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„Auf jeden Fall eine Sucht“: Was Shein-Konsum mit uns anrichtet

„Es ist auf jeden Fall eine Sucht“: Was Shein-Konsum mit uns macht
Screenshots: NDR/ Markt (bearbeitet)

Plattformen wie Shein und Temu bieten eine schier endlose Auswahl an günstiger Mode. Um den Konsum zu steigern, nutzen die Händler psychologische Tricks. Eine Influencerin sieht in ihrem Shein-Konsum eine Sucht und ein Experte ist ebenfalls besorgt.

Billigmode-Riese Shein wirbt vor allem über Social Media und macht sich dafür Influencer-Marketing zu Nutze. Der Konzern bezahlt also Nutzer:innen mit einer gewissen Reichweite, um seine Produkte zu bewerben, oder lässt sie gratis bestellen, wenn sie Videos von ihrem Einkauf mit ihren Follower:innen teilen. Oft entstehen dabei sogenannte „Haul“-Videos, die zeigen sollen, wie viel Ware man für wenig Geld bei Shein kaufen kann.

Das Verbrauchermagazin Markt des NDR hat sich vor kurzem näher mit Shein befasst und dafür unter anderem mit einer Influencerin gesprochen. Diese gibt einen Einblick, was der Konsum der Ultra-Fast-Fashion mit einem anstellen kann.

Vivien folgen auf Tiktok über 103.000 Menschen (Stand 20.2.24). Laut Markt präsentiert die Studentin ihren Follower:innen einmal monatlich Shein-Einkäufe, welche sie meist selbst bezahlt. Bisher will Vivien über 1000 Euro auf der Shopping-Plattform ausgegeben haben

„Ich mache diese Videos aus Leidenschaft, aus Interesse, weil es mir Spaß macht“, erklärt die Influencerin gegenüber Markt. Allerdings gibt sie zu, auch Follower generieren zu wollen. Laut Markt verbringt Vivien mehrmals pro Woche bis zu zwei Stunden im Shein-Shop. „Ich muss immer weitergucken“, betont die junge Frau, „Man kommt nicht zum Ende, weil es kein Ende gibt. Es ist auf jeden Fall eine Sucht.“ Zwar keine körperliche, aber den Effekt auf ihren Kopf findet sie „krass“.

Experte: Shein-Strategie birgt Gefahr suchtähnlichen Verhaltens

Shein verkauft Ultra-Fast-Fashion, also sehr billige Mode, mit noch schnelleren Produktionszyklen als bei H&M, Zara und anderen Fast-Fashion-Marken. Statt Filialen gibt es nur Onlineshops und beworben wird die Ware ebenfalls online, vor allem in den Sozialen Medien. Außerdem setzen die Händler diverse Taktiken ein, um Menschen dazu zu bewegen, einen Kauf abzuschließen.

Werbepsychologe Michael Schmitz weist gegenüber Markt auf einen Countdown hin, der auf der Shein-Webseite anzeigt, dass ein gewisser Rabatt bald ausläuft. Dieser löse Zeitdruck aus. „Wenn du nicht schnell reagierst, wirst du es bedauern“, übersetzt der Experte die Message. „Bloß nicht nachdenken.“ Dies berge die Gefahr eines suchtähnlichen Verhaltens. Junge Leute so zum Kauf zu animieren, findet Schmitz grenzwertig. Shein betont auf Nachfrage von Markt nur, dass die meisten stationären Händler sowie Online-Händler gelegentlich zeitlich begrenzte Verkaufsevents und Sonderangebote anbieten.

Weitere Händler-Tricks: Streichpreise und Sondereditionen

Anita Habel ist Kommunikationspsychologin und engagiert sich bei Psychologists for Future. Gegenüber Utopia weist sie auf weitere Tricks hin, mit denen Plattformen wie Shein und Temu arbeiten. Zum Beispiel würden oft durchgestrichene Preise neben den aktuellen angezeigt. Diese würden suggerieren, das Produkt sei ursprünglich teurer gewesen. „Dadurch entsteht ein sogenannter Anker-Effekt, weil wir dann automatisch anfangen, die Preise zu vergleichen“, erklärt die Psychologin. Dies löse den Reiz aus, sich das Angebot nicht entgehen zu lassen.

„Auch limitierte Editionen können einen starken Sog auslösen“, so die Psychologin, „Denn hier wird Knappheit suggeriert und wir Menschen haben eine Verlust-Aversion.“ Das bedeutet, der Mensch will Verluste vermeiden, dies könne sich wie eine Belohnung anfühlen. Händler nutzen dies aus, indem sie darauf hinweisen, dass es ein bestimmtes Produkt nur für einen gewissen Zeitraum zu kaufen gibt – oder nur zeitlich begrenzt günstiger.

Dabei wird laut Habel der Eindruck erweckt, man könne einen Verlust vermeiden, wenn man jetzt zuschlägt. „Dabei ist es in Wahrheit so: Wenn ich gar nichts kaufe, kann ich noch mehr sparen – nämlich 100 Prozent“, betont die Expertin.

Sie erklärt auch, dass man beim Shopping eine Art Rauschzustand erlebt, und führt diesen auf Dopaminausschüttung zurück. Schon wenn man ein Teil sieht, das man gerne hätte, könne dies ein Hochgefühl auslösen. Dieses kann den Antrieb geben, das Teil zu kaufen. Shein und Temu würden Habel zufolge auf ein riesiges Angebot setzen und Algorithmen nutzen, die ähnliche Artikel vorschlagen, was das Rauscherleben weiter befeuere. Welche weiteren psychologischen Konzepte sich Shein und Temu zunutze machen, und wie man sich davor schützt, erklärt die Expertin ausführlich im Utopia-Podcast.

Shein-Näher:innen berichteten von einem freien Tag im Monat

Shein und Konkurrent Temu stehen aus diversen weiteren Gründen in der Kritik. Zum einen wurden in der Vergangenheit Ausbeutung bei der Produktion und schlechte Qualität bemängelt. Auf einigen Produkten fand man zudem Schadstoffe in bedenklichen Konzentrationen. Hinzu kommt, dass der weltweite Lufttransport durch chinesische Ultra-Fast-Fashion-Händler beeinträchtigt wird und die Unternehmen Kosten für Zoll und Steuern mit Tricks umgehen – Utopia berichtete.

Die Markt-Doku beleuchtet einige der Vorwürfe neu. Das Format hat etwa ebenfalls einige Kleidungsstücke auf Schadstoffe untersuchen lassen, keines der Produkte überschritt jedoch EU-Grenzwerte. Expertin Claudia Ebert-Hesse beurteilt die Qualität einiger Kleidungsstücke als minderwertig. Unter anderem findet sie lose Fäden an einem Rock, die dazu führen können, dass sich Stofflagen lösen.

Auch mit der Schweizer NGO Public Eye nimmt Markt Kontakt auf. Die Organisation hatte 2021 17 Fabriken identifiziert, die Mode für Shein herstellten. „Die zehn Arbeiterinnen, mit denen unser Rechercheteam gesprochen hat, berichten von Arbeitstagen mit elf bis zwölf Stunden, bei einem freien Tag im Monat. Das sind 75-Stunden-Wochen“, erklärt David Hachfeld. Dies ist illegal. Shein betont gegenüber Markt, dass man lokale Gesetze respektiere. Es gäbe zudem unangekündigte Prüfungen. Bei Verstößen würde teils die Partnerschaft beendet, wenn Lieferanten „in einer bestimmten Zeit nicht nachbessern“.

Verwendete Quellen: Markt

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