interviews öffentlich für den Verzicht von Tierprodukten aus. Morrissey, der in den Achtzigern mit seiner Band „The Smiths“ die Anti-Fleisch-Hymne „Meat is Murder“ sang, agitiert heute hauptsächlich in Interviews für die vegane Lebensweise – das aber häufig umstritten, insbesondere wenn er auf KZ-Vergleiche zurückgreift.
Die Musikjournalistin Britta Helm schlägt vor, die Szenezugehörigkeit des Veganismus eher am Kontext als dem speziellen Musikgenre festzumachen. So sei in der Do-it-yourself-Bewegung (DIY) die vegane Lebensweise oft selbstverständlich. Die DIY-Idee ging aus der Punkszene hervor und griff deren Anti-Elitarismus-Philosophie auf: Alle können alles machen. Gelebt wird dieser Gedanke beispielsweise in Kontexten von Hausprojekten und besetzten Häusern oder kleineren selbstorganisierten und nicht profitorientierten Konzerten. Und in diesen Kontext gehören auch die sogenannten Volxküchen (Voküs), inzwischen häufig Küfas genannt. „Hier wird aus teilweise containerten Lebensmitteln für alle gekocht. Das ist dann eigentlich immer vegetarisch und meistens auch vegan“, so Helm.
Auf die Größe kommt es an
Bei Großkonzerten und kommerziell erfolgreichen Bands ist das Publikum oft diverser. „Wenn 10.000 Menschen zu einem ,Rise Against‘-Konzert gehen, dann sind das nicht 10.000 Veganer“, sagt Britta Helm. Die Hardcore-Punkband engagiert sich für Tierrechte, von den Bandmitgliedern leben zwei vegetarisch und die anderen zwei vegan. Wieviel vegane Fans die US-Band hat, ist unbekannt. Aber der positive Effekt sei offensichtlich: „Vielleicht wird nicht jeder Fan gleich Veganer, aber deren Vorbildfunktion schafft eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz“, so Helm.
Vegane Popstars verhelfen dem Leben ohne Tierprodukte zu mehr Normalität – das ist wissenschaftlich erwiesen. Es gibt Studien zu den Effekten der sogenannten „Beyoncé Diet“. So untersucht eine Doktorarbeit von der finnischen Universität Helsinki, wie sich die vegane Bewegung von einem moralischen Ernährungsethos zum unpolitischen Konsumtrend entwickelt. Beyoncé widmet die Arbeit gleich ein eigenes Kapitel. Als die R&B-Sängerin einen veganen Delivery-Service gründete und ihren Fans riet, es mal mit einer veganen Drei-Wochen-Diät zu versuchen, hätten zunächst die Medien positiv reagiert – und so das Konsum- und Essverhalten der Menschen beeinflusst. Laut der Studienergebnisse sind Stars zu einem großen Teil für den aktuellen Vegan-Trend verantwortlich. „Stellen Sie sich vor, Helene Fischer wäre zufälligerweise vegan“, sagt auch der vegane Punk-Fanzine-Herausgeber Joachim Hiller, „das hätte eine enorme Leuchtturmfunktion.“ Unzählige vegane Schlagerfans – man kann ja mal träumen.
GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Nora Kusche
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